drehen,
V.;
hohe Schreibvarianz:
-a-, -ä-, -ai-, -ay-, -ei-, -ey-
; teils ohne, teils mit Hiatfüllung, in letzterem Falle
-g-, -h-, -j-
. – Bedeutungsansätze 1-2 ›drechseln, (rund) formen‹; 3 ›zwirnen‹; 4 ütr. auf sprachliche Bezugshandlungen; 5-7 bezogen auf Bewegungsabläufe; 8-9 in phrasematischen Verwendungen.
1.
›drechseln; als Drechsler tätig sein‹; auch allgemein: ›etw. rund formen, (handwerklich) einen runden Gegenstand herstellen‹.
Bedeutungsverwandte:
; vgl.  2,  1,  1.
Syntagmen:
etw
. (z. B.
ein paternoster, scheiben / schüsseln / werkzeuge
)
d., jm. etw
. (z. B.
eine arbeit
)
d., etw. aus / von etw
. (z. B.
von federkiel
)
d
.;
der gedrehte kelch / knote, die gedrehte büchse, das gedrehte kunststük / silber / steinwerk / werk, gedrehte (hölzerne) flaschen / (eiserne) haken / schüsseln
.
Wortbildungen:
drehbank
,
drehbeissel
,
drehbogen
(a. 1447),
dreh|eisen
,
dreh|holz
,
drehlade
›Drehbank‹ (a. 1433),
drehmeissel
,
drehrad
,
drehspille
›Drehspindel‹,
drehstul
›Drehbank‹ (16. Jh.),
drehwerk
›Drechslerarbeit‹.

Belegblock:

Joachim, Marienb. Tresslerb. (
preuß.
,
1400
):
3 firdung Johanni bornsteynsnyder vor eyn paternoster, das her deme meister hat gedreyt.
Ziesemer, Marienb. Ämterb.
144, 30
(
preuß.
,
1409
):
2 dreespillen, item 4 durchlos, item 4 dreeeysen.
Luther, WA (
1529
):
Ey, das ist eine karthaun von papir gedrehet.
Volkmar (
Danzig
1596
):
Ternum, ein draͤheysen / draͤhmeissel.
Loesch, Kölner Zunfturk. (
rib.
,
1454
):
darumb mir die meistere des amptz mijne drebank zoleste in die straisse daden setzen.
Buch Weinsb. (
rib.
,
1572
):
So sullen die snitzler sich keins dreins undernemen
[›Drechslertätigkeiten ausführen‹],
sonder das von den dreislern in ir arbeit laissen machen.
Apherdianus (
Köln
1575
):
Tornus, instrumentum quo ligna redduntur polata, ein draieysen / dray beissel.
Lemmer, Amman/Sachs. Ständeb.
62, 5
(
Frankf./M.
1568
):
Der Circkelschmidt. | Ich mach mancherley Werckzeug art / | [...] | DrehEyßn / GaͤrbEyßn / in vil Werckstat / | Dem holtzdrechßl / rotschmidt vn̄ schreiner.
Ebd.
83, 4
:
Der Spiegler. | [...] | Vnd drehe darnach die Huͤltzen Scheibn / | Darinn die Spiegelglaͤßer bleibn.
Hampe, Nürnb. Ratsverl.
1, 555, 19
(
nobd.
,
1561
):
Auf Hannsen Spaichels, rodschmiddrechsels, supplicieren soll mann das rad ane seiner drehmüel durch die werckhleuth besichtigen lassen [...]. Das künstlich dreherad soll mann vonn Hannsen Speicheln, rodschmidth-drechseln, umb 60f. keuflich annemen.
Barack, Teufels Netz (
Bodenseegeb.
,
1. H. 15. Jh.
):
Darzuo schüsslan und kopf tregen, | Die machends das alla tuond zerschraien | Und klieben und zerbrechen.
Maaler (
Zürich
1561
):
Traͤyen / Traͤyers arbeit machen. [...]. Traͤyeysen (das). [...]. Ring Traͤyeysen / Das subteile arbeit machet.
Vock u. a., Urk. Nördl.
1, 176, 11
(
schwäb.
,
1584
):
Zum achten soll auch kein maister einig treheholtz am Mayn haimblich kauffen.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Draͤhewerck / außgestochne arbeit / erhabens bildwerck / gedreet arbeit.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
Gladius haizt ain swertrüezel. [...]. man dræt scheft auz seiner haut.
Bauer u. a., Kunstk. Rud.
16
(
oobd.
,
1607
/
11
):
Ein becher von renotzerhorn schelch gedreht.
Ebd.
919
:
Ein subtil getreittes gewundenes kunststückl von helff:, uff ebinem fießlin. [...]. Ein ablang rundt von helffenb. gedrehter kelch.
Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
Atlas, der des gestirns lauf erfunden, auch die werchzeug, [...], am ersten gedrät hat.
Ziesemer, Gr. Ämterb.
238, 8
f.;
660,
Anm. 9;
Peil, Rollenhagen. Froschm.
3051
;
v. Tscharner, Md. Marco Polo
54, 2
;
Vgl. ferner s. v. .
2.
›etw. formen, schaffen, hervorbringen‹; von 1 ütr. auf die Vorstellung, dass Körperteile des Menschen und anderer Lebewesen von Gott (wie von einem Drechsler) zu einer runden Wohlgestalt geformt werden; in den Belegen als partizipiales Attribut gebraucht; hierbei je nach Kontext auch: ›(hässlich) verdreht‹.
Syntagmen:
etw
. (Subj., z. B.
knöpfe
) [wie] (z. B.
spizlich
)
als etw
. (z. B.
als töpfe
)
gedreht sein
;
j. nach js. leib, an dem leib als eine kerze, das gebeine künstlich aus js. gebeine, ein schnabel von helfenbein gedreht (sein)
;
ein gedrehter napf, ein gedrehter
(›verdrehter‹)
gebure, ein gedrehtes
(›verdrehtes‹)
tier
.

Belegblock:

Fischer, Brun v. Schoneb. (
md.
, Hs.
um 1400
):
ja vrouwe ist gestalt din nabel | als ein gedretir nap trankes vol.
Oorschot, Spee. Trvtz-N.
266, 20
(
wmd.
,
1634
):
Wacht auff [...] | Jhr Nachtigalen kleine / | [...] | Stimmt an die lautbar schnäbelein / | Gedräht von helffenbeine.
Bömer, Pilgerf. träum. Mönch (
rhfrk.
,
um 1405
):
Ein großer gebure ungestalt, | Gedreet und wiederstalt.
In keynen sachen [...] | [...] | Sag ich nye hesselicher dier, | Hinckende, gedreget.
Holtzmann, Gr. Wolfdietrich (
A. 15. Jh.
):
Er was hupsch an dem libe wolgeschaffen uberal, | gedraet also ein kertze.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
Din
[Jesu Christi]
lútseligen hend, sinwel und eben und schoͤn, als ob sú getreyet sigint.
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
also nam och únser herre siner muͦter glichi an sich: [...] aͤlliu sinú gelid warent reht gedraͤegt nach ir libe.
Klein, Oswald
63, 20
(
oobd.
,
1416
):
wie si vor trüg zwen sinwel knöpf | spitzlich gedrät recht als die töpf, | gedrollen auf des herzen wulst.
Holtzmann, a. a. O. ;
Gerhard, Hist. alde e
71
.
3.
›etw. (z. B. einen Faden, eine Schnur, auch Haare) zwirnen, drehen, flechten‹.
Phraseme:
das tagwerk drehen
›das Tagespensum (beim Seilemachen) erreichen‹.
Bedeutungsverwandte
(bzw. Orientierungsfeld): ; vgl.  1, , .
Syntagmen:
etw
. (z. B.
korde, zöpfe
)
d
.;
ein gedrehtes schnürlein, eine eichenweide
›Strang aus Eichenzweigen‹
links gedreht
.

Belegblock:

Meijboom, Pilgerf. träum. Mönch
13415
(
rib.
,
1444
):
Myne moider Caritas de hait | De corde gesponnen ind gedrait.
Gille u. a., M. Beheim
167, 9
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
wie sie [die mann] die czophen fleien, | Stossen, chrumpen und dreÿen.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
Nu waz der vadem drivaltig [...]. Und do er [bruͦder] dú drú teil zesamen wolt trejen, do [...].
Maaler (
Zürich
1561
):
Traͤyen wenn man spint. [...]. Die spillen Traͤyen / Spinnen.
Bauer u. a., Kunstk. Rud.
2410
(
oobd.
,
1607
/
11
):
das schlüsselin darbey hangt an einem rot seiden gedrehten schnürlin.
4.
›etw. (z. B. Worte, Argumente, Schrifttum) formen‹; auch: ›etw. (ver)drehen, e. S. eine gewundene Auslegung geben, sie verfälschen‹; als Ütr. anschließbar an 1; 3.
Phraseme:
etw. krum drehen
›lügen‹;
eine lüge drehen
; ˹
jm. eine nase drehen
;
jm. einen bart von stro drehen
˺ ›jn. täuschen, irreführen, betrügen‹ (tropisch anschließbar an 2; 3).
Bedeutungsverwandte:
1
 4,  6, (V.) 1, , (hier: ›wenden‹); vgl.  8,  11,  2,  4,  6, ,  2, ,  2,
1
 4.
Syntagmen:
etw
. (z. B.
ein beispiel, das recht
)
d., etw. anders d., etw
. (z. B.
geschriften
)
auf etw
. (z. B.
auf ton und sin
)
d
.;
eine wolgedrehte rede
.
Wortbildungen:
drehung
›Verdrehung‹.

Belegblock:

Luther, WA (
1544
):
wo jmand koͤmpt und dir wil eine Nasen drehen [...] und wunder fur die augen machen von grosser sonderlicher heiligkeit.
Ebd. (
1538
):
Aber es ist der Teuffel, der also geuckelt und wuerfel spielet mit der schrifft und sie drehet, wie er wil.
Rosenthal. Bedencken
43, 29
(
Köln
1653
):
eine seltzame draͤhung des [...] was auß Jeremia von den zerstoͤrten Cisternen [...] gesagt wirdt.
Kurz, Waldis. Esopus (
Frankf.
1557
):
Wenn du wilt liegen, bdenck dich wol, | Das dus also gar krumb nicht draͤyßt.
Jörg, Salat. Reformationschr.
636, 25
(
halem.
,
1534
/
5
):
lut des landfridens / den sj ouch / wie andre gschrifften bucktend / wunden / und traͤittend / uf jren ton und sin.
Maaler (
Zürich
1561
):
Ein runde vnd wolgeTraͤyte oder geschliffne red / die nit vil krumbs oder überflüssigs hat.
Martin, H. v. Sachsenh. Tempel,
83
(
schwäb.
,
1455
):
Laus mich schön byspel dreyen!
v. Keller, Ayrer. Dramen ;
Schorer, Sprachposaun
70, 25
;
Vgl. ferner s. v.  2.
5.
›wirbeln; stürmen, wehen‹ (von der Witterung).
Phraseme:
es drehe, wie es will
›es geschehe, was wolle‹.
Bedeutungsverwandte:
, ; vgl.  1,  1, .
Syntagmen:
˹
die lerche dreht
, unpersönlich:
es dreht
[wohin, z. B.
alum, gegen die lüfte
]˺ (jeweils absolut);
der wind den staub
[wohin]
d
.

Belegblock:

Lappenberg, Fleming. Ged. (
1631
/
39
):
Es friere noch solch Eis, | es drehe wie es will, sie
[
Venus
]
läßt sich nichts erhalten, | reist ihren Buhlen nach.
Wenn [...] es um die Türen reifet, | wenn es dreht und Flocken schloßt.
Fischer, Brun v. Schoneb. (
md.
, Hs.
um 1400
):
von stoube der da her wegete, | den der wint dar umme dregete.
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
All umbe es dratte | Wenn der winde wagtte.
6.
›durch windende Bewegungen ein Ziel erstreben, erreichen; sich (windend) einen Zugang oder Ausweg verschaffen‹; auch: ›sich einer misslichen Lage entziehen; sich aus etw. herauswinden‹; als Ütr. an 5 anschließbar.
Gehäuft Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘.
Phraseme:
sich im zirkel drehen
›sich in einer bestimmten Argumentation verstricken‹.
Bedeutungsverwandte:
 2,
4
 2, ,  2, (V.) 1, (V., unr. abl.) 5, , , ›sich wenden‹; vgl.  2,  2, ,  1,  2,  3,  1.
Syntagmen:
˹
der schlange drehen
›sich winden‹,
der teufel aus jm. d
. (absolut)˺ ; refl.:
j. sich d., sich aus etw. d
.,
sich
[wie, z. B.
mit der last
] / [wohin, z. B.
davon, auf alle seiten, in die häuser, zur tür hinein
]
d., etw. sich
[wohin, z. B.
um und um, zu dem herzen
] / [wie, z. B.
im zirkel
]
d
.

Belegblock:

Luther, WA (
1527
):
Wie kan er
[
teufel
]
sich da drehen schleiffen leñcken vnd wenden auf alle seyten vnd an allen enden sich sperren und ynn den weg legen.
Ebd. (
1532
):
man mus nicht allen streichern glewben, die sich des heiligen geists rhumen und sich damit hin und her jnn die heusser drehen.
Anderson u. a., Flugschrr.
13, 9, 14
(
Leipzig
1522
):
do / drehet sich ewer lud‘ / recht ı͂ ketzrischen tzirckell.
Stackmann u. a., Frauenlob
14, 16, 9
(Hs. ˹
nobd.
,
3. V. 15. Jh.
˺):
die rosen und der liljen schin, | der ab ir liechten wangen durch die ougen min | gewaltiglichen brehet | und drehet | zu dem herzen: ,la mich in!‘
Tittmann, Schausp. 16. Jh. Ayrer. Sidea
261, 151
(
Nürnb.
1618
):
die weil so treh ich mich davon.
Jörg, Salat. Reformationschr.
135, 5
(
halem.
,
1534
/
5
):
der listig paradysisch schlang / wand / bog / und traͤitt / umm und umm / suͦcht alle fünd und usschlüpf.
Ebd.
304, 9
:
des entwindens und traͤiens dero von Zürich / wie die natern vor dem bschwerrer.
Dict. Germ.-Gall.-Lat.
122
(
Genf
1636
):
Du must dich mit der Last (draͤen) sonst kombst du nicht zur thuͤr hinein.
Kummer, Erlauer Sp. (
m/soobd.
,
1400
/
40
):
ich slach in, das der tiefel auz ıͤm draͤt.
7.
›sich oder etw. wenden, wälzen; sich zerstreuen‹; auch: ›sich beim Tanzen drehen‹.
Phraseme:
wie ich es drehe
›wie ich mich auch verhalte‹.
Bedeutungsverwandte:
 1, , ; vgl.  1,  1,
1
 1, (V.) 2, (V.) 5,  14.
Syntagmen:
etw
. (z. B.
buchstaben
)
d
.;
j. sich
[wie, z. B.
hin und her, lange, voneinander
]
d
.
Wortbildungen
dreh|hals
eine Vogelart, ›Wendehals‹ (dazu bdv.: ; s.
Suolahti, Die dt. Vogelnamen.
1909, 35
).

Belegblock:

Chron. Magdeb. (
nrddt.
, Hs.
1601
):
[dreyhundert Menschen], die sich alle uber diesen Aufflauf von einander dreheten, alß des Hern Junger im Oelgarten.
Kopp, Volks- u. Gesellschaftsl. (Hs. ˹
pfälz.
,
M. 16. Jh.
˺):
wie ichs nu dre, | gee oder stee, | gleich wie der schnee | ich armer bueb im laid vergee.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Nürnb.
1631
):
Der kompt zu spat der sich lang draͤht, | Vnd weltzet inn den Federn vmb.
Kohler, Ickelsamer. Gram. (wohl ˹
Augsb.
1. Dr. 16. Jh.
˺):
er wendet vnnd traͤhet die buchstaben in seinem mund hin vn her auff alle seyten.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Draͤhalß / ein vogel / torquilla, iynx.
8.
phras.:
um etw. drehen
›um etw. spielen, wetten‹ (a. 1480; dazu bdv.: vgl.  4,  2,  2,
2
 3);
gedretes blut
(a. 1551) ›Pustel‹.

Belegblock: