erwinden,
V.; unr. abl.;
teils semantische und im Prät. (3. Pers. Sing.) formale Überschneidung mit .
1.
›von etw. (einer Tätigkeit, einem Vorhaben u. dgl., selten: von jm.) ablassen; mit etw. aufhören; ein Verhalten, eine Handlung u. Ä. aufgeben‹; meist negiert gebraucht;
vgl.  14.
Bedeutungsverwandte:
 2; vgl.  1,  3,  11,  6,  29,  6.
Syntagmen:
j., etw
. (z. B.
die bitte / klage
)
e
. (absolut);
j. e., bis [...], j. nicht e
. [+ Hauptsatz im Konj.];
j. seiner reise e
.;
an jm. / etw
. (z. B.
an dem gewerbe, an übeler rede
)
e
.

Belegblock:

Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
wel aber her
[ein
Iode
, der zum Christentum übergetreten ist und davon wieder zurücktreten will]
nicht erwinden, her ne wille von Cristen gelouͦben stan, Man sol in bernen als einen ketzer.
Palm, Veter Buoch (
schles.
, Hs.
E. 14.
/
A. 15. Jh.
):
Du wilt nicht erwinden an vbeler rede wider got?
Gille u. a., M. Beheim
99, 107
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
An in wart nit er wunden, | pis sy ir leben gaben auff.
Roder, Stadtr. Villingen (
önalem.
,
1622
):
so es
[Vorschriften für die Gästebewirtung]
aber ain würth oder hochzeiter erwünden
[›vernachlässigen‹]
würt, sollen die stattknecht [...] von demselben ain gulden zur straf erfordern.
Haltaus, Liederb. Hätzlerin (
schwäb.
,
1471
):
Chain man solt erwinden, | Bis Im geschech das selbig hail, | Das Im aine wurd ze tail.
Spechtler, Mönch v. Salzb.
1, 165
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
dein fleglich peet da / nicht erwünd | bis got sein zoren gar verswünd.
Gereke, Seifrits Alex.
6489
(
oobd.
, Hs.
1466
):
Er [Alexander] wolt nicht erwinden, | er wolt versuechen und ervinden | [...] | was da wer in des meres grunde.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
89, 6
(
moobd.
,
1473
/
8
):
Ich erwind nicht meiner raise, | es ergee an mir ein sterben oder genesen!
Spiller, Füetrer. Bay. Chron. (
moobd.
,
1478
/
81
):
Herr, seit ir nicht erwinden welt, ich sol euch sagen, [...].
Bernoulli, Basler Chron. ;
Thiele, Minner. II,
7, 370
;
Martin, H. v. Sachsenh. Tempel
728
;
Primisser, Suchenwirt ;
Spiller, a. a. O. ;
Wackernell, Adt. Passionssp. Br. III,
4128
;
2.
›enden, aufhören (zu existieren), zum Erliegen kommen‹; ›nachlassen, schwächer werden‹;
vgl.  14.
Bedeutungsverwandte:
 2; vgl.  1,  2,  1,  3.

Belegblock:

Chron. Augsb. (
schwäb.
, zu
1381
):
[nach sant Bitz tag] hiezz der burgermaister die cappell zuͦ sant Bit beschliezzen, do erwand die tobsucht an mannen und an wiben.
Ebd. (
E. 15. Jh.
):
ob das vorgenant volck hie durchprech, das man nit wißt, wo das erwünd.
Klein, Oswald
73, 17
(
oobd.
,
v. 1408
):
Mein treu gefüg an dir nimmer erwinde.
Seemüller, Chron. 95 Herrsch. (
oobd.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
An dem [Manton] erwant die jüdischait und waren fürbaz haiden.
Graf-Fuchs, Ämter Interl./Unterseen ;
Jörg, Salat. Reformationschr.
748, 11
;
3.
›(physisch, räumlich) bis zu einem Punkt reichen (und dort enden)‹;
vgl.  1.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  17,  1,
5
 2,  1.

Belegblock:

Chron. Nürnb. (
nobd.
,
v. 1407
):
Darnach stoss ein halmen in daz gefess, und wo dann daz wasser er wint von aym firtail, alzo macht die leng geleich [...].
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
daz [metli uss ror] leit er uf die túre
[die als
betstat
dient]
, und daz erwand im an den knúwen.
Päpke, Marienl. Wernher (
halem.
,
v. 1382
):
Bart und har erwundent glich | Vil nach inainer lenge.
Luginbühl, Brennwalds Schweizer Chron.
1, 68, 26
(
halem.
,
1508
/
16
):
Das [stettli] fieng er an, als die Sil in die a
[sic!]
rint und gieng ob sich bis zu Sant Peterskilch und an die andern brugg, da erwand si.
4.
›fehlen, mangeln‹; oft in unpersönlichen Konstruktionen mit
es
und Präpositionalphrase (z. B.
es an etw. nicht erwinden lassen
›es an etw. nicht fehlen lassen‹); auch: ›scheitern‹;
vgl.  4.
Bedeutungsverwandte:
, ,
1
 12; vgl.  2,  2, (V.) 3,  3,  2.
Syntagmen:
j. ritterschaft e
.;
ein bau
(Subj.)
am geld e., etw. / nichts
(Subj.)
an sich / jm. e., es
(unpersönlich)
an seinem fleis, gutem aufsehen, an sich, an etw
. (z. B.
an trank, an befürderung / ere / speise
)
e., nicht e. (lassen)
.

Belegblock:

Luther, WA Br. (
1528
):
[wir wollen uns]
kegen euren fürstlichen gnaden in allem pflichtigem, untertänigem, demütigem gehorsam und diensten also bewaisen und erzaigen, damit in deme unsers vormugens zur gebur nichts erwinde.
Franz u. a., Qu. hess. Ref.
4, 272, 24
(
hess.
,
1540
):
Hast du nit gnug mit 20 pferden, so beschreib ein pferd 50 oder 60 zu dir und las an deime vleis nichts erwinden.
Kurz, Waldis. Esopus (
Frankf.
1557
):
Die Heiden haben auch beschlossen, | Das einr sol Leib vnd leben lassen, | Vnd lieber alle not entpfinden, | Eh ers laß an der ehr erwinden.
Tobler, Schilling. Bern. Chron. (
whalem.
,
1484
):
dabi [instruction] man wol mag verstan, das die von Bern und ander Eidgnossen gern bi friden weren bliben, und an inen nit erwant.
Kottinger, Ruffs Adam (
Zürich
1550
):
An spys und tranck sol nüt erwinden, | fleisch und fisch gnuog wend wir finden, | das nienen muoss kein mangel syn.
Adomatis u. a., J. Murer. Bab.
2457
(
Zürich
1560
):
Ir werdend an uns kriegslüt finden | an dinr begaͤr sol nüt erwinden.
Barack, Zim. Chron. (
schwäb.
,
M. 16. Jh.
):
Die burger [...] haben vor jaren [...] auch ain vorstat wellen bawen, aber als der baw am gelt erwunden, haben sie dannocht ein loch in die statmauren gebrochen.
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. (
oobd.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
Das wellt der phalltzgraff gern und williglich thuen und das an allem dem, so im muglich [...] were, nicht erwinnden lassen.
Holland, H. J. v. Braunschw. V. e. vngerat. Sohn ;
Franz u. a., a. a. O.
209, 28
;
Bobertag, Schwänke ;
Roder, Stadtr. Villingen ;
Munz, Füetrer. Persibein
86, 7
;
Vgl. ferner s. v.  1.
5.
›etw. bewirken, hervorrufen‹; ›etw. erreichen, erlangen‹; Letzteres auch in rechtlichem Kontext; intrans.: ›entstehen‹;
vgl.  45.
Bedeutungsverwandte:
 35; vgl.  12,  7, (V.) 10.
Syntagmen:
etw
. (z. B.
gerichtskosten / schäden, ausständige schulden
)
e., etw.
[wie] (z. B.
in recht, mit recht / urteil
)
e., die sünder
(Subj.)
etw. e., der schulmeister keinen mangel e
.;
der saumsal an der witwe e
.

Belegblock:

Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1582
):
Die suͤnder moͤgen nicht erwinden, | Jm rat der heilgen stat zuͦfinden.
Franz u. a., Qu. hess. Ref.
2, 74, 8
(
hess.
,
1528
):
Auf die Klage der von Großburschla soll er [Amtmann]
gemeiner dorfschaft,
zu dem, was sie
mit urteil und recht erwunden
hat,
kegen den pfaffen
verhelfen.
Rintelen
, B. Walther 72, 5 (moobd., 1552/8):
wa [...] der Saumbsal der Abferttigung an ir [Wittib] selbs erwindt
[›von ihr zu verschulden ist‹]
, so ist sie schuldig, sich mit den Kindern [...] zu vergleichen.
Winter, Nöst. Weist. (
moobd.
,
1615
):
Der richter soll [...] im jahr aufs wennigst viermahl [...] die schuel und den schuelmaister [...] ungewarneder ding besuechen und visitieren, damit ein schuelmaister von wegen der burger- und anderer kinder an der forcht, zucht und lehrnung kein mongl erwindt.
Köbler, Ref. Wormbs
46, 15
;
ders., Ref. Nürnberg
69, 31
;
6.
›jn. / etw. überwinden; jn. überwältigen, bezwingen, zu etw. bringen‹; vereinzelt: ›(miteinander) kämpfen, streiten‹; auch: ›jn. rechtlich angehen, belangen‹;
vgl.  4.
Bedeutungsverwandte:
 1,  3,
2
 2,  25; vgl.  3, ,  7,  3,  1.

Belegblock:

Köbler, Ref. Wormbs
142, 12
(
Worms
1499
):
der [ein Burgermeister oder ander Person die offenbar Ampt trüge] soll [...] nach vßgang oder endung synes Ampts [...] synes obberürten ampts verhandlung halben. nit vmb [...] schmach noch gewaltiger thate angeclaget noch erwonden werden.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Nürnb.
1631
):
Ja mancher Boͤsewicht, | Zu meiner Seelen spricht: | Er mag mich nit erwinden, | Bey seym Gott Heyl zu finden.
Goedeke, Fischart Schiff
489
(
Straßb.
1576
):
Han’ wir den rauchsten weg erwunden, | Der weitest würd auch wol gefunden.
Langmantel, Schiltb. Reiseb. (
oobd.
,
n. 1427
):
des chönigs sun [...] hub [...] an mitt im zu vechten und sie erwunden trey stund an ainander.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
547, 5
(
moobd.
,
1473
/
8
):
Durch sein verretereye | schlueg man tod Politzen, dy clar junckfrawen. | Gar all mein zeit will ich des nicht erwinden!
7.
›umkehren; die (Bewegungs)richtung ändern‹;
vgl.  18.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  1,  2.

Belegblock:

Bernoulli, Basler Chron. (
alem.
,
A. 15. Jh.
):
Do zug der keyser Karoly mit grossem volk den selben Engelschen nach [...] und erwand ze Elsas.
Schmitt, Fachprosa
61, 32
(
alem.
,
n. 1446
):
so er [hircz] von einer geäsde gant [...], so trabat er bald rech, als er fur sich jn den wald wel. So erwindet er an dem wald vnd tuͦt einen wigergan vnd einen sprung recht als ein has.
Baumann-Zwirner, Augsb. Volksb.
1991, 238
.
8.
›sich entwickeln, gedeihen‹ (von Pflanzen);
vgl.  18.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  7,  1.

Belegblock:

Löffler, Columella/Österreicher (
schwäb.
,
1491
):
die schwachen reben in den lichten und ringen acker erwinden schnellklich und geben ringin frucht.
fúrwǎr lident sy [winreben] die wintzbrutt und die regen und fliessend geschicklich und er windent nit in dem magern ertrich.