gnädig,
Adj.
1.
›gütig, barmherzig, rechtfertigend, nachsichtig und milde in der Bestrafung und Beurteilung menschlichen Handelns (als Wesensqualität Gottes, aber auch von heilsvermittelnden Personen, wie z. B. von Maria oder Heiligen, gesagt); sich über jn. erbarmend und jm. helfend in Sünden- und Todesnot‹; ütr. zur Charakterisierung des sich am Menschen vollziehenden Willens Gottes;
vgl.  1245.
Gehäuft Texte religiösen und didaktischen Inhalts.
Phraseme:
gnädiger got
(bei
Luther
durchgängig durch alle Bände kollokativ).

Belegblock:

Luther, WA (
1521
):
Wer aber tzum sacrament fruchtbar gehn soll, der muß glauben [...], das er eyn gnedigen, guͤtigen gott habe.
Wie wirt man aber des boßen gewissen loß, und ubirkompt eynen gnedigen got? [...] wer eyn gutt gewissen haben und eynen gnedigen gott finden will, der muß das nicht mit wercken anfahen, [...], ßondern er muß an yhm vortzagen yn allen wercken und gott ynn Christo ergreyffen.
Du bist ein gnediger Got, du thůst wol auch denen, die es nicht verdienen.
das heist inn Christum geglaubet, wenn ich glaub das er mir ein genediger Gott sey, meine sůnd uff sich genomen.
Ebd. (
1523-24
):
wer weys, ob myr Gott gnedig sey und meyne sunde vergeben woͤlle?
Ebd. (
1535
):
Bekere, die deinen guten willen noch erkennen sollen, das sie mit uns und wir mit jnen deinem willen gehorsam sein und daruͤber alles ubel, creutz und widerwertigkeit gern, geduͤltig und froͤlich leiden und deinen guͤtigen, gnedigen, volkomen willen hierinn erkennen.
Ebd. (
1534
):
Alles aber darumb, das Gott genedig ist und eytel liebe gegen uns wil gehn lassen.
Ebd. (
1539
):
Pestilentz ist die geriengst Plage, und dennochs ein veterlich, gnedige Straffe und macht from leuthe
(hier offen zu 2).
Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
Got vil gnedich vader! Amen!
Gropper. Gegenw. (
Köln
1556
):
die bestetigung in der vßtheilung des Sacramennts beschicht / durch welchs er vns seins gnedigen willens gewiß macht.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1583
):
Geuß gnedich vnsern sinnen ein, | Des heilign Geistes klarsten schein.
Feudel, Evangelistar
116, 3
(
omd.
,
M. 14. Jh.
):
got, biz genedik mir sunder.
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
34, 36
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
genediger erhörer aller zu dir rufender – erhöre mich!
Hübner, Buch Daniel (
omd.
, Hs.
14.
/
A. 15. Jh.
):
Weinen, clagen daz du bist | Gevallen in der sunden mist, | Bichten, gantze ruwe han, | Vurbaz me die sunde lan. | Dir wirt Got vil genedic.
Bechstein, M. v. Beheim. Evang. Lk. (
osächs.
,
1343
):
wan her ist gnêdic
[
Luther
1545:
gütig
]
ubir di ungenêmen und di bôsen.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Bautzen
1584
):
O Gott dir sag ich lob vnd preis, | Das du mich so gnediger weis, | Vor allm vbel vnd vngemach, | Behuͤtet hast.
Ebd. (
Nürnberg
1631
):
In vnserm letzten Ende, | In der so schweren Noth, | Dich
[Hl. Bonifatius]
gnadig zu vns wende, | Und fuͤhre vns zu Gott.
Langen, Myst. Leben
168, 16
(
nobd.
,
1463
):
daz er [got] mir genedig / sey durch sein heilig marter vnd / mein sund vergeb.
Ebd.
175, 14
:
piß mir genedig in mein / grossen angsten.
Loose, Tuchers Haushaltb. (
nürnb.
,
1520
):
ist gemellte Madalena mein liebe schnur mit tot abgangen. got sei der sele gnedig und barmherczig.
Reichmann, Dietrich. Schrr.
77, 1
(
Nürnb.
1548
):
er leidet / vnd schweygt / vnd weyß wol / das es Gottes guter / vñ gnediger will ist / vnd es billicher sey / es geschehe / was Got also gut / vnnd vetterlich thut / denn was er gern wolte.
Ebd.
77, 12
:
das Gott gluͤck / vnnd segen dazu geben / vnd vor allem vngluͤck gnedig bewaren woͤlle.
Ebd.
106, 20
:
Gott ist gnedig / Christus ist für meine suͤnd gestorbe͂.
Ebd.
251, 26
:
[im Newen Testament] wirdt vns der mitler fuͤrgestellet / der zwischen Got vnd vns stehn / vnnd auß einem vngnedigen Gotte / eine͂ gnedigen Got / vnnd auß sůnderen / vnnd verdambten menschen / fromme vnnd selige leut machen will.
Goldammer, Paracelsus
6, 190, 6
(
1530
):
daß got kein haß zu uns hat, sunder ist uns gnedig.
Päpke, Marienl. Wernher (
halem.
,
v. 1382
):
Nu wolt sú Got erhoͤren, | Ir baider laid zestoͤren, | Der so gůt, so genædig ist, | Im kainer milti nit gebrist.
Stammler, Berner Weltger.
757
(
ohalem.
,
1465
):
Herre, din milte erkenne ich wol. | Da von ich dich hütte bitten sol, | Daz du Marien der můtter din | Hütte gnaͤdig wellest sin.
Koller, Ref. Siegmunds (Hs. ˹
Basel
,
um 1440
˺):
nun wil uns gott ain semlich gnad tun, das er uns ain ordnung fürlait zu halten; gan wir deß in, so gewinnen wir gute jare und wirt uns gott gnedig.
Baptist-Hlawatsch, U. v. Pottenst.
141
(
moobd.
,
A. 15. Jh.
):
Da merkch an got ain tröstleich ding, wann als er almechtig ist vnd allew ding vermag, also ist er auch genedig vber allew ding.
Piirainen, Stadtr. Sillein
35v, 7
(
sslow. inseldt.
,
1378
):
HEr ich ste hevt vor dir alz eyn schuldiger mensche vor eynem gewaldigem richter vnd pitte dich genedygez gerichtes vͤber alle meyn svͤnde.
Sievers, Oxf. Benedictinerr. ;
Stambaugh, Friederich. Saufft.
48, 16
;
Reichmann, a. a. O.
71, 21
;
80, 21
;
264, 13
;
16
;
259, 10
;
263, 26
;
Dietrich. Summaria
20r
, 26f.;
Adrian, Saelden Hort
2572
;
Bihlmeyer, Seuse ;
Koppitz, Trojanerkr. ;
Päpke, a. a. O. ;
Wyss, Luz. Ostersp.
3177
;
Koller, Ref. Siegmunds ;
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
86, 1
;
Qu. Brassó
5, 446, 6
;
5, 636, 1
;
Vgl. ferner s. v.  6, (Adj.) 14,  1.
2.
›heilsbringend; heilswirkend‹; ütr. von einem Stein: ›friedgebend‹;
vgl.  1234.
Gehäuft Texte religiösen Inhalts.

Belegblock:

Luther, WA (
1526
):
Dieses gnedig reich zupredigen ist er [Christus] komen.
Ebd. (
1544
):
das er dis gnedig Wort von Christo hoͤret, wie er sol zu Gnaden und vergebung der suͤnde komen.
Ebd. (
1527
):
Ich bin ein heide, begere nur ein gnedigs wort.
Wagner, Erk. Ps.-J. v. Kastl
19, 35
(
nürnb.
,
1. H. 15. Jh.
):
Das dritt ist das licht der genedigen einflissung oder die einfließung der genaden und das ist allein genug [...] und pessert den menschen.
Reichmann, Dietrich. Schrr.
76, 6
(
Nürnb.
1548
):
das Gott allen willen hindern woͤlle / der wider seinen willen ist / Auff das sein gnediger wille vber vns gehe / vnnd des Teuffels / vnnd der argen Welt wille / muͤsse dahinden bleiben.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
do si [sterbende tohter] horte die gnedigen rede, do ward ir ir herz neiswi reht erkicket.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
der stain ist auch guot wider untrew, wider haz und wieder erschrecken, und ist gnædich zuo frid.
3.
›begnadet, mit göttlicher Gnade beschenkt‹;
vgl.  1.
Wortbildungen:
gnädigheit
,
gnädigkeit
›durch Gott geschenkte Begnadung‹.

Belegblock:

Brett-Evans, Bonaventuras Leg. S. Francisci
91, 5
(
önalem.
,
v. 1478
):
Won er hatt eine angeborne genedigkeit, die zwivaltigete die ingegossene milte Cristi.
Niewöhner, Teichner
464, 416
(
moobd.
,
1370
/
80
):
als der engel zu ir sait | ,vol aller genaͤdichait‘, | so waz end und anevanch.
Spechtler, Mönch v. Salzb.
11, 139
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
mach uns genädig Jesum Christ, | der got ob allen götten ist.
Ebd.
18, 16
:
liebe mueter, von uns nicht weiche | seit du so genedig pist.
4.
›milde, nachsichtig, gütig, wohlmeinend und wohlwollend; huldvoll; großzügig (vom Verhalten eines Menschen gegenüber einem anderen sowie von seinen Handlungen gesagt)‹; speziell: ›milde, nachsichtig (z. B. bei gerichtlichen Urteilen oder bei Zinsauflagen)‹; ›dem Liebeswerben e. P. nachgebend‹;
vgl.  91112.
Bedeutungsverwandte:
 2, (Adj.) 1.
Gegensätze:
(Adj.) 6, ,  5.

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
An diner predigate, | Tu din dinc mit rate, | Wis hart und kunne genedic sin.
Luther, WA (
1530
):
was ligt mir denn dran, das der Bapst lang zurnet oder sonst einer dem ich die warheit sage? wollen sie mir nicht gnedig sein, so zurnen sie ymer hin.
Toeppen, Ständetage Preußen
1, 36, 24
(
preuß.
,
1351-1382
):
Man sal ouch den luten genedig sin an gerichte und sie nicht müwen mit oberiger arbeit.
Peil, Rollenhagen. Froschm.
316, 1713
(
Magdeb.
1608
):
Auff des Koͤnigs gnedige red / | Stand sittig auff von seiner stett.
Wyss, Limb. Chron. (
mfrk.
,
2. H. 14. Jh.
):
gaben zu schatzunge ober alle bi zehen dusent gulden, unde was auch ein gnedig schatzunge.
Knape, Messerschmidt. Bris.
13, 24
(
Frankf./M.
1559
):
were sein vnderthenig bitt sein genad wolt jhm herrn Walther [...] gnedig erlaube͂ / mit jhm auff die ban zu reite͂.
Behrend, Magd. Fragen (
omd.
,
um 1400
):
unde vorgebunge mit em geton haben uff eine genedige busze.
Anderson u. a., Flugschrr.
1, 2, 27
(
Leipzig
1520
):
auff genadigs heissen vnd begeren des hochwirdigenn [...] Fursten.
Ebd.
21, 9, 20
([
Zwickau
]
1525
):
das mann eyn zimlich eynseher dareyn thue / vns der massen nicht so hart beschweren sonder vns / genedig hierynnen ansehen.
Henschel u. a., Heidin
827
(
nobd.
,
um 1300
):
Daz ich vrowe here | Mich gentzlich dir ergeben han | [...] | Got mvͤz mir die genade geben | Daz dv gnedick werdest mir.
Pyritz, Minneburg
4082
(
nobd.
, Hs.
um 1400
):
Dar umb bit ich uch, liebe Mynne, | Daz ir hie dem diner min | ein gnedig richterin wolt sin.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
1359
):
dise menschen sint allen menschen geloͤibig und barmherzig; si ensint nút strenge noch hertmuͤtig, denne vil gnedig.
Barack, Zim. Chron. (
schwäb.
,
M. 16. Jh.
):
wie er dem frommen kaiser, seinem herren, der in über sein verdienen ganz gnedigest bezallt, gedient.
Klein, Oswald
26, 107
(
oobd.
,
1427
):
die baten all mit rechter gier | den fürsten reich, durchleuchtig, hochgeboren, | da mit er wër genëdig mir.
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. (
oobd.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
[Die senndtpotten] lagen zw Wienn auf gnadige antwuert ain quattember.
v. Birken. Erzh. Österreich ;
Anderson u. a., a. a. O.
23, 6, 4
;
7, 20
;
Piirainen, Stadtr. Kremnitz
49
;
52
;
Vgl. ferner s. v.  2,  1,  2,  1,  1,  2,  1.
5.
(häufig sinnentleertes) Titelattribut; Devotions- und Anredeformel gegenüber geistlichen und weltlichen Obrigkeiten;
vgl.  16.

Belegblock:

Peil, Rollenhagen. Froschm.
574, 2143
(
Magdeb.
1608
):
Gnedigster Koͤnig ewr Majestet / | Halt mirs zu gut / das ich auch red.
Dat nuwe Boych (
rib.
,
1396
):
dat der Ertzebuschoff van Coelne zo vnsme gnedigen heren dem Roymschen keyser rijden woulde.
Tiemann, E. v. Nassau-S. Kgn. Sibille
142, 4
(
rhfrk.
,
um 1435
):
Gnediger herre nit dodent vnsern mag.
Ebd.
157, 5
:
Gnediger lieber [herre] / jch biden uch lassent mich nü myn wip / vnd min kinde gesehen.
Anderson u. a., Flugschrr.
15, 13, 35
([
Worms
1521
]):
Dañ das der Bapst in sonderheit / disen vnnsern aller gnedigisten herrn Kaiser Karolum zů fellen vnderstehe.
Harms u. a., Alberus. Fabeln
97, 7
(
Frankf./M.
1550
):
wie Gottes milte handt / | Hat meines gnedigen Herren landt / | Versorgt.
Knape, Messerschmidt. Bris.
41, 5
(
Frankf./M.
1559
):
[Brissonetus] sagt / Gnedige junckfraw / ich bitt ewer Koͤnigliche gnad / sie woͤlle mir [...].
Löscher, Erzgeb. Bergr.
71, 3
(
omd.
,
1544
):
Und bitten nach e. f. g. als unseren genedigen hern und landesfursten, uns dach auß genoden nach bleyͤben lassen.
Küther, UB Frauensee
396, 33
(
thür.
,
1530
):
das ime sein genediger lanndsfurst von Hessen uff meins genedigen hern von Beichlingen anregen geschriben [...] habe.
Sachs (
Nürnb.
1558
):
Gnediger herr, ich steh nit ab, | Das ich ewr tochter lieb hab sehr.
Williams u. a., Els. Leg. Aurea
788, 8
(
els.
,
1362
):
Gnediger vatter Hermolae mag ich mit dinen hulden dise wort sagen minem meister?
Edlib. Chron. (
ohalem.
,
um 1500
):
sind granf fridrich [...], und dieselben land namlich utznach [...] von unsser gnädigen frowen geschenckt [...] worden.
Chron. Augsb. (
schwäb.
, zu
1555
):
Allerdurchleuchtigster, großmechtigster römischer [...] kinig, allergnedigister herr, hochwürdigiste, durchleuchtigste, durchleuchtige, hoch⸗ und wolgeborn, erwirdig, gestreng, edel, ernvest, hochgelert, fürsichtig, ersam und weis, gnedigst, gnedig und der abwesenden löbliche botschaften, gebietend und günstig herrn!
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. (
oobd.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
schone, wolgeborne gnettige frawn.
Grosch u. a., Schöffenspr. Pössneck
175, 2
;
Küther, a. a. O.
243, 8
;
Thür. Chron.
22r, 16
;
Gille u. a., M. Beheim
22, 5
;
Dinklage, Frk. Bauernweist.
53, 30
;
64, 1
;
65, 17
;
104, 2
;
Roloff, Brant. Tsp.
551
;
Rennefahrt, Recht Laupen ;
Dirr, Münchner Stadtr. f.;
Hör, Urk. St. Veit
237, 19
.
6.
›frei von Unglück und Sorge (von der Zeit); milde (vom Wetter)‹.

Belegblock:

Luther, WA (
1534
):
wiewol er [Psalm 65] gemacht ist, Gott zu dancken und beten fur das unterst, nemlich fur gut wetter und gnedige zeit.
Des gleichen wo ein iglich haus und gesind from weren und theten, was sie sollen, so wuͤrde Gott auch gnedig wetter, segen und gedeien geben.
Reichmann, Dietrich. Schrr.
77, 8
(
Nürnb.
1548
):
wir bitte͂ für die frůcht auff dem felde / vmb ein gnediges wetter.
7.
›sanft, barmherzig, ohne unnötiges Leiden (von der Todesstunde)‹.

Belegblock:

Luther, WA (
1548
):
Darumb ich auch bitte vmb ein gnediges Stuͤndlin, vnd beger des Wesens nicht mehr noch lenger.