treu,
Adj.
– Eng vernetztes Bedeutungsfeld mit offenen Übergängen: Die Ansätze 1-3 nehmen überwiegend Personen (einschließlich göttlicher und heilsvermittelnder Personen) und ihre Haltung innerhalb von Personenverhältnissen in den Blick; 4 bezieht sich auf die idealtypische Haltung einer Person gegenüber einer Aufgabe (gelegentlich in Verbindung mit den Verwahrformeln ane gefar, ane gefärde
), 5 auf eine idealtypische charakterliche Qualität; unter 6 phrasematische Verwendungen.1.
›jm. gegenüber loyal, ergeben, gehorsam‹; charakterisiert die idealtypische Haltung einer untergeordneten Person gegenüber einer militärisch, rechtlich oder sozial höhergestellten bzw. mächtigeren Person oder einem sozialen Verband; auch speziell, dann z. B. ›(der Minnedame) ergeben‹ im Sinne der Minneideologie; ›aufopferungsvoll, liebevoll‹ vom Dienst Christi an der Menschheit gesagt; gelegentlich ütr.; Syntagmen:
jm
. (z. B. dem könig / babst / lehenherren, der frau / herschaft
) t. sein
; an jm
. (z. B. an dem herren
›Gott‹, dem römischen volk
) t. bleiben
; der treue diener
(mehrfach) / dienst / hund, das treue blut / gesinde, treue leute
.Wortbildungen:
treu|bewert
Belegblock:
Wie er [Fehnrich] nun sahe die grosse noth / | Want er sich in sein Fehnlein gut / | Zu sterben wie ein trewes bluth
(metonymisch für eine Person).
der ist ein trewer diener, der in allen seinen werchen nicht anders suecht dann dy er gots.
ein treuwer hund [...] sich von seinem herren nicht ablocken leßt.
Wir [Cardinal] sind Diener deß Stuls zu Rom / | Dem Bapst gantz treuw vnd gehorsam.
der halte sich zu diesem thewren / trewen / warhafftigen / redlichen / klugen / willigen / außrichtsamen Diener.
Hat nit der groß Alexander [...] Clytum seinen innersten trewesten diener [...] erstochen?
Des menschen Son ist kommen / das er diene [...]. Das heist je ein grosser trewer dienst / da man mit leib vnd leben den feinden dienet.
[ach Venus] tuͦ diß kunt der fröwen min, | ich wölle ir úmer trúwe sin!
Was man an trewen arbeiteren vnnd dienern erspart / das gehet an Galgen / vnd macht / daß man desto weniger trew gesind find.
Was hilft eu [edle frucht] neur mein teglich pein? | euer treuer diener wil ich sein.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 77, 27
; 2.
›jm. verpflichtet, zugeneigt, wohlgesinnt; Sicherheit, Schutz gewährleistend‹; charakterisiert die idealtypische Haltung einer religiös, rechtlich oder sozial übergeordneten bzw. mächtigeren Person gegenüber Untergeordneten, Schutzbefohlenen oder Schutzbedürftigen; speziell von Gott oder Maria gesagt, dann: ›barmherzig, gnädig‹; gelegentlich ütr.; Gegensätze:
.Syntagmen:
j
. (z. B. got, der fürst
) / etw
. (z. B. die höchsten glieder
) t. sein
; der treue got
(mehrfach) / lerer / vater, die treue mitlerin
(Maria), treue herren / leute
.Wortbildungen:
treuheit
treukeit
Belegblock:
der vrowen vnde der kinder vormunt heytzen ettewa eyn behalter, [...], ettewa eyn voget; so solen truͦwe luͦte sin.
Behuͤt uns heut O trewer Gott Fuͤr aller sund und missethat.
Stehe vns in allen noͤthen zu, | Treweste Mittlerin, | Muͦtter Gottes.
Edler Oliuier [...] ich hab mich euch ergeben / das were nit trew von euch / so ich ewer bin / vnd jr meiner verleugnet.
Got hat uns vill verhaissen [...]: ,Mein volk wirt siczen in der schoͤn dez fricz, in dem tabernaccell der trewkeyt, [...].‘
Das die hoͤchsten glyder / auch die nydersten nit verschmaͤhen / sonder lieb haben vnd denen verschonlich und trew seyn.
Gibt mir auch essen, [...] vnd sorget für mich als ein trewer vater, dz mir nichts außlige
(›mangele‹).
bin ich mit dem Fürsichtig Weisen Herrn Georgio Schram [...] auf die ½ Stadt verordnet worden, die Zechen aufs (!) Fürstlich Gnaden Treuheit zu beschwören.
3.
›einander verbunden, zugetan, freundlich, wohlwollend, verlässlich‹; kennzeichnet die ideale Haltung einander nahestehender, verwandtschaftlich, emotional, verfassungsbedingt oder in anderer Weise gemeinschaftlich verbundener Personen; Phraseme:
jm. treuen schein tun
›jm. die letzte Ehre erweisen‹.Syntagmen:
jm
. (z. B. den kindern
) t. sein
; ein mittel
(Subj.) jn
. (z. B. alle männer
) jm. t. machen
; ein treuer bruder / freund / geselle / vater, die treue geselschaft, die treuen christen / eidgenossen / leute, das t. gemüt / herz
.Wortbildungen:
treuherzig
treumeinend
Belegblock:
So kan ich nicht vnterlassen, Euch trewhertzig vnd Vaterlich zuuermahnen.
dye dayr laegen erschossen, den deden sy truwen schyn.
Ein trewer freund der hab recht hold | Und sey ein auffenthalt dem leben.
wann einer dem andern die Hand gegeben / haben sie [die alten Teutschen] dieselbe [...] geschuͤttet zum Zeichen jhr trewmeinenden Freundschafft.
Er ist mir nit minder Treüw / dan̄ seinē leyblichen kinderen. [...]. Treüwe staͤte freünd auff die man sich wol lassen darff.
die [mein weib] ist ew [her pfaff] ie gewesen trew, | die hat ew gehalsen vil, | küßt und züngelt oun endes zil.
all treu cristen sein mit got und helffen schirmen.
die naͣchsten vnd treüßten so dem Tÿrān verwant waren.
4.
›gewissenhaft, redlich, ehrlich, pflichtbewusst‹; von Personen hinsichtlich ihrer idealtypisch geforderten Haltung bei der Ausführung einer Aufgabe (eines Amtes, Berufes, einer Pflicht u. Ä.) gesagt; auch: ›zuverlässig, vertrauenswürdig; verschwiegen‹; mit ironisch-negativer Konnotation: ›eifrig, unbeirrbar‹; häufig auf sachliche Bezugsgrößen bezogen, dann auch: ›recht, richtig; sorgfältig‹; Phraseme:
das treueste und beste tun (ane gefar)
.Syntagmen:
jn. t. abmessen / schätzen, etw
. (z. B. das ampt
) t. ausrichten
; der treue bergmeister / bote / liebhaber
(e. S.) / prediger
(mehrfach) / schulmeister / selsorger / vogt / wächter
, der treue fleis / rat, die treue arbeit / erbarkeit / lere / meinung / müe / verhelung / verschweigung, das treue aufmerken / aufsehen / einsehen / zuschreiben
.Wortbildungen:
treufleissig
Belegblock:
Gottes Wort aber / und alle trewe Prediger / haben den Wein und Bier [...] niemals verbotten.
Wo sol ich heilstet finden? Wo sol ich treuen rat holen?
Die Schuljugend vermahnet Er / | Das sie fleissig folg trewer Lehr.
weil alle die anmuthigen Liebes⸗Kuͤsse [...] von der Goͤttin der Liebe [...] an den schoͤnen Himmels⸗Saal gehaͤfftet werden / den treufleussigen Buhlern / [...] zu schimmern.
Derhalben gehoͤrt dazu / das sie [Juͤnger] [...] / on allen falsch / trew vnd fleissig jr amt außrichten.
[welches] aus [...] Vermengung guter vnd boͤser / leichtsinniger vnd standhaffter / trewer vnd falscher Meynung vnnd Erbarkeit her zu ruͤhren pflegt.
der gast gelupt im das, | das er [wirt] niemant sagt die mär, | wann er was trew und on gefär.
niemāt d’ mit reÿ tumben [...] saͣlige ist, Sunder die ein klein guͦt haben. vn̄ nit hofertiger lere ein treüer liebhaber ist.
daz er [antwerchsman] daz triwst und daz pest von seiner chunst getan hab ân geverd.
Die wail nicht [...] die pergkwergk an sonderliche guete ordnung treues auffmerken vnd einsehen mit klainem nutz megen gehandlet werden. [...] das man [...] die pergkhenndel mit einem trew(n), Vleÿsigen, vnnd pergkverstendigen pergkmaister versehe.
5.
›eine religiös, ethisch, sozial geforderte und in hohem Maße gewünschte Qualität oder Charaktereigenschaft aufweisend‹ (von Personen, sozialen Verbänden und abstrakten Bezugsgrößen gesagt); die Nuancierungen reichen von ›recht, vortrefflich, ehrbar, tüchtig‹ über ›aufrichtig, integer, beharrlich‹ bis hin zu ›sittsam, zurückhaltend‹ (dies vor allem von Frauen gefordert); als Generalisierung zu 4 auffassbar.Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘, meist gebundener Form.
Syntagmen:
jn. t. wissen
; der treue
(subst.) tugend walten
; der treue heiland / mut, die treue katze
(als Adynaton), das treue fundament / herz
; die treueste ob allen weibern
.Wortbildungen
treufest
treuherzig
treukeit
treu|stätigkeit
Belegblock:
lern [werdes liecht] uns Jhesum Christ kennen alleyn, | Das wyr an yhm bleyben dem trewen Heyland.
[DEr Haushan] Wust nicht / das ich [Reinick] ein Moͤrder war.
Unprislich tat sie riutet | uz triuwen herzen mit ir rat.
Min triuwer mut in triuwen ganz, | sin rede ist als ein blünder kranz.
O Coln hyllych Ind Bunne
[›Bonn‹]
truw, | Vch eert man byllych. Mein Paulina, ich weiß ganz sat | Dich trew, fromb, züchtig, keusch und rein.
so dett er billich frewen sich | [...] | das inn zu frewd hatt erkorn | die drẅst ob allen wiben.
Ebd.
12, 70
: wan du wilt wol bedorffen | eyns steten, druwen, vesten fundamentes.
das sye ist beliben | mit werdem lob oͮn alles mail, | und meng hertz doch machet geil | mit irer zarten triukait, | die got selb an sie hät geleit.
der jung ritter frumm und trew | sprach zuo im in tugentkraft.
daz er [Columban] so erberlich sich hielt; | der triwe vil tûgend wielt
(›besaß‹).
Halt wie es get, mein Öselein, | inn deiner schül treu stetikait, | die wil ich leren ewikleich.
6.
in Phrasemen auf dem Weg zur Wortbildung: (die) treue hand
›treuhänderische (stellvertretende, nicht von eigenen Interessen geleitete) Aufsicht oder Verwaltung von etw.‹ (z. B. von Besitz, fremden Rechten; vgl. dazu 9, ); seltener: treuer trager
›Anwalt, Rechtsvertreter‹ (vgl. dazu 4, ).Zur Sache:
Lex. d. Mal.
f.8, 978
Syntagmen:
die treue hand
(Subj.) geübt / vernichtiget werden, durch alle lande gehen
(personifiziert); jm. etw. an der treuen hand unschädlich sein, dem gericht geld zu treuer hand leihen, etw. zu treuer hand behalten, etw
. (Subj.) zu treuen händen liegen, gestelt sein
.Belegblock:
Den selben wil ich langen ahn, | Das er mirs bhalt zu trewer handt.
Trewe hand gehet durch alle land / Untrewe hand gehet hyn kompt aber nicht herwidder
(Überschrift).
Marttein [...] erklärt [...] nur seines Bruders und dessen Frau
treuwer trager zu sein und sonst keine Rechte zu haben
. Er hat aŭch die zechlew̆t gestrafft, die ein gelt dem ganntzen gericht Firgen zŭ trew̆er hanndt in der eyl gelihen haben.