treu,
Adj.
– Eng vernetztes Bedeutungsfeld mit offenen Übergängen: Die Ansätze 1-3 nehmen überwiegend Personen (einschließlich göttlicher und heilsvermittelnder Personen) und ihre Haltung innerhalb von Personenverhältnissen in den Blick; 4 bezieht sich auf die idealtypische Haltung einer Person gegenüber einer Aufgabe (gelegentlich in Verbindung mit den Verwahrformeln
ane gefar, ane gefärde
), 5 auf eine idealtypische charakterliche Qualität; unter 6 phrasematische Verwendungen.
1.
›jm. gegenüber loyal, ergeben, gehorsam‹; charakterisiert die idealtypische Haltung einer untergeordneten Person gegenüber einer militärisch, rechtlich oder sozial höhergestellten bzw. mächtigeren Person oder einem sozialen Verband; auch speziell, dann z. B. ›(der Minnedame) ergeben‹ im Sinne der Minneideologie; ›aufopferungsvoll, liebevoll‹ vom Dienst Christi an der Menschheit gesagt; gelegentlich ütr.;
vgl.  2.
Bedeutungsverwandte:
, , (Adj.), (Adj.) 5, (Adj.) 4, ; vgl.  1, (Adj.) 5, , , ,  27,  4.
Gegensätze:
(Adj.) 1.
Syntagmen:
jm
. (z. B.
dem könig / babst / lehenherren, der frau / herschaft
)
t. sein
;
an jm
. (z. B.
an dem herren
›Gott‹,
dem römischen volk
)
t. bleiben
;
der treue diener
(mehrfach)
/ dienst / hund, das treue blut / gesinde, treue leute
.
Wortbildungen:
treu|bewert
(15. Jh.).

Belegblock:

Peil, Rollenhagen. Froschm.
643, 4274
(
Magdeb.
1608
):
Wie er [Fehnrich] nun sahe die grosse noth / | Want er sich in sein Fehnlein gut / | Zu sterben wie ein trewes bluth
(metonymisch für eine Person).
Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
der ist ein trewer diener, der in allen seinen werchen nicht anders suecht dann dy er gots.
Österley, Kirchhof. Wendunmuth (
Frankf.
1563
):
ein treuwer hund [...] sich von seinem herren nicht ablocken leßt.
Lemmer, Amman/Sachs. Ständeb.
2, 3
(
Frankf./M.
1568
):
Wir [Cardinal] sind Diener deß Stuls zu Rom / | Dem Bapst gantz treuw vnd gehorsam.
Mathesius, Passionale (
Leipzig
1587
):
der halte sich zu diesem thewren / trewen / warhafftigen / redlichen / klugen / willigen / außrichtsamen Diener.
Franck, Decl.
346, 14
(
Nürnb.
1531
):
Hat nit der groß Alexander [...] Clytum seinen innersten trewesten diener [...] erstochen?
Dietrich. Summaria
27v, 14
(
Nürnb.
1578
):
Des menschen Son ist kommen / das er diene [...]. Das heist je ein grosser trewer dienst / da man mit leib vnd leben den feinden dienet.
Thiele, Minner. II,
15, 250
(Hs. ˹
wobd.
,
15. Jh.
˺):
[ach Venus] tuͦ diß kunt der fröwen min, | ich wölle ir úmer trúwe sin!
Henisch (
Augsb.
1616
):
Was man an trewen arbeiteren vnnd dienern erspart / das gehet an Galgen / vnd macht / daß man desto weniger trew gesind find.
Klein, Oswald
43, 65
(
oobd.
,
1408
?):
Was hilft eu [edle frucht] neur mein teglich pein? | euer treuer diener wil ich sein.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 77, 27
;
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. ; ;
Vgl. ferner s. v. (Adj.) 1,  4, (Adj.) 6.
2.
›jm. verpflichtet, zugeneigt, wohlgesinnt; Sicherheit, Schutz gewährleistend‹; charakterisiert die idealtypische Haltung einer religiös, rechtlich oder sozial übergeordneten bzw. mächtigeren Person gegenüber Untergeordneten, Schutzbefohlenen oder Schutzbedürftigen; speziell von Gott oder Maria gesagt, dann: ›barmherzig, gnädig‹; gelegentlich ütr.;
vgl.  3.
Bedeutungsverwandte:
,  14, (Adj.) 2, (Adj.) 23, , ; vgl.  5,
2
 4, (Adj.) 24.
Gegensätze:
.
Syntagmen:
j
. (z. B.
got, der fürst
)
/ etw
. (z. B.
die höchsten glieder
)
t. sein
;
der treue got
(mehrfach)
/ lerer / vater, die treue mitlerin
(Maria),
treue herren / leute
.
Wortbildungen:
treuheit
,
treukeit
1.

Belegblock:

Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
der vrowen vnde der kinder vormunt heytzen ettewa eyn behalter, [...], ettewa eyn voget; so solen truͦwe luͦte sin.
Luther, WA (
1529
):
Behuͤt uns heut O trewer Gott Fuͤr aller sund und missethat.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1619
):
Stehe vns in allen noͤthen zu, | Treweste Mittlerin, | Muͦtter Gottes.
Wunderlich, Fierrabr.
41, 20
(
Simmern
1533
):
Edler Oliuier [...] ich hab mich euch ergeben / das were nit trew von euch / so ich ewer bin / vnd jr meiner verleugnet.
Mayer, Folz. Meisterl. (
nobd.
,
um 1480
):
Got hat uns vill verhaissen [...]: ,Mein volk wirt siczen in der schoͤn dez fricz, in dem tabernaccell der trewkeyt, [...].‘
Anderson u. a., Flugschrr.
23, 10, 4
([
Augsb.
]
1525
):
Das die hoͤchsten glyder / auch die nydersten nit verschmaͤhen / sonder lieb haben vnd denen verschonlich und trew seyn.
Reu, Süddt. Kat.
1, 609, 26
(
Nördlingen
1542
):
Gibt mir auch essen, [...] vnd sorget für mich als ein trewer vater, dz mir nichts außlige
(›mangele‹).
Qu. Brassó
5, 482, 35
(
siebenb.
,
1613
):
bin ich mit dem Fürsichtig Weisen Herrn Georgio Schram [...] auf die ½ Stadt verordnet worden, die Zechen aufs (!) Fürstlich Gnaden Treuheit zu beschwören.
Vgl. ferner s. v.  3.
3.
›einander verbunden, zugetan, freundlich, wohlwollend, verlässlich‹; kennzeichnet die ideale Haltung einander nahestehender, verwandtschaftlich, emotional, verfassungsbedingt oder in anderer Weise gemeinschaftlich verbundener Personen;
vgl.  6.
Phraseme:
jm. treuen schein tun
›jm. die letzte Ehre erweisen‹.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 3, , (Adj.) 23,  12, (Adj.) 2; vgl.  2,  2,  56, .
Syntagmen:
jm
. (z. B.
den kindern
)
t. sein
;
ein mittel
(Subj.)
jn
. (z. B.
alle männer
)
jm. t. machen
;
ein treuer bruder / freund / geselle / vater, die treue geselschaft, die treuen christen / eidgenossen / leute, das t. gemüt / herz
.
Wortbildungen:
treuherzig
1 ›wohlmeinend, liebevoll‹,
treumeinend
.

Belegblock:

Holland, H. J. v. Braunschw. V. e. vngerat. Sohn (
Wolfenb.
1594
):
So kan ich nicht vnterlassen, Euch trewhertzig vnd Vaterlich zuuermahnen.
Lieber Vater, Ewre trewhertzige erinnerung wil ich mit fleis in acht nehmen.
Meisen, Wierstr. Hist. Nuys
622
(
Köln
1476
):
dye dayr laegen erschossen, den deden sy truwen schyn.
Sachs (
Nürnb.
1531
):
Ein trewer freund der hab recht hold | Und sey ein auffenthalt dem leben.
Schorer, Sprachposaun
75, 13
(o. O.
1648
):
wann einer dem andern die Hand gegeben / haben sie [die alten Teutschen] dieselbe [...] geschuͤttet zum Zeichen jhr trewmeinenden Freundschafft.
Maaler (
Zürich
1561
):
Er ist mir nit minder Treüw / dan̄ seinē leyblichen kinderen. [...]. Treüwe staͤte freünd auff die man sich wol lassen darff.
Sappler, H. Kaufringer
13, 342
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
die [mein weib] ist ew [her pfaff] ie gewesen trew, | die hat ew gehalsen vil, | küßt und züngelt oun endes zil.
Koller, Ref. Siegmunds (Hs. ˹
Augsb.
,
um 1440
˺):
all treu cristen sein mit got und helffen schirmen.
Heydn. maister
36v, 13
(
Augsb.
1490
):
die naͣchsten vnd treüßten so dem Tÿrān verwant waren.
Dirr, Münchner Stadtr. (
moobd.
,
um 1365
):
Wir verpieten all aynung in uͤnsrer stat, daz niemant zuͦ dem andern swer oder lob, [...], wan wir all gemain und trew laͤwt an einander suͤllen sein.
Vgl. ferner s. v.  1.
4.
›gewissenhaft, redlich, ehrlich, pflichtbewusst‹; von Personen hinsichtlich ihrer idealtypisch geforderten Haltung bei der Ausführung einer Aufgabe (eines Amtes, Berufes, einer Pflicht u. Ä.) gesagt; auch: ›zuverlässig, vertrauenswürdig; verschwiegen‹; mit ironisch-negativer Konnotation: ›eifrig, unbeirrbar‹; häufig auf sachliche Bezugsgrößen bezogen, dann auch: ›recht, richtig; sorgfältig‹;
vgl.  7.
Phraseme:
das treueste und beste tun (ane gefar)
.
Bedeutungsverwandte:
, , (Adj.) 13, , (Adj.) 11, , ; vgl.  2, , ,  1.
Gegensätze:
(Adj.) 12, ,  2.
Syntagmen:
jn. t. abmessen / schätzen, etw
. (z. B.
das ampt
)
t. ausrichten
;
der treue bergmeister / bote / liebhaber
(e. S.) /
prediger
(mehrfach)
/ schulmeister / selsorger / vogt / wächter
,
der treue fleis / rat, die treue arbeit / erbarkeit / lere / meinung / müe / verhelung / verschweigung, das treue aufmerken / aufsehen / einsehen / zuschreiben
.
Wortbildungen:
treufleissig
›bemüht, eifrig, unbeirrbar‹.

Belegblock:

Stambaugh, Friederich. Saufft.
36, 20
(
Frankf./O.
1557
):
Gottes Wort aber / und alle trewe Prediger / haben den Wein und Bier [...] niemals verbotten.
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
13, 10
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
Wo sol ich heilstet finden? Wo sol ich treuen rat holen?
Gajek, Seidelius. Tych.
16, 22
(
Breslau
1613
):
Die Schuljugend vermahnet Er / | Das sie fleissig folg trewer Lehr.
v. Ingen, Zesen. Ged.
385, 1
(
Breslau
1641
):
weil alle die anmuthigen Liebes⸗Kuͤsse [...] von der Goͤttin der Liebe [...] an den schoͤnen Himmels⸗Saal gehaͤfftet werden / den treufleussigen Buhlern / [...] zu schimmern.
Dietrich. Summaria
19r, 24
(
Nürnb.
1578
):
Derhalben gehoͤrt dazu / das sie [Juͤnger] [...] / on allen falsch / trew vnd fleissig jr amt außrichten.
Schorer, Sprachposaun
4, 14
(o. O.
1648
):
[welches] aus [...] Vermengung guter vnd boͤser / leichtsinniger vnd standhaffter / trewer vnd falscher Meynung vnnd Erbarkeit her zu ruͤhren pflegt.
Maaler (
Zürich
1561
):
Treüwe waarhaffte botten.
Trüwe verhaͤlung / oder verschweygung.
Sappler, H. Kaufringer
8, 358
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
der gast gelupt im das, | das er [wirt] niemant sagt die mär, | wann er was trew und on gefär.
Heydn. maister
32v, 2
(
Augsb.
1490
):
niemāt d’ mit reÿ tumben [...] saͣlige ist, Sunder die ein klein guͦt haben. vn̄ nit hofertiger lere ein treüer liebhaber ist.
Dirr, Münchner Stadtr. (
moobd.
,
1340
):
daz er [antwerchsman] daz triwst und daz pest von seiner chunst getan hab ân geverd.
Piirainen, Stadtr. Kremnitz
28
(
mslow. inseldt.
,
1537
):
Die wail nicht [...] die pergkwergk an sonderliche guete ordnung treues auffmerken vnd einsehen mit klainem nutz megen gehandlet werden. [...] das man [...] die pergkhenndel mit einem trew(n), Vleÿsigen, vnnd pergkverstendigen pergkmaister versehe.
Vgl. ferner s. v.  3,  4, ,  6,  12.
5.
›eine religiös, ethisch, sozial geforderte und in hohem Maße gewünschte Qualität oder Charaktereigenschaft aufweisend‹ (von Personen, sozialen Verbänden und abstrakten Bezugsgrößen gesagt); die Nuancierungen reichen von ›recht, vortrefflich, ehrbar, tüchtig‹ über ›aufrichtig, integer, beharrlich‹ bis hin zu ›sittsam, zurückhaltend‹ (dies vor allem von Frauen gefordert); als Generalisierung zu 4 auffassbar.
Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘, meist gebundener Form.
Bedeutungsverwandte:
, , , (Adj.) 6, (Adj.) 23, ; vgl.  6, (Adj.) 1,  89,  2, (Adj.) 3.
Syntagmen:
jn. t. wissen
;
der treue
(subst.)
tugend walten
;
der treue heiland / mut, die treue katze
(als Adynaton),
das treue fundament / herz
;
die treueste ob allen weibern
.
Wortbildungen
treufest
(dazu bdv.:  1),
treuherzig
2 ›arglos, vertrauensselig, gutgläubig‹,
treukeit
2,
treu|stätigkeit
›zuverlässige Beständigkeit‹.

Belegblock:

Schöpper (
Dortm.
1550
):
Fidelis. Getrew trewfäst glaubhafft glaubhältig waarhafftig.
Luther, WA (
1524
):
lern [werdes liecht] uns Jhesum Christ kennen alleyn, | Das wyr an yhm bleyben dem trewen Heyland.
Peil, Rollenhagen. Froschm.
145, 3159
(
Magdeb.
1608
):
[DEr Haushan] Wust nicht / das ich [Reinick] ein Moͤrder war.
Stackmann u. a., Frauenlob
6, 3, 7
(Hs. ˹
md.
auf nd. Grundlage,
v. M. 14. Jh.
˺):
Unprislich tat sie riutet | uz triuwen herzen mit ir rat.
Ebd.
11, 1, 11
(Hs. ˹
nobd.
,
3. V. 15. Jh.
˺):
Min triuwer mut in triuwen ganz, | sin rede ist als ein blünder kranz.
Meisen, Wierstr. Hist. Nuys
272
(
Köln
1476
):
O Coln hyllych Ind Bunne
[›Bonn‹]
truw, | Vch eert man byllych.
Sachs (
Nürnb.
1553
):
Mein Paulina, ich weiß ganz sat | Dich trew, fromb, züchtig, keusch und rein.
Thiele, Minner. II,
10, 287
(Hs. ˹
nalem.
/
sfrk.
,
1470
/
90
˺):
so dett er billich frewen sich | [...] | das inn zu frewd hatt erkorn | die drẅst ob allen wiben.
Ebd.
12, 70
:
wan du wilt wol bedorffen | eyns steten, druwen, vesten fundamentes.
Ebd.
21, 49
(Hs. ˹
wobd.
,
15. Jh.
˺):
das sye ist beliben | mit werdem lob oͮn alles mail, | und meng hertz doch machet geil | mit irer zarten triukait, | die got selb an sie hät geleit.
Sappler, H. Kaufringer
5, 322
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
der jung ritter frumm und trew | sprach zuo im in tugentkraft.
Jaksche, Gundacker (
oobd.
, Hs.
1. H. 14. Jh.
):
daz er [Columban] so erberlich sich hielt; | der triwe vil tûgend wielt
(›besaß‹).
Klein, Oswald
77, 1, 5
(
oobd.
,
um 1418
):
Halt wie es get, mein Öselein, | inn deiner schül treu stetikait, | die wil ich leren ewikleich.
6.
in Phrasemen auf dem Weg zur Wortbildung:
(die) treue hand
›treuhänderische (stellvertretende, nicht von eigenen Interessen geleitete) Aufsicht oder Verwaltung von etw.‹ (z. B. von Besitz, fremden Rechten; vgl. dazu  9, ); seltener:
treuer trager
›Anwalt, Rechtsvertreter‹ (vgl. dazu  4, ).
Zur Sache:
Lex. d. Mal.
8, 978
f.
Bedeutungsverwandte:
 3.
Gegensätze
(im Phrasem: ).
Syntagmen:
die treue hand
(Subj.)
geübt / vernichtiget werden, durch alle lande gehen
(personifiziert);
jm. etw. an der treuen hand unschädlich sein, dem gericht geld zu treuer hand leihen, etw. zu treuer hand behalten, etw
. (Subj.)
zu treuen händen liegen, gestelt sein
.

Belegblock:

Sachs (
Nürnb.
1551
):
Den selben wil ich langen ahn, | Das er mirs bhalt zu trewer handt.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 24, 25
(
Hagenau
1534
):
Trewe hand gehet durch alle land / Untrewe hand gehet hyn kompt aber nicht herwidder
(Überschrift).
Bastian u. a., Regensb. UB
381, 35
(
oobd.
,
1371
):
Marttein [...] erklärt [...] nur seines Bruders und dessen Frau
treuwer trager
zu sein und sonst keine Rechte zu haben
.
Wopfner, Bauernkr. Tirol
177, 19
(
tir.
,
1525
):
Er hat aŭch die zechlew̆t gestrafft, die ein gelt dem ganntzen gericht Firgen zŭ trew̆er hanndt in der eyl gelihen haben.
Vgl. ferner s. v.  9.