mitleiden,
das
;
-s/–
;
Verbalsubstantivum, als Lehnübertragung aus
lat.
compassio
und
commiseratio
auffassbar.
1.
›das Mitleiden, über das rezeptiv teilnehmende Mitleid mit den Schmerzen, der Not, dem Unglück (usw.) einer oft im Nähebereich stehenden Person (s. dazu 2) hinausgehender Mit-, Nachvollzug der genannten Erfahrungen durch eine von diesen nicht betroffene Person‹;
mitleiden
1 bezieht sich auf das gesamte Spektrum gefühlter, gedanklicher und körperlicher Peinigung; es wird (vor allem in mystisch inspirierten Texten) von dem existentiell reziproken Einssein Gottes (speziell in der Person Christi) mit den Menschen, der Menschen untereinander sowie tendenziell alles Seienden her semantisiert und ist insofern ungerichtet; indem die Heilstat Gottes (mit der Passion, dem Tod Christi) als Orientierungspunkt für alles
mitleiden
semantisiert wird, erhält es jedoch eine Richtung: von Gott ausgehend auf den erlösungsbedürftigen Menschen, von diesem zurück auf Gott als Erlöser; damit verbindet sich der Aufruf,
mitleiden
als Handlungsverpflichtung des Menschen gegenüber Gott sowie den Mitmenschen zu betrachten und in den Tugenden zu realisieren; die bedeutungsverwandten Ausdrücke (s. u.) kennzeichnen besonders mit
barmherzigkeit, minne, güte
die Qualität der theologischen Begründung von
mitleiden
; zu weiteren inhaltlichen Details und Nuancierungen s. die Syntagmen und die Belege;
vgl.  23, (
das
12.
Gewisse Beleghäufung für das Wobd. und das ältere und mittlere Frnhd.; Texte der Sinnwelt ,Religion‘, speziell der Mystik.
Bedeutungsverwandte:
 12,  1234, , , ,  234,  1,  1234,  6.
Syntagmen:
m. finden / tragen
(mehrfach),
(mit jm. / js. leiden) m. haben
(oft),
j. (Jesus / Christus) m. mit den Juden haben, Christus m. mit js. krankheit haben, j. m. mit Christi leiden haben, j. m. mit den schafen haben
;
das m. eine quetzung / bewegung des herzen sein, aus gütlichkeit, aus der gemeinsame kommen, jn. durchweichen / trösten, das leiden minnern
;
jn. des mitleidens überheben
;
js. elend / sünde durch m. beweisen, in m. kommen, in m. gemeinsame miteinander haben, jm. in mitleiden gegenwärtig sein, jn. zu m. bewegen
;
das m. der welt, des freundes / gottes
(jeweils: ›mit ...‹),
des herzen / todes, des Johannes, im willen, mit dem nächsten
(mehrfach);
das befindliche / bittere / brüchliche / christliche / christförmige / erbärmliche
›erbarmende‹
/ geschworene / götliche
(›mit Gott‹)
/ grosse / gründliche / unerleidliche m
.
Wortbildungen:
mitleid
(vereinzelt).

Belegblock:

Schöpper (
Dortm.
1550
):
MISERICORDIA Barmhertzikeit erbarmung erbermbd gnad guͤte mitleiden.
Quint, Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
spriche ich, daz vriundes mitlîden minnert natiurlîche diz lîden. Mac mich danne trœsten eines menschen lîden, daz ez mit mir hât, sô sol mich vil mê trœsten gotes mitlîden.
Froning, Alsf. Passionssp.
6329
(
ohess.
,
1501ff.
):
ich [mond] | [...] | [...] vorließ mynen glantz obernaturlich | in mytliden dynes tods bitterlich!
Reichert, Gesamtausl. Messe
32, 30
(
Nürnb.
um 1480
):
das hinter kreutz am meßgewandt bedeut, das der priester seines nechsten [...] durch ein mitleyden ir ellend und suende beweynen sol.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
daz er [...] sich erbrach in ein cristfoͤrmig mitliden alles des, daz sin herr und sin got Cristus vor hate geliten.
enkondest du in diner ewigen wisheit kein ander wise vinden, mich ze behaltenne [...], daz du dich des grozen lidens und mich dez bittern mitlidennes hettist úberhebt?
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
1359
):
Dise barmherzkeit sol der mensche vinden und uͤben an sinem gemuͤte inwendig, also das er in ime vinde ein gruntlich getrúwelich mitliden mit sinem nechsten.
Eichler, Ruusbr. obd. Brul.
1, 576
(
els.
,
E. 14. Jh.
):
Vs guͤtlicheit kummet mitteliden vnd ein gemeine mitteliden mit allen menschen. [...] Dis mitteliden, daz ist ein innewendig bewegen des hertzen mit barmehertzikeit zvͦ aller menschen not, liplich oder geistliche.
Ebd.
585
:
Mitteliden duͦt den menschen sich selben anesehen vnd merken sinen gebresten.
Ebd.
606
:
Wan mitteliden ist ein quetzunge des hertzen, die die minne machet gemeine zvͦ allen menschen.
Ebd.
2, 1258
:
so kummet er [mensche] bi wilen in soliche minneliche andaht vnd beuintlich mitteliden, daz er begert, mit Cristo genegelt zvͦ sinde.
Strauch, Schürebrand (
els.
,
E. 14. Jh.
):
der [Christus] sol úch billiche alle zit gegenwertig sin in rehter minnender truwe und mittelidende.
Rieder, Gottesfr. (
els.
,
1377
):
Marien iomer ir hertze versneit, | Daz mitteliden Johans Ewangelist | Hie gegenwertig gemolet ist.
Warnock, Pred. Paulis
3, 169
(
önalem.
,
1490
/
4
):
die sollint mit im
[Christus]
uferhept werden an disen pom des hailgen crúzes mit ainem trúwen mitliden.
Ebd.
10, 171
:
Der grecht wirt gemanigfaltiget durch erbarmhertzikait und ain trúws mitliden mit sinem nächsten.
Illing, Albert. Sup. miss.
660
(
els.
,
n. 1380
):
also suͥllent wir oͮch eine gemeinsame haben mittenander alle cristenmenschen in eime geworen mittelide mit allen den, die in lidende sint liplich oder geischliche.
Ebd.
665
:
In dem mittelidende dez herzen so werden wir glichet vnserme herren ihesu cristo, der sich von mittelide vmbe unser iamerkeit het geben in manigualtig liden.
Lindqvist, K. v. Helmsd.
934
(
halem.
, Hs.
um 1435
):
Hie mitt Jhesus der werde vin | Mittliden hatt der juden pin.
v. Ingen, Zesen. Rosenw.
99, 12
;
Rosenthal. Bedencken
40, 15
;
Perez, Dietzin
1, 316, 22
;
Oorschot, Spee/Schmidt. Caut. Crim.
207, 8
;
Karsten, Md. Paraphr. Hiob ;
Mathesius, Passionale ;
Steer, Schol. Gnadenl.
2, 153
;
Gille u. a., M. Beheim
303, 158
;
Bihlmeyer, a. a. O. ;
Eichler, a. a. O.
2, 1075
;
Illing, a. a. O.
758
;
Warnock, a. a. O.
2, 291
;
Goldammer, Paracelsus
6, 195, 11
;
7, 478, 13
;
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
95, 30
;
Lindqvist, a. a. O.
608
.
Vgl. ferner s. v. (
das
1,  5,  4.
2.
›Anteilnahme, Mitgefühl, die bzw. das eine Person gegenüber einer anderen, gegenüber einer Personengruppe oder js. Unglück hegt‹; im Unterschied zu 1 nicht primär theologisch begründet, eher auf die normalsoziale Beziehung zum anderen bezogen.
Bedeutungsverwandte:
 3,  25; vgl. , .
Syntagmen:
m. mit jm., mit einem kloster, mit js. arbeit / schuld
›Schulden‹
haben / halten, der rabe m. mit dem as haben
;
aus m. jn. fragen, etw
. (Subj.)
aus m. geschehen, jn. aus m. für eine magd ansehen, jn. zu einem m. bewegen
;
das getreue / lautere m
.
Wortbildungen:
mitleidsamkeit
.

Belegblock:

Luther, WA (
1533
):
wie ein Doctor hab einen Koͤler zu Prage auff der bruͤcken aus mit leiden, als uber einen armen leyen, gefragt: Lieber man, Was gleubstu?
Peil, Rollenhagen. Froschm.
219, 5388
(
Magdeb.
1608
):
Vnd ist niemand der nach mir fragt / | Oder mitleiden mit mir trag.
Mieder, Lehmann. Flor. (
Lübeck
1639
):
Viel Leut seynd also / daß sie mit einem mitleyden haben / wie der Rab mit dem Aaß / er beklagts vnd frists.
Chron. Köln (
Köln
1499
):
umb sulche blodige strackheit ind wreitheit afzostellen, hain ich uis vruntlicher mitlitsamheit zo uch gesant ein min van den wisesten ind getruwesten raitzmenne.
Küther, UB Frauensee
150, 21
(
thür.
,
1365
):
das sy han miteliden gehabit myt unser ebenanten clostir unde convente yn irme betrubniß.
Rupprich, Dürer (
nobd.
,
1506
):
ich pit ewch, habt mit leiden mit meiner schuld, [...]. Als pald mir got heim hilft, so [...].
Maaler (
Zürich
1561
):
Mitleyden (das) so man mit eim hat. Commiseratio, misericordia.
Dreckmann, H. Mair. Troja
18, 3
(
oschwäb.
,
1393
):
o du edliu fraw, wie kan ich iu gedanken, daz ir ain mitlaiden habt mit meiner arbait.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Scharpff / on barmhertzigkeit / ohn alles mitleiden.
Peil, a. a. O.
561, 1726
;
Bömer, Pilgerf. träum. Mönch ;
Moscherosch. Ges. Phil. v. Sittew. ; ;
Fischer, Eunuchus d. Terenz ;
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. .
Vgl. ferner s. v.  3.
3.
›steuerliche Belastung e. P., Abgabepflicht; tatsächliche Beteiligung an den Lasten einer Rechts- und Wirtschaftseinheit, entrichteter Betrag; Steuerpflicht, der j. unterliegt‹; von
mitleiden
im Sinne von
leiden
(V., unr. abl.) 6 ›eine Verpflichtung übernehmen‹ her motiviert.
Obd.; Rechts- und Wirtschaftstexte, Chroniken.
Bedeutungsverwandte:
 67,  23,  2,  2,  1, .
Syntagmen:
m. geben / haben
(vielfach) /
halten / tragen / verrichten
;
sich aus dem m. ziehen, j. in m. sein, jn. in das m. aufnemen, die hebamme nicht mit m. beladen, j. von m. ledig sein
;
das m. der stat, mit dem markt
;
das bürgerliche / gebürliche / gemeine
(mehrfach)
/ nachbarliche m
.;
die bürde in dem m
.

Belegblock:

Wutke, Schles. Bergb., Cod. Sil. (
schles.
,
1537
):
dass etzlich vom adel alhie wohnhaftig sitzen und mit der gemein kein mitleiden tragen wollen.
Chron. Augsb. (
schwäb.
,
1451
):
wie vorzeiten etlich unser buͦrger iren aigin nuͦtze fürgenomen haben und vermainten, sich auß dem gemainen mitleiden und buͦrgerrecht diser stat zuͦ zihen.
den soll man nicht anders aufnehmen
dann in unbedingt ungevarlich gemain burgerrechte und gepürlich mitleiden.
Ebd. (
schwäb.
,
v. 1536
):
daß sie [...] die steur, wach und umgelt bezallen, auch all ander burgerlich mitleiden tragen.
Brunner, Rechtsqu. Krems u. Stein
189, 46
(
moobd.
,
1524
):
das die selben bey inen wie ander inwoner alles des genyessen, was ir notturfft erfordert, und doch kain mittleyden tragen.
Bischoff u. a., Steir. u. kärnt. Taid. (
m/soobd.
,
17. Jh.
):
das ein solcher unter den gerichtsstaab [...] in allen burgerlichen mitleiden begriffen sein [...] solle.
Uhlirz, Qu. Wien ;
Brunner, a. a. O.
110, 47
;
Mell u. a., Steir. Taid. ;
Winter, Nöst. Weist. ;