glose,
die
,
sehr vereinzelt
das
;
-Ø/-n
;
über
mhd.
glôse
aus
lat.
glossa
(; ).
1.
›Auslegung, Erklärung, Erläuterung, Deutung eines Textes oder einer Textstelle‹; die
glose
kann dabei einer unterschiedlichen Bewertung und Funktion unterliegen: Verfaßt von
hohen meistern
, die mit
gottes gift
ausgestattet sind, enthüllt sie einmal den letztlich nicht
zu grunde
erfaßbaren
tieferen / hohen / grossen sin
des Textes, dient damit der Fesselung des Rezipienten an den Text (vgl. Beleg
Karsten
und dessen Umfeld), oder sie faßt die dem Text zugeschriebene eigentliche
warheit
in einer kurzen, auf Anhieb verständlichen, sentenzenhaften Erklärung zusammen und dient damit eher als Verständnishilfe; in dieser letzteren Funktion öffnet sich die
glose
zur individuellen Interpretation und damit zu eigenen Instrumentalisierungen; sie tritt in Unterscheidung oder gar in Gegensatz zu
warheit
(vgl. 2);
glose
kann dann ›eigenes Verständnis, bestimmte Auslegung, Meinung‹ bedeuten.
Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘.
Syntagmen:
die / eine g. geben / machen
›etw. erklären / deuten‹ /
lesen / merken / vernemen / verstehen / deuten / können / wissen, die comedie eine g. haben, eine g. in dem haben, das [...], die gebote eine g. gewinnen, j
. (z. B.
Moses
)
eine g. geben, jm. eine g. vorlegen / sagen
;
die g
. (Subj.)
sprechen
[+ Hauptsatz]
/ das [...]
;
die worte /
[ein Text]
einer g. (be)dürfen; die warheit ane g. sagen, durch eine g. etw. sagen, in der g. etw. stehen, in der g. etw. geschrieben finden, etw
. (z. B.
eine schrift
)
mit einer g. zieren, von der g. etw. über den sin wissen
;
die g. der schrift, des textes / sinnes, auf den psalter, aus den heiden
›heidnischer Schriftsteller‹,
in einem buche, über einen spruch, über Lucas, über das evangelium, von der kunst
;
die edle / einfältige / feine / fremde / gesprochene / klare / kundige / tiefe / verständliche g
.;
weise der g
.;
der psalter mit einer g., nach js. g
.

Belegblock:

Luther, WA (
1522
):
das ist die glosze ubir das wort christi Matth. V. ,Wer mit dyr rechten wil umb den mantel, dem lasz auch den rock‘.
Ders. Hl. Schrifft. Hebr. Vorr.
2433, 23
(
Wittenb.
1545
):
wiewol man mag eine Glose darauff machen / So lauten doch die wort so klar / das [...].
Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
so vil man aber weiz dar abe | Von tiefen gesprochen glosin | Der meister, die gnuk ho sin | Gepriset an der waren schrift.
Meijboom, Pilgerf. träum. Mönch
13296
(
rib.
,
1444
):
Dat synt de glosen van der kunst | Da bij man wissen mach vil vernunst.
Lichtenstein, Lindener. Katzip. (o. O.
1558
):
Denselbigen knecht lobt sie [weib] dem bawren sehr, wie das er [...] wol arbeyten kündt, nach irem verstandt unnd glosse.
Ulner (
Frankf.
1577
):
Leuterung. Erklaͤrung / declaration / außlegung / Glosse / interpretation / eroͤffnung.
Karsten, Md. Paraphr. Hiob (
omd.
,
1338
):
Dor uf spricht daz gloselin | Daz man vernemen by dem vy | Sol di lute di al hy | Heymlich dem tuvel wesen.
v. Groote, Muskatblut (
nobd.
,
1. H. 15. Jh.
):
Maria rose zwar duse glose | die glich ich dir!
Gille u. a., M. Beheim
111
, Ü (
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
daz ist daz glos ubar daz ewengilg zu der krist mess.
Mayer, Folz. Meisterl. (
nobd.
,
v. 1496
):
frag ob Got | Und mensch geschiden sey. | Hie wellen etlich sprechen ,ja‘, | Haben ein sulche gloß in dem, | So er im grab kein mensch nit wer.
Ebd. (
um 1480
):
,Daz feuer durchget sie [wellt] in dem angesicht dez richterz.‘ Dar uber di gloß spricht daz diß ein materglich feur sein wirt, durch welchs verprent wirt daz antlit diser welt.
Sachs (
Nürnb.
1562
):
Also Christus das gsetz erklert | Von dem ehbruch geistlich gar scharff, | Das einer kurtzen gloß bedarff, | Mit weng worten dem gmeinen mann | Den text klerlichen zu verstahn.
Ebd. (
1563
):
Deß textes verstandt hoch und groß | Vernembt mit einfeltiger gloß!
Ebd. (
1567
):
Auch fand ich in mein büchern gschriben | Artlicher dialogos siben, | Doch ungereimet in der pros, | Ganz deutlich frey, on alle glos.
Kurrelmeyer, Dt. Bibel (
Straßb.
1466
):
so ich ir daz wurd lauttern in der weis eins kurtzen verstentlichen gloͤsleins.
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
,herre‘, spricht er, ,beriht mich von den unhailgen lúten; daz ist von den súnden, sprichet dú glose.
Ziesemer, Marienb. Ämterb.
124, 17
;
Helm, a. a. O. ;
Fischer, Brun v. Schoneb. ; ;
Stackmann u. a., Frauenlob
7, 41, 19
;
Reissenberger, Väterb. ;
Ettmüller, Heinr. v. Meißen
275, 7
;
Meijboom, a. a. O.
9689
;
Froning, Alsf. Passionssp.
2377
;
Strauch, Par. anime int.
40, 8
;
Pyritz, Minneburg
1674
;
3402
;
Gille u. a., a. a. O.
184, 101
;
Mayer, a. a. O. ;
Bell, G. Hager
246, 3, 8
;
476, 2, 7
;
Vetter, Pred. Taulers ; ;
Bächtold, N. Manuel. Barb.
182, 1349
;
Martin, H. v. Sachsenh. Tempel
14
;
Jörg, Salat. Reformationschr.
87, 33
;
Rieder, a. a. O. ;
Tittmann, Schausp. 16. Jh. Wild.
244, 436
;
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. ; ; ;
Niewöhner, Teichner
564, 3616
;
Hohmann, H. v. Langenstein. Untersch.
77, 104
;
Baptist-Hlawatsch, U. v. Pottenst.
472
;
Rot
314
;
Dietz, Wb. Luther ;
Goertz, Liturgie.
1977, 128
.
Vgl. ferner s. v.  5,  2,  2, .
2.
›auf das eigene Ich und seine Interessen bezogene klügelnde bis bewußt irreführende, verfälschende Erklärung, Aussage, Deutung, Interpretation eines Sachverhaltes, parteiische Schriftauslegung (etwa für oder gegen die Reformation), beschönigende Umschweife, Ausflüchte, Ausreden‹.
Gewisse Beleghäufung für Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘.
Phraseme:
ane glose
;
sunder alle glose
, jeweils verwahrformelhaft;
(viel) glöslein finden
›Ausreden finden‹.
Bedeutungsverwandte:
, , .
Gegensätze:
.
Syntagmen:
eine glose / glosen (er)dichten / brauchen / annemen / hören / strafen / verwerfen / fürgeben, [woran] schmieren, (k)eine, nicht viel glosen machen
;
wäre die g. ausblieben! die g.
(Subj.)
den nächsten ausmalen, den teufel hereinfüren, nach dem dünkel ortern, ein schalk sein
;
den glosen folgen
;
etw. ane g. bleiben lassen, den brief
(›Urkunde‹)
ane g. halten, etw. ane g
. ›zweifellos‹
ein gift sein, etw. mit glosen ausfüllen / lästern / verdämpfen / verderben / verfinstern / verkeren / zubringen, sich vor einer g. hüten, sich e. S
. (z. B.
der simonei
)
mit glosen beschönen
;
glosen der menschen / sophisten
;
die arme / erdichtete / eigene / falsche
(mehrfach)
/ faule / jüdische / heuchlische / krumme / listige / lose / menschliche / schöne / sophistische / unleidliche / verspottende / weitläufige g
.;
wort ane g
.
Wortbildungen:
glosenglaube
,
glösler
›Kritiker‹ (a. 1528).

Belegblock:

wilch gloße sie auß yhrem eygen kopff ertichten.
Ebd. (
1544
):
Darumb mus man keine glose machen, sondern schlechts also verstehen, wie die wort lauten.
Ebd. (
1527
):
Bleiben dennoch wol frume eintrechtige Christen ynn der veter glosen glauben, das ist ym losen glauben.
heben an am schlegel zu flicken, wolten sich gern schmucken mit dem gloslin, das die Messe [...] sol Ein ministeriale [...] sein. [...]. Auch wird dis gloslin eine [...] lugen.
Spanier, Murner. Schelmenz.
2, 28
(
Frankf.
1512
):
Die sachen sindt all wol beschribben, | Wer die gloß drum vß belibben!
Anderson u. a., Flugschrr.
1, 9, 32
(
Leipzig
1520
):
Diß sein die offenbare vñ vnuerdackte wort / vnßers seligmachers / an alle gloß ader verfelschung.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
wan ane alle glose sind sú [gespilschaft] dir ein gift.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
Dis ist ein kunst do alle kúnste inne beslossen sint der man zuͦ warer heilikeit bedarf; daz were ware demuͤtikeit sunder alle glose.
Chron. Strassb. (
els.
,
1362
):
simonie die sü [bobest, cardinal] gewonlich tribent und sich des beschonent mit falschen glosen.
Bobertag, Schwänke (
Straßb.
1522
):
Die guͦt fraw verstuͦnd es nach dem buͦchstaben, vnd konnt nit vil gloß machen.
V. Anshelm. Berner Chron.
5, 6, 15
(
halem.
,
n. 1529
):
Diewil si denn den sin ganz verkêren und dem evangelio zuͦwider uns ein unlidliche gloss machen.
Welti, Stadtr. Bern (
halem.
,
n. 1437
):
das die selben brieff, [...] ane alles mittel, inwúrff vnd glos soͤllent gehalten werden.
Schlosser, H. v. Sachsenh.
2288
(
schwäb.
,
1453
):
So es [nünlin] den text nit sagen wil, | So kan es finden glößlin vil, | Das es der bichter nit verstand.
Bihlmeyer, a. a. O. ;
Vetter, a. a. O. ; ; ;
Anderson u. a., a. a. O.
18, 7, 10
;
V. Anshelm. a. a. O. f.;
Rennefahrt, Statut. Saanen ;
Jörg, Salat. Reformationschr.
82, 7
;
Pfeiffer-Belli, Murner im Glaubensk.
3, 76, 22
;
Reu, Süddt. Kat.
1, 816, 42
;
Niewöhner, Teichner
564, 3630
;
Dietz, Wb. Luther f.;
Eckel, Fremdw. Murners.
1978, 93
;
Vgl. ferner s. v.
1
 3.
3.
›Losung, Kennwort‹.
Bedeutungsverwandte:
vgl. , .

Belegblock:

Schoop, Qu. Düren
31, 34
(
rib.
,
1609
):
Die Wachtmeister sollen [...] jedem Ruttmeister auf der Mauren bei seiner Scharwacht die Gloss geben.
Ebd.
32, 26
.