anrufen,
anrüfen
(ersteres etwas häufiger belegt, letzteres vorw. obd.),
V.;
regelmäßige (für
anrüfen
) und unregelmäßige (für
anrufen
) Formen sind unter semantischem Gesichtspunkt nicht trennbar; dies gilt auch für
anrufer / anrüfer
und
anrufung / anrüfung.
Aus diesen Gründen wird jeweils von einer einzigen Worteinheit ausgegangen.
1.
›jn. anschreien; jm. etw. laut zurufen, nach jm. rufen; jn. rufend zu etw. auffordern‹; offen zu 2 und 3.

Belegblock:

Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
dat volk hie anreif, | dat si leifen zo velde | ind hoilden den man mit gewelde.
Feudel, Evangelistar
32, 31
(
omd.
,
M. 14. Jh.
):
Jhesus rif sy an unde liz sy nicht sprechen.
Päpke, Marienl. Wernher (
halem.
,
v. 1382
):
Do er [der herre] ze Peters fuͤssen kam, | Der erschrak und ruͦft in an.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
300, 3
(
moobd.
,
1473
/
8
):
Achilles sy anrueffen | gar manlich thet.
Winter, Nöst. Weist. (
moobd.
,
M. 15. Jh.
):
ob aber der wirt iemant anrueft und trib im ainen solichn gewalt in dem haus.
Feudel, a. a. O.
18, 15
;
2.
›jn./(selten:) etw. mit erhobener Stimme um Hilfe ansprechen, jn. rufend bitten, jn. anflehen; um etw. bitten, flehen‹; oft im religiösen Sinne verwendet, dann vereinzelt mit der Nuance ‚jn. religiös verehren‘.
Bedeutungsverwandte:
 3,  5,  2, (V.) 3,  2, (V.) 2, ; vgl. ,  1,  3.
Syntagmen:
got
(oft)
/ den (heiligen) geist / herren / Jesus / vater / heiligen / menschen, Maria, die mutter (gottes) a., die gnade / kraft / js. kekheit, das holz, den stein, den namen (des herren), das blut a.
;
jn. um etw.
(z. B.
hilfe / barmherzigkeit / sterben
)
a., jn. für einen got a.
;
die hilfe / gnade a.
; subst.:
auf anrufen
›auf Ersuchen, Veranlassung‹ (dazu bdv.: ).
Wortbildungen:
anruf
1,
anrufbrief
1.

Belegblock:

Jostes, Eckhart
76, 19
(
14. Jh.
):
Alle creaturen ruffen an den menschen, daz er got minne.
Hübner, Buch Daniel :
Rufe wir Marien an, | [...] | Daz sie uns unser sinne | Behalde ane wanken.
Eggers, Psalter
4, 11
(
thür.
,
1378
):
Do ich vn ane rif, da gehorte he mich, der got miner rechteheite.
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
14, 12
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
ee hat zu lange gelebt, wer uns umb sterben hat angeruft.
Opel, Spittendorf (
osächs.
,
um 1480
):
das man noch ansuchen muste an die von Magdeburg und sie anrufen, mit uns die fursten zu besuchen.
Pyritz, Minneburg
1675
(
nobd.
, Hs.
um 1400
):
Wer wol von got wil kosen, | Der muͤs mit synnes glosen | In ruffen an umb stur, umb helff.
Gille u. a., M. Beheim
449, 231
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
so wurstu schnelliglich erlast | von dem anruff des namen.
hail. altvaͤter (
schwäb.
,
E. 14. Jh.
):
das ir [...] got weder getorst an ruͤffen noch sinen namen genẽmen.
Ruh, Bonaventura
337, 21
(
oschwäb.
,
2. V. 15. Jh.
):
Zem vierden gegnet geschray in anruͦffen hilff vierlay.
Chron. Augsb. (
schwäb.
,
1523
/
7
):
da ward ain junger burger [...] gefangen auff anrieffen seiner fraind.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
daz die götter und die gaist, die man anruoft mit pildengeschrift [...], die zaubrœr dester ê erhœrnt.
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. (
oobd.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
das wir unns auff Ewr hoch anrueffen, ersuechen und versprechen in aigner personn [...] auffmachten.
Spiller, Füetrer. Bay. Chron. (
moobd.
,
1478
/
81
):
so rüeff ich an [...] die hilff vnd genad des heiligen geists.
Als dise [...] junckfraw [...] die zwen so gar erpärmklich anrüefte, so das ir geperd und pet durch ain stainen hertz möcht gedrwngen haben.
Bauer, Imitatio Haller
85, 15
(
tir.
,
1466
):
wir süllen gott fleissikchleicher vnd inprünstikleicher an rueffen vnd pitten, das er vns czue hilff kchöm.
Helm, H. v. Hesler. Apok. ; ;
Quint, Eckharts Trakt. ;
Rosenthal. Bedencken
12, 19
;
Froning, Alsf. Passionssp.
1591
;
Franz u. a., Qu. hess. Ref.
3, 2, 245, 19
;
Hübner, a. a. O. ; ;
Neumann, Rothe. Keuschh.
2289
;
Kehrein, Kath. Gesangb. ; ; ;
Pyritz, a. a. O.
4891
;
Gille u. a., a. a. O.
84, 188
;
238, 145
;
262, 75
;
352, 157
;
449, 229
;
Mayer, Folz. Meisterl. ;
Bell, G. Hager
275, 1, 17
;
Rieder, St. Georg. Pred. ;
Koller, Ref. Siegmunds ;
Banz, Christus u. d. minn. Seele
991
;
1559
;
Päpke, Marienl. Wernher ; ; ;
Lindqvist, K. v. Helmsd.
1220
;
3502
;
Kottinger, Ruffs Etter Heini ;
Spechtler, Mönch v. Salzb.
23, 21
;
Pfeiffer, a. a. O. ;
Bischoff u. a., Steir. u. kärnt. Taid. ;
Voc. Teut.-Lat.
b iiijv
;
Dietz, Wb. Luther ;
3.
›jm. etw. gebieten; etw. anordnen‹.
Bedeutungsverwandte
(zu letzterer Variante):  2.

Belegblock:

Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
hat man aber on angerouͦfen, Daz her nicht ne werfe.
Mell u. a., Steir. Taid. (
m/soobd.
,
1546
):
darauf angeruefen solh aindlif phunt vier schilling phening abzustellen.
Winter, Nöst. Weist. (
moobd.
,
17. Jh.
):
und einer daßselbig ansagen veracht oder anruefen.
4.
›jn. (als Instanz)/etw. (eine Instanz) zur Sicherung von Rechten bemühen, um Rechtshilfe bitten‹; oft:
das recht anrufen
›vor Gericht gehen‹.
Bedeutungsverwandte:
; vgl.  4.

Belegblock:

Kollnig, Weist. Schriesh.
105, 36
(
rhfrk.
,
1569
):
Mögen sie das nicht tun, sollen sie anrufen die andere dorf.
Grosch u. a., Schöffenspr. Pössneck
207, 16
(
thür.
,
1474
):
(er) hat des daz obirste gerichte angeruffen unde Ticzeln Zcahenen vorgeladen met rechten gebotin.
Chron. Nürnb. (
nobd.
,
1400
):
wenn wir dann [...] unsern gnedigen herren [...] anruͤffen, so sol er uns getrewlichen mit aller seiner macht beholffen sein.
Kohler u. a., Bamb. Halsger. (
Bamb.
1507
):
so ein ancleger vnser amptleut oder Richter anruft, yemant zu Strengem Rechten zu gefengknus zu legen.
Koller, Ref. Siegmunds (Hs. ˹
Basel
,
um 1440
˺):
sy süllent ǒch gehorsam sin allen, die sie anrieffent, nieman abslahen.
Chron. Augsb. (
schwäb.
, Hs.
16. Jh.
):
wer [...] das recht anrüefte.
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. (
oobd.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
die von Kollen am maysten ruefften den kayser an, das er [...] solchem furcham.
Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
Der jung herzog rueft das recht an, sprach an das herzogtumb Bairn.
Siegel u. a., Salzb. Taid. (
smoobd.
, Hs.
1585
):
so mag der pfender umb recht anrüefen und das eingethon oder gepfendt viech umb den übertrib [...] beclagen.
Kollnig, a. a. O.
122, 19
;
Siegel u. a., a. a. O. ;
Grossmann, a. a. O. ;
Bad. Wb.
1, 59
;
5.
›etw. (z. B. einen Frieden) ausrufen, proklamieren‹.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  1.

Belegblock:

Chron. Augsb. (
schwäb.
, Hs.
16. Jh.
):
da kam der künig von Behem [...] und ließ ain frid anrüefen
(zur Interpretation der Stelle vgl.
Schwäb. Wb.
1, 245).