1
nieten,
V.;
zu
ahd.
niotôn
›nach etw. verlangen‹
(
Splett, Ahd. Wb.
1, 2, 670
),
mhd.
nieten
›streben‹
().
Die Bedeutung umfaßt die gesamte Bandbreite zwischen ,kurze Tagesfreuden genießen‘ und ,sich langzeitig mit etw. befassen‘ bzw. (passivisch) ,etw. erdulden‘.
1.
›etw. genießen, sich e. S. (z. B.
des essens / trinkens / singens / springens / tanzens, der liebe / jugend
) erfreuen, sich mit jm. erotisch vergnügen; sich der Gemeinschaft mit einer göttlichen Person, der Person selbst erfreuen‹; vereinzelt ins Negative gewendet, dann: ›e. S. / js. (?) überdrüssig werden‹ (Interpretetation des einschlägigen Beleges ).
Gehäuft obd.
Bedeutungsverwandte:
 3,  2,  12,  3; vgl.  3.
Syntagmen:
sich nieten
(absolut);
sich der liebe / jugend, des lebens / reichtums, (viel, mancherlei der) freuden n., sich gottes, des herren
(z. B.
mit geude
),
des krieges (fast) n., die tochter sich ires vaters n., der wille sich e. S., die sele sich mit got der freuden n
.; subst.:
das süsse nieten
.

Belegblock:

Schöpper (
Dortm.
1550
):
Frui. sich ergetzen erluͤstigen nietten.
Gerhard, Hist. alde e
544
(
omd.
,
um 1340
):
Di ander tochter [Loths] niten | Sich wolde di ander nacht | Des vaters und sich zu im vlacht.
Gille u. a., M. Beheim
132, 212
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
So wil ich mich sein [gaͮt, vater, her] hie mit goüd | wol nieten und mein hähsten froüd | mit im han.
Mayer, Folz. Meisterl. (
nobd.
,
um 1480
):
Dorheit spricht: ,mensch, niet dich deinr jungen tage, | Isß, drinck, leb frisch an clage, | Dancz, spring, spiel, sing und sage [...]‘.
Sachs (
Nürnb.
1560
):
Wöll wir anrichten freudenspil, | [...] | Uns freuden nieten mancherley.
Chron. Strassb. (
els.
,
1362
):
als kam er gen Meilon, do nietent sich die sinen. er beit untze daz er sü betwang.
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
daz si [sele] Got denn reht mug umbvahen und sich an in heften und sich mit im nieten aller vroͤden
(auch an
niet(e)
anschließbar, dann ›sich verbinden‹). Haltaus, Liederb. Hätzlerin (
schwäb.
,
1471
):
Riett ich dann, das sy nyetten | Sich der liebe solten.
Klein, Oswald
19, 56
(
oobd.
,
1416
):
si torst aim e gebietten | ain smutz mit süssem nieten.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
109, 3
(
moobd.
,
1473
/
8
):
Was ir mir, fraw, gepietet, | [...] | mein will sich ’s ymmer nietet [...] | yetzunt, hinfür, ich ’s alltzeit willig laist.
Pyritz, Minneburg
3612
;
Gille u. a., a. a. O.
132, 223
;
Niewöhner, Teichner
187, 50
;
Schmidt, Hist. Wb. Elsaß ;
2.
›sich mit etw. befassen, beschäftigen, sich e. S. annehmen / befleißigen / widmen, sich um etw. kümmern‹ (von Bezugsgrößen gesagt, die dem Zeitverlauf unterliegen); ›sich mit jm. befassen, abgeben‹.
Vielfach gebundene Texte des älteren und mittleren Frnhd.
Phraseme:
sich der pritschen nieten
›sich mit etw. begnügen, vorliebnehmen‹;
sich mit jm. e. S. nieten
›mit jm. etw. (im Kampf) austragen‹.
Bedeutungsverwandte:
, ; vgl.  8,  5,  4.
Syntagmen:
sich e. S. / e. P
. (letzteres seltener)
n
., z. B. (meist mit Verbal- oder Adjektivabstraktum als Gen.obj., selten mit einer personalen Größe):
sich der arbeit / narrenweise / untreue / unzucht / (allerlei) hurerei, des guten / bösen, des leides,
˹
der busse, des zornes
˺
(gegen jn.), der rede (mit jm.) n., die göttin sich der menschen n
.;
sich in den künsten n., sich mit kauf n
. ›sich mit etw. eindecken, versorgen‹,
die göttin sich von ewen zu ewen n
.; subst.:
das nieten nach einem dienst
.

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
daz wir uns muzen nieten | Von ewen zu ewen swes du [herre] wilt.
Kurz, Waldis. Esopus (
Frankf.
1557
):
Drumb wir dir jetzt ernstlich gebieten, | Woltst dich derselben arbeit nieten, | Vnd solcher muͤh dich vnderwinden.
Sachs (
Nürnb.
1555
):
Drumb müest ir euch der pritschen nieten.
Schade, Sat. u. Pasqu. (
obd.
1524
):
ir maint, wann ainer nur kain eeweib hab, er niete sich sunst allerlai huͦrerei, wie er wöll, so sei es keuschait gehalten.
Matthaei, Minner. I, (Hs.
15. Jh.
):
so wil ich riten auch myn scharn | hin zu der freudenlosen diet, | die sich nit wann leides niet.
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
herre gütt, waz üwer mund | Mir für bas mag gebïtten, | Des wil ich mich nietten.
Niewöhner, Teichner
580, 150
(Hs. ˹
nalem.
,
um 1433
˺):
nit dann staͤt und lieb gebarn | und ain minicklich erbietten | das sol sin ir baider [ritter, knecht] nieten | nach ir baider dienst art.
Munz, Füetrer. Persibein
261, 7
(
moobd.
,
1478
/
84
):
wer dich, du volles schannden vas, | du múest ains anndern dich vor mit mir nyeten!
Ebd.
384, 7
:
für war, sölicher vnzucht sol ich mich nicht nyetten.
Weber, Füetrer. Poyt.
310, 7
(
moobd.
,
1478
/
84
):
Schöner red er sich mit der kewschen nyetet.
Winter, Nöst. Weist. (
moobd.
,
1524ff.
):
wolt erß
[
ß
=
kauf
]
aber von dan bringen so sich sein die burger mit kauf geniet hieten, so möcht eß ain geseßner hie auch durch seinß gewinß willen kaufen.
Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
piß der gotsscherg sprach, die göttin hiet sich nun geniett der menschen, wär nun urütz der beiwonung der tödlichen, wolt nun wider haim.
dergleichen die alten gelerten heiligen väter, [...], haiden juden christen sich damit
[mit der
philosophei
]
geniet und in grosser êr und wird gehalten haben.
Helm, a. a. O. ;
Bömer, Pilgerf. träum. Mönch ;
Kurz, a. a. O. ;
Matthaei, a. a. O. ;
Rieder, St. Georg. Pred. ;
Bäumker, Geistl. Liederb. ;
Munz, a. a. O.
89, 5
;
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
235, 5
.
3.
›etw. ertragen, erleiden; sich mit etw. abplagen, sich plagen, etw. über sich ergehen lassen‹; ›etw. gezwungenerweise an sich nehmen‹; als Pejorisierung an 1 und 2 anschließbar.
Bedeutungsverwandte:
 2,  1.
Syntagmen
j. kummers durch jn. n
.; refl.:
sich lange n.
;
j. sich des elendes, farens, jammers, der welt, der wein sich aschmackes (von dem fasse) n
.

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
das wir im [Gott] ere bieten | Und kummers durch in nieten | Und dar umme nicht vorzagen.
Luther, WA (
1539
):
Wir muͤessen mit der Welt uns nieten und boͤses leiden, das kan nicht anders sein.
Stackmann u. a., Frauenlob
5, 35, 5
(Hs. ˹
md.
auf nd. Grundlage,
v. M. 14. Jh.
˺):
edel win muz nieten | von swachem vazze asmackes sich.
Mayer, Folz. Meisterl. (
nobd.
,
v. 1496
):
Ob ich auff erd pleib kumers vol | Und mich noch lenger nyte.
Sachs (
Nürnb.
1540
):
Deß farens muß ich mich teglich nieten | Auff schlitten, wegen und auff kerren.
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Üwer erre ist worden schwach, | Ir müssend üch jemers nietten.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
180, 4
;