gesehen,
V., unr. abl.
1.
›sehen, über Sehvermögen verfügen‹; meist im Kontrast zu
blind sein
begegnend.
Syntagmen:
ohne Obj.

Belegblock:

Feudel, Evangelistar
38, 3
(
omd.
,
M. 14. Jh.
):
Jhesus leite mir hor uf myne ougen unde ich wusch sy unde gesach.
Bechstein, M. v. Beheim. Evang. Lk. (
osächs.
,
1343
):
„Waz wiltu daz ich dir tuͦ?“ Und her sprach: „Herre, daz ich gesehe.“
Goldammer, Paracelsus. B. d. Erk.
36, 25
(
obd.
, Hs.
n. 1570
):
das sie werden todten erweckhen / die aussetzigen rainigen / die plinden gesehen machen.
Bolte, Pauli. Schimpf u. Ernst (
Straßb.
1522
):
Es ist besser blind und lam in den Himel gon, dan gesehen und gerad in die Held gon.
Sappler, H. Kaufringer
30, 141
(
schwäb.
, Hs.
1472
):
davon sint sie gesehent plint | und an der witz als die kint.
Klein, Oswald
122, 45
(
oobd.
,
1415
):
darumb das ich nit wol gesich | zur grechten seitten ungelich.
Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
wolten den plinten und so nit gesehen das liecht der weishait zaigen.
Baptist-Hlawatsch, U. v. Pottenst.
2092
(
moobd.
,
A. 15. Jh.
):
Wann ain mensche mag nicht gesehen an die hilff der awgen, auch mag der smyd nicht gesmyden an den hamer.
Schützeichel, Mrhein. Passionssp.
430
;
Bechstein, a. a. O. Lk. ;
Vgl. ferner s. v. .
2.
›jn. / etw. sehen, mit den Augen wahrnehmen, jn. / etw. erblicken, (von Tieren:) etw. erspähen‹; vereinzelt Öffnung zu: ›etw. beobachten‹; ›etw. im Auge haben, auf etw. achten‹; ›jn. treffen, jm. begegnen‹.
Phraseme:
in / mit gesehenden augen
›sehenden Auges‹ (auch zu 1 stellbar);
jn. in gesehene (?) augen tun
›jn. betrügen, übervorteilen‹;
den / die kein mensch mit augen gesach
.
Bedeutungsverwandte:
 1; vgl.  1.
Syntagmen:
etw
. (z. B.
einen stern / schaden, den himmel / lon, die ere / helle, das bild / leid / wunder / feuer
)
/ jn
. (z. B.
den könig / son, das mensch / weib
)
g., nichts, keinen stik g.; sonne / mond
(Subj.)
jn. nimmer g., der hund den hasen g
.;
js
. (z. B.
der frauen
)
/ e. S
. (z. B.
der dinge, des wildes
)
g
.
Wortbildungen:
geseher
›Begutachter, Sachverständiger bei der Warenprüfung‹ (a. 1432),
gesehete
›Besuch bei der Wöchnerin und dem Neugeborenen‹ (a. 1475), dazu metonymisch: ›anläßlich des Besuches überreichtes Geschenk‹ (a. 1475).

Belegblock:

Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
der hunt, der den hasen gesihet, und er in gesmecket und er ûf daz spor kumet, sô loufet er dem hasen nâch.
Tiemann, E. v. Nassau-S. Kgn. Sibille
133, 13
(
rhfrk.
,
um 1435
):
Jr gesehent Abrye nummer me jn üwerm hoffe sprach Markir.
Sievers, Oxf. Benedictinerr. (
hess.
,
14. Jh.
):
den [lon] nie auge gesach noch ore inhortein noch herze ingedachte.
keine suster insal sich zu den gesten gevugen noch bit in reden [...], wan begeinit sie in ober gesit sie sie, sie gruzze sie otmutliche.
Eggers, Psalter
23, 26
(
thür.
,
1378
):
Got sach von deme himmile vber dy lute, daz er gese, wer vornunftig were oder got suchte.
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
24, 21
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
So schönes mensche gesahestu nie, und hestu eines linzen augen und kündest es inwendig durchsehen.
Jahr, H. v. Mügeln
1149
(
omd.
, Hs.
1463
):
vil manchen underscheit es [ros] rouch | der dinge, der es nie gesach.
Pyritz, Minneburg
5257
(
nobd.
, Hs.
um 1400
):
Getruwern vogel du doch nie | Gewunne, der so gerne ye | Gesehe mit gantzer girde | Din ere und auch din wirde.
Sachs (
Nürnb.
1553
):
Wie köndt ich in der schmitten mein | Arbeyten, wenn ich nichts gesech, | So mir der sonnen schein gebrech?
Williams u. a., Els. Leg. Aurea
127, 25
(
els.
,
1362
):
Es gingent iunge bruͦder mit eime abbete daz sú sant Anthonien gesehent.
Roloff, Brant. Tsp.
1549
(
Straßb.
1554
):
alde alde | Sonn und Monn gesicht mich nimmer mee.
Barack, Teufels Netz (
Bodenseegeb.
,
1. H. 15. Jh.
):
Von winber, klainen und grossen, | Kunnends die alten under die nüwen verstossen, | Die mer denn sechs jar alt sind: | Also tuond si die lüt in gesechni œgen
[Form und Interpretation unsicher].
Plant u. a., Main. Naturl.
293ra, 28
(
ohalem.
, Hs.
E. 14. Jh.
):
Den minsten sterne͂ den der m͂sche mac gesehin der ist grozir danne dc ertriche.
Dreckmann, H. Mair. Troja S. 
16, 23
(
oschwäb.
,
1393
):
ir waz kain aht uf essen oder uf trinken, nit dann wie siu ir gnug moht gesächen den Jason.
Pfaff, Tristrant (
Augsb.
1498
):
Er schied auch also ab, das sy einander nye gesahen.
Brévart, K. v. Megenberg. Sphaera
16, 16
(
noobd.
,
1347
/
50
):
Wanne wer daz ertreich dem himel neher an ainem tail danne an dem andern, so moht der mensch da selbenst dez himels halbentail niht gesehen.
Klein, Oswald
12, 20
(
oobd.
,
1416
):
Kain schöner weib | nie mensch gesach mit ougen zwar.
Ebd.
78, 7
(
1416
?):
Si [mait] hat den breis in meinem herzen ewiklich | für alle, die ich ie gesach.
Weber, Füetrer. Poyt.
165, 7
(
moobd.
,
1478
/
84
):
wo man ye nach preise strait, | ward er [Poytislier] ye vor vnnd gesechen nye da hynnden.
Roth, E. v. Wildenberg (
moobd.
,
v. 1493
):
ich will der frawͦen nimer mer gesehen.
Turmair (
moobd.
,
1529
):
Sunst verplendt got die vernunft also, das si auch mit gesehenden augen kain mitel nit sicht.
Große, Schwabensp. ;
Schützeichel, Mrhein. Passionssp.
508
;
788
;
Froning, Alsf. Passionssp.
5291
;
5691
;
Strauch, Par. anime int.
56, 6
;
82, 14
;
v. Tscharner, Md. Marco Polo
54, 24
;
Kehrein, Kath. Gesangb. ;
Wagner, Erk. Ps.-J. v. Kastl
4, 23
;
Mayer, Folz. Meisterl. ;
Keil, Peter v. Ulm
38
;
Barack, a. a. O. ;
Roder, Hugs Vill. Chron. ;
Baumann, Bauernkr. Oberschw. ;
Brévart, a. a. O.
14, 24
;
Klein, a. a. O.
2, 8
;
88, 16
;
Weber, a. a. O.
205, 7
;
Piirainen, Stadtr. Kremnitz
18
;
Vgl. ferner s. v.
1
 1.
3.
›etw. erfahren, kennenlernen, wissen‹.
Bedeutungsverwandte:
 1, , .

Belegblock:

Fischer, Brun v. Schoneb. (
md.
, Hs.
um 1400
):
ir sullet gesehen vor war, | uch wirt gegeben zu der stunt, | waz da sal sprechen owir munt.
Williams u. a., Els. Leg. Aurea
39, 25
(
els.
,
1362
):
Du solt gesehen das er [min got] me v́ber dinen got
[vorher:
malotte
]
zúrnet.
Morrall, Mandev. Reiseb.
132, 23
(
schwäb.
,
E. 14. Jh.
):
daz ich [...] dienet dem kayser fúnfftzehen monat in soldnerß wiß wider den kúng von Marthy, den worten das ich moͤcht gesenhen sin adel und sin herschafft.
4.
›in bestimmter Weise aussehen‹.

Belegblock:

Henisch (
Augsb.
1616
):
Ein jeder will from͂ gesehen / niemand aber fromb seyn. Jaͤm͂erlich gesehen / ist gnugsam͂ gebeten.
5.
›im Besitz höherer Erkenntnisfähigkeit sein (Wahres, Hintergründiges erkennen, sehen, schauen); etw. religiös-visionär erkennen, gestalthaft schauen, etw. geistlich sehend erkennen‹; auch von Gott gesagt.
Gehäuft Texte religiösen Inhalts.
Bedeutungsverwandte:
 2; vgl.  4.
Syntagmen:
etw
. (z. B.
ein bild, gottes herlichkeit, die schnödigkeit
)
/ jn
. (z. B.
got
)
g., jn. im geist g., das gemüt / herz recht g. mögen
;
got, die gotheit
(jeweils Subj.)
g., das [...]
.
Wortbildungen
gesehung
(dazu bdv.: (
das
7,  2, ).

Belegblock:

Strauch, Par. anime int.
95, 20
(
thür.
,
14. Jh.
):
man sal Got sehin alse verre alse ez ist der creature mugilich zu begrifine, und daz ur inplibit, daz si nicht gesehin inmac, des in sal si nicht geleubin.
v. Liliencron, Dür. Chron. Rothe (
thür.
,
1421
):
do got gesah, das is nutze unde gut was, do schiet her das liecht von der vinsterkeit.
Voc. Teut.-Lat.
m iiijv
(
Nürnb.
1482
):
Besehung od’ gesicht. visio od’ hungse oder trawme.
Wagner, Erk. Ps.-J. v. Kastl
6, 8
(
nürnb.
,
1. H. 15. Jh.
):
das sich der mensch abczyhe und außtu von allen sindlichen [...] creaturen [...], das er snelle und palde, [...], sich und sein snodickeit in dem waren unbeschaffen und besenleichen liecht gesehen mug.
Baumann, Bauernkr. Rotenb. (
nobd.
,
n. 1525
):
prediger oder bruder munch (nun im gaist gesehend).
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
wurt er [himel] nu gewandelt in eine luter klore sunne alzuͦmole, so enmoͤhte nieman des andern bilde gesehen vor der klorheit.
So wanne danne die gotheit Gottes das gesiht daz der mensche nút fúrbas enmag, so kummet sú und wúrket verboͤrgenlich, do die nature nút von enweis.
Lauchert, Merswin (
els.
,
1352
/
70
):
wenne keine sele mag got gesehen svnder mittel, die wile daz sele vnd lip bi einander in der zit wonnende sint.
Morgan u. a., Mhg. Transl. Summa
211, 30
(
schwäb.
,
14. Jh.
):
daz daz gemüete gotlichen niht erlühtet wirt, daz ez rehte gesehen müge, unde daz daz herz dez menschen niht erweichet mag werden, daz ez rehte gesehen müge.
Eggers, Psalter
12, 15
;
Wyss, Luz. Ostersp.
3, 52, 84
;
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
70, 11
.
6.
phras.:
gesach mich / dich / in got
, wörtlich: ›Gott hat mich [usw.] angesehen, gesegnet‹; mit konj. Nuance: ›Gott möge [...] ansehen, segnen‹; auch als Gruß: ›Heil Dir [usw.]‹.
Wobd.; älteres Frnhd.: gehäuft Texte der Mystik.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  2.

Belegblock:

Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
Ach, gesach in got, daz er ie geborn wart an dis welt, der din minner heisset und ist!
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
gesach mich Got, daz ich dise zit und disen tag ie gelebte, daz ich den bluͤgenden Got gesehen sol in siner herschaft.
so fragest du fúrbaz und sprichest: ,owe, sol ich denn mit dem lon genuͦg han?‘ so sprich ich: ,ja zwar, so úns Got gesach‘.
Vetter, Schw. zu Töß (Hs.
15. Jh.
):
und ward ir ze erkennend geben das das ir sel were. Und do gedacht sy: ,Gesach dich Got, selgy schwester!‘
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Gesach in Gott, der also lebe | Kan daz im dörtt wirtt gegeben | Dü vil ewige cronne.
Bihlmeyer, a. a. O. .