gnadenreich,
gnadreich
(letzeres seltener),
Adj.
– 1-5 überwiegend in Texten religiösen und didaktischen Inhalts.
1.
›reich an Barmherzigkeit, Liebe und Versöhnung (von Gott und Christus gesagt)‹;
vgl.  14.
Wortbildungen:
gnadenreichheit
.

Belegblock:

Jostes, Eckhart
104, 15
(
14. Jh.
):
Du solt ze dem andern maule gedówet werden in der zarten sel Christi Jhesu, die ist gnadenrich.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1582
):
Er [Gott] hat von ihm [Israel] gewendet nicht | Sein gnadenreiches angesicht.
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
34, 70
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
Günne ir, genadenreicher herre!, in deiner allmechtigen und ewigen gotheit spiegel sich ewiglichen ersehen.
Gille u. a., M. Beheim
73, 1
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
Du milter, gnadenreicher got, | dank, lob und er sey deiner gnot.
Eichler, Ruusbr. obd. Brul.
2, 833
(
els.
,
E. 14. Jh.
):
er was so gnadenriche vnd so minnenkliche, daz sine wandelunge vnd sin wesen zoch alle menschen, die von guͤter naturen worent.
Ebd.
2, 1253
:
wan er enpfahet vnd wurt vereiniget mit dem ienen, der der schoͤneste vnd der gnaden richeste vnd der minnenklicheste ist v́ber alle.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
ist nit billich, daz ich dizen himelschen gnadenrichen knaben lieb habe?
Höver, Bonaventura. Itin. B
488
(
moobd.
,
1450
/
60
):
Cherubin sachen sich wechsleich an ain ander mit gekerten angesichten auff das plat der gnadenreichait, da von got anttwurtt gab.
Thiele, Minner. II,
21, 123
;
Schmidt, Rud. v. Biberach
184, 18
;
Koller, Ref. Siegmunds ;
2.
›gnadenvoll und damit gnadenbringend, Gottes Vergebung, Barmherzigkeit und Güte erwirkend und spendend (von Sachen und Sachverhalten unterschiedlicher Art)‹;
vgl.  146.
Phraseme:
gnadenreiche zeit
›durch die Versöhnungsbereitschaft Gottes gekennzeichnete Bewährungsfrist und -zeit zwischen der Erlösungstat Christi und dem Jüngsten Gericht‹.
Syntagmen:
der gnadenreiche aufenthalt / brunne / ort / schaz / schein / tau / trank / verdienst, die gnadenreiche einsprechung / gabe / heimsuchung / predigt / sonne / stunde / verheissung / zusagung, das gnadenreiche abendmal / bad / bild / evangelium / gesez / osterlämlein / sacrament / wort
.
Wortbildungen:
gnadenreichkeit
›gnadenbringendes Vermögen, inhärente Gnadenkraft‹.

Belegblock:

Luther, WA (
1522
):
Also einn mechtig und gnadenreich dinck gibt ahn und lehrt das Euangelion, welchs alleine [...] hoͤren und ergreiffen můssen und sollen die Christen.
Ebd. (
1537
):
Drumb were es besser, wir kereten umb und wurden frommer, dieweill noch die gnadenreiche zeit und der tag des heilss noch verhanden were.
Rosenthal. Bedencken
38, 13
(
Köln
1653
):
wir haben dein gnadenreiches Gesaͤtz / ohn deine Gnad geschicht nichts / welche wir durch dich haben Herr IESV.
Dubizmay, kurß zu Teutze
94, 13
(
hess.
,
1463
):
du pist das ebig lebenn vnnd das lichte das die heiligenn cristennheit genadereichenn schein Erleuchtet hat.
Anderson u. a., Flugschrr.
5, 6, 19
([
Zwickau
]
1524
):
Laßt vns Christo vnserm erloͤser lob vnd danck sagen vm͂ dise gnadenreyche zeyt / damit er vns bestaͤt in seine͂ heylsamen leren.
Gille u. a., M. Beheim
87, 15
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
[Maria]
Du trosterin der marterer, | gnadreicher prunn der peichtiger.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Nürnb.
1631
):
Darumb du Gnadenreiches Vaß, | Kehr dich zu mir, so wird mir baß.
Adrian, Saelden Hort
1589
(
alem.
, Hss.
E. 14.
/
15. Jh.
):
du solt daz kint bestrichen | mit gnaden richem towe.
Ebd.
5554
:
[Wunder zu Kanaa]
so wart nie súeser súesekait | dann gnadenrich trunkenhait.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
Eya, schoͤnú, minneklichú ewigú wisheit, dero gnadenrichkeit nit glich ist in allen landen.
Banz, Christus u. d. minn. Seele
1013
(
alem.
,
1. H. 15. Jh.
):
O got, wie sol es den schweren ergon, | Die das gnadrich zit lond hin gon.
Warnock, Pred. Paulis
14, 8
(
önalem.
,
1490
/
4
):
die göttlichen und gnadrichen insprechungen und gůtten vermanungen des hailgen gaistes.
Eschenloher. Medicus (
Augsb.
1678
):
an dem Feste der Gnadenreichen Geburt Christi.
Einer an disem Gnadenreichen Orth erlanget sein Gehoͤr.
hat sie [...] disen gnadenreichen Schatz das heilige Wunderbarliche Sacrament trewlich angeruffen.
Spechtler, Mönch v. Salzb.
37, 27
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
Da die genadenreich zeit cham, | das got erlösen wolt Adam.
Bauer, Imitatio Haller
99, 24
(
tir.
,
1466
):
Du solt iczund verpringen die gueten werch in der genadenreichen czeit, die weil deine guete werch früchpar sint.
Roloff, Naogeorg/Tyrolff. Pamm.
15, 73
;
Reissenberger, Väterb. ;
Ruh, Bonaventura
353, 17
;
20
;
Mönch v. Heilsbronn. Fronl.
14rb, 14
;
Mayer, Folz. Meisterl. ; ;
Koller, Ref. Siegmunds ;
Banz, a. a. O.
1154
;
1550
;
Eschenloher. a. a. O. ;
Dietz, Wb. Luther .
Vgl. ferner s. v.  5,  1, (V.).
3.
›von Gott begnadet, durch die Gunst und Barmherzigkeit Gottes gestiftet und ausgezeichnet; mit Gottes Barmherzigkeit versehen‹;
vgl.  1.
Bedeutungsverwandte:
 23.

Belegblock:

Luther, WA (
1521
):
In diß heylige, herlige, froliche, gnadenreyche priesterthum ist des teuffels saw, der Bapst, mit seynem ruͤssel gefallen.
Ebd. (
1541
):
[der heilige Geist], der die hertzen rein macht, das sie auch gnadenreich und warhafftig werden.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1619
):
Selig / Gnadenreiche Maria.
Steer, W. v. Herrenb. Büchl.
439
(
pfälz.
,
1436
):
jndem das er wesenlich von natur lebet vnd doch beraubet ist durch die sünde der gnaden, jn den das mensch lebet eins götlichen gnadenrichen lebens.
Asmussen, Buch d. 7 Grade
1709
(
nobd.
, Hs.
A. 15. Jh.
):
Freue dich, mensch gnodenreich, | freue dich nu und ewiklich.
Mayer, Folz. Meisterl. (
nobd.
,
1517
/
8
):
Gelobet sey der keüsch palas | Vol gnadenreicher kunste!
Reichmann, Dietrich. Schrr.
168, 21
(
Nürnb.
1548
):
Vmb mich allein ist es Gott nicht zu thun gewest / es gehoͤren jr mer in dise gnadenreiche geselschafft
(so auch bei
Luther
s.u.).
Piirainen, Stadtr. Sillein
36v, 3
(
sslow. inseldt.
,
1378
):
Ver vechterinne Eya gnaden reiche vechterinne wider alle dy manichvaldige bekorunge vnser vende.
Gerhardt, Meister v. Prag
24, 16
;
20, 13
;
Steer, W. v. Herrenb. Büchl.
484
;
Dietz, Wb. Luther .
Vgl. ferner s. v.  8, .
4.
›freudenvoll, glücklich, gesegnet‹.

Belegblock:

Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
3, 14
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
Frut und fro was ich vormals zu aller stunt; kurz und lustsam was mir alle weil, tag und nacht, in geleicher maße freudenreich, wünnereich sie und ich beide; ein jegliches jar was mir ein genadenreiches jar.
5.
›lieblich, anmutig‹.
Bedeutungsverwandte:
,  3, .

Belegblock:

Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
Ir sind doch von gote so gar gnadenrich gestalt in allem úwerm gelesse, daz es ein úbel mere ist, daz ein soͤlicher engelschlicher, wolgestalter, edelr mensch ieman sol ze teil werden.
Maaler (
Zürich
1561
):
Gnadreych / Gar schoͤn vnnd fein / oder lieblich. Perelegans, Venustus.
6.
in den Verbindungen
gnadenreiches jar, gnadenreiche zeit
›heiliges Jahr, Ablaßjahr; bestimmte Zeitspanne, in der der Papst einen besonderen Sündenablaß ausrief bzw. ausruft, zumeist in einem Jubiläumsjahr (seit 1300 alle 50 Jahre)‹; am sinnvollsten hier anschließbar:
gnadenreiches gold
›Versöhnung mit dem Papst bringendes Gold‹ (a. 1518);
vgl.  7.
Obd.; gehäuft in chronikalischen Texten.
Bedeutungsverwandte:
,  6.

Belegblock:

Voc. Teut.-Lat.
i iijv
(
Nürnb.
1482
):
freude͂reiche iare od’ dz guldein iare. iubile od’ dz gnade͂reich iare.
Chron. Nürnb. (
nobd.
,
15. Jh.
):
Des jars was ein genadenreich jar zu Rom.
Ebd. (
1489
):
ez was auch alle genad in alln kirchen aufgehoben und auch alle gnad der beihtbrief, die vor außgangen warn in andern gnadenreichen zeiten.
Tobler, Schilling. Bern. Chron. (
whalem.
,
1484
):
das semliche gnadenrich zite und grosser aplas, allen denen [...] wol erschies und annem werde.
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. (
oobd.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
[Cusanus] ward von erst in dem gnadenreichen jar von pabst Nicolao der gewalt [...] des genadenreichen jares in Tewtsche lanndt ze fuern gegeben.
Da sprach der Anglo, wie in ein degenkindt mangelt, wann es doch yetzund im jophel was, das ist in der Krysten genadenreichen jar.
Baptist-Hlawatsch, U. v. Pottenst.
260
(
moobd.
,
A. 15. Jh.
):
Jubilens Gadenreiches iar Daz Gnadenreich jar jst den keczern waldensibus ein gespött. [...] Daz Gnadenreich iar wirdet gelobt wider die keczer waldenses.
Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
Das concili [...] het den päbsten verpotten, das si nit mêr also das gnadenreich jar hielten.
7.
›segensreich (in sozialutopischem Zusammenhang); hilfreich (von der Wirkung eines Edelsteines)‹.

Belegblock:

Belkin u. a., Rösslin. Kreutterb.
174, 5
(
Frankf.
1535
):
[Saphir]
Er macht freuden vnd bringet dem leib frische [...]. Zum friden ist er gnadreich.
Koller, Ref. Siegmunds (Hs. ˹
Basel
,
um 1440
˺):
Man sol den zol diemügentlich bitten von den lüten, wann es ist ein gnodenrichlich gobe vom dem richen und von dem armen.