turren,
seltener:
türren,
V.;
meist als Modalverb, seltener als Vollverb gebraucht (Belege in diesen Fällen oft auch als Ellipse interpretierbar);
im
Mhd.
Präteritopräsens der Ablautreihe 3b, zu den Flexionsformen vgl.
Mhd.
Gr.
§  M 94; 97; 101 sowie s. v.
geturren
; vgl. auch
Frnhd. Gr. §  M
142
; zu Etymologie und Formgeschichte vgl. ;
semantisch z. T. mit vermischt (s. auch ). Das komplexe Bedeutungsspektrum ist durch einen hohen Grad an Überschneidungen und fließenden Übergängen geprägt, viele Belege sind mehrfach interpretierbar.
– Im 16. Jh. allmählich auslaufend.
1.
›etw. zu tun wagen, sich etw. trauen; sich erkühnen, den Mut besitzen, etw. zu tun‹; z. T. im Übergang zu: ›sich etw. herausnehmen, unterstehen‹; auch: ›etw. riskieren; mit jm. kämpfen‹; häufig mit Negation; selten refl.; offen zu 2; 3.
Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘, berichtende Texte.
Bedeutungsverwandte:
 3, ,  7; vgl.  3,  11, ,  7, ,  2,  1, (V.) 4, .
Syntagmen:
j. / etw. t
. (absolut);
etw
. (z. B.
etw. gefärliches, ein grosses ding
)
t
.;
t
. [wie] (z. B.
wol
)
handeln, t
. [wohin]
faren / gehen / kommen, sich t. wieder jn. setzen, für einen meister ausgeben, t. zu
[+ Inf.];
an / gegen jn. / etw., mit jm. / etw. t
.
Wortbildungen:
türre
›kühn, wagemutig, verwegen‹ (vgl. ),
türrer
›waghalsiger, tollkühner Mensch‹ (dazu bdv.:  2).

Belegblock:

Schöpper (
Dortm.
1550
):
Audere. Kuͤn sein thuͤren duͤrffen.
Luther, WA (
1535
):
wer sind sie, so sich thuͤren widder jn setzen?
Ders. Hl. Schrifft.
Hiob 41, 2
(
Wittenb.
1545
):
Niemand ist so küne / der jn [Leuiathan] reitzen thar.
Ebd. Röm. Vorr.
2255, 21
:
so du im hertzen selbs ein Dieb bist / vnd eusserlich gerne werest / wenn du thürstest?
Meijboom, Pilgerf. träum. Mönch
5157
(
rib.
,
1444
):
war umb bistu van sulchē moede | Dat du hais dorren brechen | Dat gebot.
Tiemann, E. v. Nassau-S. Kgn. Sibille
121, 9
(
rhfrk.
,
um 1435
):
Getwerg sprach die konnigynne wie gedorst dü so kün sin.
Wagner, Erk. Ps.-J. v. Kastl
15, 38
(
nürnb.
,
1. H. 15. Jh.
):
wer sich nicht furcht, ist ein tuͤrrer und ein ubernemer sein selbs.
V. Anshelm. Berner Chron. (
halem.
,
n. 1529
):
Wiltu etwas sin, so daͤrst etwas gfarlichs und kercherwirdigs.
Chron. Augsb. (
schwäb.
, Hs.
16. Jh.
):
herzog Lupolt von Osterreich und vil ritter und knecht [...] getorsten nit mit in
[Aufständischen]
streiten, wann sie waren ze stark.
Ebd. (
1504
):
nun torst man das töchterlin und den knaben nit tödten.
Österley, Steinhöwels Äsop (
Ulm
1474
/
82
):
Er schiede aber von dann und kam uff ain wismad, do fand er zwen wider mitainander turren und kempfen.
Fischer, Eunuchus d. Terenz (
Ulm
1486
):
sie redt es durch ain gleichnuß. als ob sie es vor scham nit sagen toͤrst.
Leidinger, A. v. Regensb. (
oobd.
,
um 1430
):
da kom er
[Heinrich der Löwe]
[...] in sölichen ruef [...] das sein geseczz bey der pen des haubtes nyemant törst ze prechen.
Roth, E. v. Wildenberg (
moobd.
,
v. 1493
):
Der hertzog Ludbig ward gehalten und geschätzt für ein kron und fur den pesten und törsten fürsten.
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
105, 37
(
tir.
,
1464
):
da pelaib hinder im [freünd] ain sölicher grosser gestankch, das an die selbig stat noch niemant dar gen.
ders. Hl. Schrifft.
2. Sam. 17, 17
;
Quint, Eckharts Trakt. ;
Meijboom, a. a. O.
13079
;
Thiele, Chron. Stolle ;
Tittmann, Schausp. 16. Jh. Rebh.
90, 306
;
Gille u. a., M. Beheim
98, 57
;
Bernoulli, Basler Chron. ;
Mollay, H. Kottanerin
22, 2
;
Siegel u. a., Salzb. Taid. ;
Vgl. ferner s. v. ,  2,  4,  3,  1,  12, ,  3.
2.
›etw. dürfen, das Recht, die Erlaubnis besitzen, etw. zu tun‹; oft mit Negation.
Bedeutungsverwandte:
 2,  4, , ; vgl.  7,  4.
Gegensätze:
I, 1.
Syntagmen:
j. / etw. t
. (absolut);
t
. [+ Inf. mit
zu
] (z. B.
das recht zu brechen
),
t
. [+ Inf. ohne
zu
], z. B.
t
. [wo]
bleiben / sein
,
t
. [wohin]
faren / gehen / kommen
;
etw. sich verändern t
.

Belegblock:

Luther, WA (
1530
):
weil ynn dem selbigen recht die Ehescheidung gemeiniglich der massen zu gelassen wird, das sich keins verendern thar, halten wir solche scheidung fur nichts.
Ders. Hl. Schrifft.
1. Mose 43, 32
(
Wittenb.
1545
):
die Egypter thüren
[
Mentel
1466:
es waz vnzimlich
;
Dietenberger
1534:
durffen
]
nicht brot essen mit den Ebreern.
Mon. Boica, NF. (
nobd.
,
1. H. 15. Jh.
):
di iren, die vogtber sind, tuͤrren einander auch nicht vor dem egericht beclagen.
Sachs (
Nürnb.
1524
):
wenn der bapst so böß wer, das er unzelich menschenn mit grossem hawffen zum teüffel füret, dörst in doch nyemant straffen.
Roder, Hugs Vill. Chron. (
önalem.
,
um 1500
):
man [...] gab im [...] gellt darzuͦ, und torsst wandlen, wo er wolt.
Haas u. a., Erasmus/Jud. Klag
15, 12
(
Zürich
1521
):
so sy allenthalb mit mēschlichem bluͦt befleckt sind / toͤren sy doch gon in die kilchē / zuͦ dem altar
(auch zu 1 stellbar).
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. (
oobd.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
pueben, dye vormalen inn dem lanndt und in den gerichten nicht dorsten beleyben.
Winter, Nöst. Weist. (
moobd.
,
1434
):
Wir setzen [...] das kain richter in unser gepiet mit irn leutn nichts ze schaffn habn sollen noch turren.
Drescher, Hartlieb. Caes. (
moobd.
,
1456
/
67
):
ich tar nit lenger pey dir sein, der teẅffel stett da vor und warttet mein.
ders. Hl. Schrifft.
2. Sam. 2, 22
;
Helbig, Qu. Wirtsch.
4, 84, 33
;
Kurz, Waldis. Esopus ;
Löscher, Erzgeb. Bergr.
58, 33
;
Strauch, Par. anime int.
105, 18
;
Thiele, Chron. Stolle ;
Roder, a. a. O. ;
Boos, UB Aarau ;
Müller, Welthandelsbr.
211, 36
;
Barack, Zim. Chron. ;
Vgl. ferner s. v.  1,  2,  2,  8,
2
 3,  2, .
3.
›etw. können, vermögen; zu etw. aufgrund äußerer Umstände in der Lage sein‹; ausschließlich modaler Gebrauch; häufig negiert.
Bedeutungsverwandte:
 5,  2,  1; vgl.  6,  3,  23.
Syntagmen:
t
. [+ Inf. ohne
zu
] (z. B.
essen, etw. gesehen / sagen / scheiden / stürmen, das feuer leschen, für jn. kommen
),
t
. [wohin]
faren, die not jm. nicht schaden t
.

Belegblock:

Luther. Hl. Schrifft.
Jer. 48, 14
(
Wittenb.
1545
):
WJE thürt
[
Wormser Proph.
1527 /
Dietenberger
1534:
doͤrfft
]
jr sagen / wir sind die Helden vnd die rechte Kriegsleute?
Kurrelmeyer, Dt. Bibel (
Straßb.
1466
):
Wir túrren
[
Luther
1545, 1. Mose 44, 26:
können
]
nit gesehen das antzlútz des manns.
Haltaus, Liederb. Hätzlerin (
schwäb.
,
1471
):
Mich hatt dein mündlin wolgeuar | Entzündt in rechter liebe gar, | Das mir kain not nicht schaden darr.
Chron. Augsb. (
schwäb.
,
v. 1536
):
man dorst mit dem wasser das feur nit leschen von des kalcks wegen.
Ebd. (
1509
):
Nun ward die statt beschossen zuͦ dem sturm, aber sie dorsten sie nicht stürmen, dann die Venediger hetten in den greben haimlich seltzam ding zuͦgericht.
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
8, 12
;
Gille u. a., M. Beheim
58, 9
;
Haltaus, a. a. O. ;
4.
›etw. sollen, müssen; eine Verpflichtung, Veranlassung haben, etw. zu tun‹; modaler Gebrauch; meist negiert.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  910,  2.
Syntagmen:
j. / etw. t
. (absolut);
t
. [+ Inf. ohne
zu
] (z. B.
t. etw. sagen, e. S
. (Gen.)
warten, jn. etw. fragen, sich e. S. schämen
);
js. / e. S
. (Gen.)
t
.

Belegblock:

Luther, WA (
1528
):
Niemand aber unter den Juͤngern thurste yhn fragen, wer bistu? denn sie wusten, das der Herr war.
Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
ich en dar mich neit des radis schamen.
Spanier, Murner. Narrenb.
3, 98
(
Straßb.
1512
):
Noch hab ich mer dann tusent par, | Die ich yetzundt nit sagen dar.
Piirainen, Stadtr. Sillein
139a, 32
(
sslow. inseldt.
,
1378
):
Der sol haben sechs fruͤmer man dy rechter trew wirdik sint vnd ist daz dy nemlichen levͤte mit sampt ym iren eyd tuͤrren dor vmb gebiten.
Tittmann, Schausp. 16. Jh. Rebh.
61, 246
;
Michels, Murner. Badenf.
23, 51
;
5.
›jm. trauen, auf etw. vertrauen‹; als Vollverb gebraucht; im Unterschied zu 1 (subjektbezogen) mit Hervorhebung des Objekts.
Wortbildungen:
turren
(
das
) ›Vertrauen, Hoffnung‹ (dazu bdv.: ,
das
, 2).

Belegblock:

Grosch u. a., Schöffenspr. Pössneck
105, 29
(
thür.
,
1474
):
eß were danne, daz dy erbenemen des erstin mannes uff den heylgen vorrechten torsten, daz yn umbe den kouff unde dy belenunge unbewust gewest were.
Bächtold, N. Manuel. Elsli
273, 425
(
Basel
1530
):
Man findt wol unpartyisch lüt, | Man törst min von gotts gnaden nüt.
Baptist-Hlawatsch, U. v. Pottenst. Vorr.
44
(
moobd.
,
A. 15. Jh.
):
Damit gab er [Got] vns ein türren vnd ein tröstleich getrawen, daz er genëdichleich auf wolde nemen [...], waz im vnser armut ophert.