tugendlich,
Adj.;
vgl. .
1.
›im Sinne der moraltheologischen Tugendvorstellungen der Zeit lebend, gottgefällig handelnd, gerecht, fromm, rechtschaffen, sündelos; nach dem Seelenheil als Lohn
tugendlicher
Lebensführung strebend und dieses somit erwerbend; geduldig sein Schicksal annehmend‹; in 1 Beleg: ›reuig‹;
vgl.  12.
Meist Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘.
Bedeutungsverwandte:
 45,  1,  24, , (Adj.) 3, (Adj.) 7, ; vgl.  78,  1,  1.
Syntagmen:
in jm. etw. t. sein
;
t. leben, sich t. halten / üben, sich als t. finden, jn. t. suchen, etw. t. leiden
;
der tugendliche man / mut / wille, die tugendliche volkommenheit, das tugendliche ausgehen / fas
(tropisch)
/ leben, tugendliche übungen / werke / würkungen
.

Belegblock:

Luther, WA (
1544
):
solcher wenig sind, die in dem selben schoͤnen tugentlichen leben und wandel gehen.
Wyss, Limb. Chron. (
mfrk.
,
1354
):
der alde herre zu Limpurg, der gar dogentlichen unde edilichen gelebet.
Di gerechticheit ist ein dogentlich vaß unde gibet eime iglichen daz sin.
Rosenthal. Bedencken
7, 14
(
Köln
1653
):
daß in jhr [Kirche] die Tugentliche Ubungen / welche Christus [...] anbefohlen hat sich noch jetzo befinden.
v. d. Lee, M. v. Weida. Spigell
14, 27
(
omd.
,
1487
):
wú ein keúsche ehe, mit zcirlichem vnd togentlichem leben gehalden Seÿ.
v. Liliencron, Dür. Chron. Rothe (
thür.
,
1421
):
[das er] vorgass der gnade unde des guten toguntlichen willen den seyne eldirn alles hatten zu den clostirn unde gotis hussern.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Bautzen
1567
):
Drumb hier vnser gerechtigkeit | Jst mehr der suͤnd verschonen, | Denn thugentlich volkommenheit, | Die Gott dort solt belohnen.
Dienes, E. Gros. Witwenb.
195, 8
(
Nürnb.
,
1446
):
das du alles das, das tuguntlich ist in dir, das du das hast von Got.
Sachs (
Nürnb.
1559
):
Welcher man sich [...] | Schembt [...] | Bleibt von den weisen ungeschmecht, | Weil er sich tugentlich einzeucht.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
Dise [súndere] sint Gottes unahtsam und aller tugentlicher dinge.
das du das [liden] vertreist und dich do inne tugentlichen haltest und lidest.
Eichler, Ruusbr. obd. Brul.
1, 1483
(
els.
,
E. 14. Jh.
):
al vnser túgentlich vs gan, in was vͤbungen das es si, daz ist alles [...] ein vereinigen in Cristo.
Lindqvist, K. v. Helmsd.
964
(
halem.
, Hs.
um 1435
):
Das sind die werk der erbaͤrmde guͦt | Uss tugent lichem miltem muͦt.
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
daz daz allain ist ain zaichen rehter hailkait vor Gotte der rehte tugentlich und rainklich lebet und sich flisset tugent zu uͤbenne in allen sinen werchen.
Chron. Augsb. (
schwäb.
,
1536
):
Lienhart Cristan, zunftmaister, gar ain frommer, dugentlicher mann, war von Hiltafingen [...].
Steer, Schol. Gnadenl.
6, 12
(
moobd.
,
15. Jh.
):
Dy höchst gab got des heyligen geyst wird ein gossen [...] yn warer rewung der sünd, [...], auch in aller vbung jnniger andacht vnd aussern tugentleichen wurchungen.
Piirainen, Stadtr. Sillein 38a
28
(
sslow. inseldt.
,
1378
):
waz eyn heyligez gútez mensch ein geystliche frauͤ we dy waz lange in eynem bette ryf gewesen vnd layt daz tvgentlich.
Strauch, Par. anime int.
42, 27
;
70, 23
;
Asmussen, Buch d. 7 Grade
895
;
Schmidt, Rud. v. Biberach
172, 25
;
Stammler, Berner Weltger.
425
;
Vetter, a. a. O. ; 3;
Rieder, a. a. O. ;
Sappler, H. Kaufringer
8, 21
;
Bauer, Geiler. Pred.
322, 31
;
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. ;
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
105, 29
;
dies., Imitatio Haller
73, 22
;
105, 11
;
2.
›integer, sittsam, gefällig; höflich, freundlich in der Ansprache, in Begrüßungen, Gesprächen sowie im verbalen Umgang mit anderen, kooperativ in sozialen Kontakten, friedvoll, einträchtig, vertrauensvoll, den Menschen angenehm‹; von Tieren: ›zahm, friedfertig‹; bei
Maaler auch ütr. auf das Äußere, dann
: ›hübsch‹;
vgl.  2.
Gehäuft narrative Texte.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 5, ,  1,  2, ,  3, , (Adj.) 3,  2,  1, (Adj.) 7.
Syntagmen:
das aufbrechen t. sein, j. t. (gegen jn.) sein / werden
;
t. miteinander essen / leben / überein kommen, auf etw. antworten, mit jm. reden, sich gegen jn. neigen, jm. t. danken / rufen, jn. t. empfangen / grüssen / halten
(z. B.
gefangene
),
etw. t. aufnemen / empfangen, eine rede
[Akk.obj.]
t. lauten
›vortragen‹,
sich t. beweisen, jm. etw. t. geben / sagen
;
die tugendliche antwort, das tugendliche angesicht / tier, tugendliche freuden / sitten / worte
.
Wortbildungen:
tugendlichkeit
.

Belegblock:

Tiemann, E. v. Nassau-S. Kgn. Sibille
119, 19
(
rhfrk.
,
um 1435
):
Des keysers dochter neygete sich dugentlich geyn yme.
Chron. Mainz (
rhfrk.
,
15. Jh.
):
also redet der hertzuge dogentlichen mit des rades frunden.
als dann die selbe ire bede und gutliche redde zu derselben zit mit mee worten dogentlich geludet hant.
Meisen, Wierstr. Hist. Nuys
2725
(
Köln
1476
):
Dye wurden dayr vntfangen vort | Recht myt obediencien | [...] | Van landtgreef Herman doegentlych.
Knape, Messerschmidt. Bris.
26, 51
(
Frankf./M.
1559
):
hiessen jn [...] Gott willkumen sein / empfiengen jhn schon / denen er denn allen gantz tugentlich danket.
Gerhard, Hist. alde e
2299
(
omd.
,
um 1340
):
[Er] bewiste sich | Tugentlich nach kuneclicher art.
Chron. Nürnb. (
nobd.
,
1488
):
wann die jungen nach volgent der eltern treffenliche tet und hant haltent ein gemeinen stant und nutz mit tugentlichkeit und manlichkeit.
Ebd. (
1440
/
4
):
die das also tatten mit dugentlichen demutigen worten.
Buck, U. v. Richent. Chron. Conz. (
alem.
,
um 1430
):
ward och kain unwill nit under inn und leptend all mit ain andern tugenlich.
was das uffbrechen also tugenlich und also beschaiden, das [...] nieman kain laid geschach.
Chron. Strassb. (
els.
,
1362
):
er enbot ouch den burgern, daz sü die gevangnen tügentliche hieltent.
Wickram
4, 9, 6
(
Straßb.
1556
):
ES habend sich unsere voraͤlteren [...] tisch und baͤnck auffgericht / ire speisen zuͦsamen getragen / und also tugentlich miteinander gessen.
Jörg, Salat. Reformationschr.
629, 24
(
halem.
,
1534
/
5
):
Ein solcher zoum / waͤr vil eim tugentlichern tier zuͦ lind gsyn.
Maaler (
Zürich
1561
):
Ein fründlich vñ Tugentlich angsicht froͤlich vnd vnbetruͤbt. [...]. Tugentlich / Hüpschlich. Placidè. Tugentliche / angenaͤme loͤuwen. [...]. Mit Tugentlicher stimm eim ruͤffen.
Haltaus, Liederb. Hätzlerin (
schwäb.
,
1471
):
was gewirdet dir? | [...] | Das solt du tugentlich mir sagen.
Chron. Augsb. (
schwäb.
,
1368
):
daz wir lieplich und tugentlichen einer zunfft [...] mit einander uberein kumen sien.
Ebd. (Hs.
16. Jh.
):
[der cardinal] ward so güetig und so tugentlich gegen den von Augspurg.
sie empfieng die gab tugentlich und danket der potschaft gar gezogenlich.
Klein, Oswald
43, 3
(
oobd.
,
um 1408
?):
er sprach ir zü mit tugentlichem sitten.
Fischer, Brun v. Schoneb. ;
Karnein, Salm. u. Morolf
56, 4
;
Meisen, a. a. O.
2759
;
Kehrein, Kath. Gesangb. ; ;
V. Anshelm. Berner Chron.
5, 292, 16
;
Anderson u. a., Flugschrr.
9, 5, 30
;
Kottinger, Ruffs Adam ;
Pfaff, Tristrant ; ;
Herzog, Landsh. UB
250, 41
;
Vgl. ferner s. v.  3.
3.
›tauglich, geeignet, begabt zu etw.‹; vgl.  3; in dieser Bedeutung semantische Berührung mit
1
taugenlich
(dazu: ).

Belegblock:

Kohler u. a., Bamb. Halsger. (
Bamb.
1507
):
So oft das not geschicht, Sol der oder dieselbigen ander tuͦgenlich person zu besitzung des halssgerichts an yr stat orden vnd bestellen.
Bernoulli, Basler Chron. (
alem.
,
um 1530
):
do ein yeder zuͦ dem eren ampt des burgermeisterthuͦmbs wol dugentlich was.
Roder, Stadtr. Villingen (
önalem.
,
1592
):
das die vögt ihre vogtkinder zur forcht gottes und der catholischen [...] religion, kunst oder zue einem handtwerck, darzu die oder das tugenlich und geschickt ist, ufferziehen.
Köbler, Stattr. Fryburg (
Basel
1520
):
welche vnerlicher sachen vnd hendel erwyßt werde͂ die alle sind zuͦ kuntschafft nit toͤgentlich.
Baumann-Zwirner, Augsb. Volksb.
1991, 268
.
4.
Eigenschaften, Handlungsmotivationen kennzeichnend, die Frauen positiv wertend sowie moralisch verpflichtend zugeschrieben werden, dann: ›keusch, sittsam, ehrbar‹ (besonders von unverheirateten Frauen, Klosterangehörigen); ›treu‹ (besonders von Ehefrauen); ›jungfräulich, ohne Sünde‹ (von der Gottesmutter);
zu  4.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 3,  23, ; vgl.  6,  2,  2.

Belegblock:

Luther, WA (
1544
):
das niemand kein fromer ehrlicher Man noch tugentliche ehrliche Fraw, Jungfraw etc. mehr sey?
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1610
):
Die Muͦtter Gottes loben wir, | Ein Jungfraw tugentlich.
Strauch, Par. anime int.
116, 9
(
thür.
,
14. Jh.
):
du unse vrowe unsin herrin inphinc, du sprach der engil zu ir: ,ône wê vol gnâdin!‘ also sal di sele di daz ewige wort inphahin sal, – di sal [...] habin ein tugintlich lebin.
Wattenbach, Urk. Rauden (
schles.
,
1387
):
Herbort [...] vnd Walther [...] habin recht vnd redelichin vorkauft der toguntlichin Juncfrowin Ofken vom Keczir Priorin dez Juncfrowin Clostirs.
Sachs (
Nürnb.
1568
):
Welche jungfraw noch lebet da | Schamhafft, tugendtlich und züchtig, | Von aller unzucht ist abflüchtig | In einr züchtigen, erling lieb.
Wickram
4, 12, 8
(
Straßb.
1556
):
hette auch sein hausfraw ein guͦt lob vonn wegen ihres tugentlichen unnd holdtsaͤligen wandels / sie was ein weib der ehren.
Lindqvist, K. v. Helmsd.
2674
(
halem.
, Hs.
um 1435
):
So sÿ [Marÿam] [...] | Sich tugentlich hat beklait.
Sappler, H. Kaufringer
6, 117
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
da kam die fraw wolgetan | in tugentlicher weise.
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
97, 14
(
tir.
,
1464
):
die selbigen vorgenentten chloster frauen die lëbten aines gueten vnd tugentleichen lebens in dem selbigen chloster.
Wattenbach, Urk. Czarnowanz ;
Bindewald, Texte schles. Kanzl.
112, 6
;
Brandstetter, Wigoleis
233, 1
.
5.
Eigenschaften, Handlungsmotivationen kennzeichnend, die Männern positiv wertend sowie verpflichtend zugeschrieben werden: ›tapfer, charakterstark, heldenhaft‹;
zu  5.
Gehäuft berichtende Texte.

Belegblock:

Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Sy sprach: ,tugenlicher held, | Üwer libe usser weltt | Ist mir allen küngen vor‘.
Brandstetter, Wigoleis
222, 6
(
Augsb.
1493
):
stellet ab eüer grausamlichs hassen gegen disem tugentlichen hoelden.
Munz, Füetrer. Persibein
17, 2
(
moobd.
,
1478
/
84
):
Si rieten all gemaine | Artus dem tugentleichen, | er sollt [...].
Moscouia
B 3v, 28
(
Wien
1557
):
Ein solchen tugentlichen Khoͤnig begern wir auch zuhaben / dem nit das Gold / sonder Waffen liebten.
6.
›machtvoll, allmächtig; geheimnisvoll‹ (heraushebend von Gott in der Person des Vaters und des Sohnes mit kontextuell je wechselnden Nuancen gesagt); speziell: ›gerecht, ohne Sünde‹ (von der Geburt Christi; auch von den abgesandten Engeln);
vgl.  7.
Bedeutungsverwandte:
 1, (Adj.) 1,  1; vgl. ,  2,  4,  3.

Belegblock:

Banz, Christus u. d. minn. Seele
154
(
alem.
,
1. H. 15. Jh.
):
O herr, wie bist du so tugentlich! | Du last versünen arm und rich.
Lindqvist, K. v. Helmsd.
304
(
halem.
, Hs.
um 1435
):
Der engel zü der magte kam | Und ir so wunneclich kunt | Mit sinem tugntlichen mund.
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
er kunt senfteklich und suͦsseklich und tugentlich alz daz tow des maigen.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
ich gesweig, daz der edelst der schœnst der tugentleichst [Jêsû] der gewaltigst und der reichst durch dein lieb sô vil marter hât erlitten.
Klein, Oswald
111, 84
(
oobd.
,
1436
):
„wem sücht ir so gedrange?“ | „das tü wir Jhesum Nazareth.“ | er antwurt tugentlichen: „das bin ich“.
Lindqvist, a. a. O.
1298
.
7.
›heilend wirksam, heilkräftig‹;
zu  8.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  3,  5,  4.

Belegblock:

Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Von wurtzen ain vil riches bad | Ward im togenlich beraitt.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
ez habent auch andreu kräuter gar wunderleicheu werch, sam patönigekraut und eisenkraut [...]. iedoch schol man in diu kniel decken in disem strâzenlaufær, wan ez wær niht tugentleich getân, der die hailichait für die hunt würfe.