or,
das
;
-s/-en
(Plural großenteils dualisch aufzufassen).
Das Bedeutungsfeld unterliegt folgender Gliederung: 1 Bezug auf
or
als Körperorgan; 2 fokussiert
or
als Zielpunkt erotischer Annäherung, 3 als Ort von Verletzungen und entsprechenden Strafen; in 4 erscheint
or
als Organ sozialer Beziehungen; in 5 dominieren moralische und religiöse Aspekte; Punkt 6 enthält Phraseme mit
or
; 7 und 8 bringen schwach belegte tropische Verwendungen.
– Zur Begriffsgeschichte vgl.
Lex. d. Mal.
6, 1375
;
Hwb. dt. Abergl.
6, 1204-17
und zur Lautung von 'Ohr' in den rezenten deutschen Mundarten s.
regionalsprache.de, s. v.
.
1.
›Ohr als anatomisches Organ des Menschen (meist) und einiger größerer Tiere‹ (oft des Pferdes, auch des Hirsches, eines Drachen); in den Belegen ist
or
1 mehrfach Gegenstand von Hygiene, Krankheiten und deren Behandlung sowie von angelegtem Körperschmuck; oft im Orientierungsfeld mit:  1,  1, (
das
1, ; in 1 Beleg Bezug auf die Kiemen eines Fisches.
Syntagmen:
zwei oren haben, die oren putzen / reinigen
(z. B.
von unsauberkeit
),
ein o. verlieren, mit einer
1
ale
durchgraben, das o. nach der länge begreifen, dem gaul das o. verhalten
;
das / js. o
. (Subj.)
härig / rot sein, von etw. werden
›entstehen‹,
die oren jm. eitern / gellen / schwitzen, oren nach einem esel
›wie ein Esel‹
haben
;
den oren etw
. (Subj.)
dienen
;
dem pferde an das o. greifen, einen apfel an das o. legen, an dem o. sehen, was [...], die taube jm. korn aus den oren lesen, dem serpand ein zettel aus den oren fallen, es krinzelt jm. in den oren, in den oren sucht, ein geschwer werden, etw
. (z. B.
saft
)
in die oren lassen, etw. in das o. giessen / träufen / triefen, jm. etw. in die oren stossen, den finger in das o. stechen, dem ros harn in die oren schütten, das pferd mit dem o. winken, eiter zu den oren aus gehen, den darm zu den oren
(hier: ›Kiemen‹)
aus lösen
;
das linke / rechte / grosse / kleine / lange / ganze / hole / geschmükte o
.;
zwei oren von rubinen
(in einem
helm
);
der flus der oren, die region der oren
;
würme in den oren, das geschwer hinter den oren
.
Wortbildungen:
orbacke
›nicht als Fleisch anerkannter Teil des Kopfes von Schlachtvieh‹,
or|
1
band
›Ohrgehänge‹ (um 1460; dazu bdv.: , ),
ordrek
›Ohrenschmalz‹ (dazu bdv.: , ), ˹
orenfinger
,
orfinger
,
orengrübel
,
orgrübel
,
orgrübler
˺ ›der kleine Finger‹,
orenklammer
ein Geschwür am Ohr,
orenmizler
›Schmeichler‹ (Zuordnung des Gw unklar; dazu bdv.: vgl. ),
orenschmalz
(Bw auch
or-
), ˹
orensiechtum
,
orensucht
˺ ›Ohrenkrankheit‹,
orenschwulst
,
orenwe
,
orenzange
eine (ohrenförmige, zweiarmige?) Zange für Schmiedearbeit,
oreule
(Bw wohl von den Federohren / Federbüscheln an beiden Kopfseiten des Vogels her motiviert),
orfängel
möglicherweise ›Trommelfell‹ (die Schreibungen
-fendel, -fängel
u. a. weisen auf motivliche Undurchsichtigkeit des Gw),
orfel
wohl ›Trommelfell‹,
orgehänge
›Ohrenschmuck‹ (dazu
Lex. d. Mal.
6, 1376
),
orgriffel
wohl ein chirurgisches Instrument (oder ein Instrument zur Reinigung der Ohren?),
orkraut
›Origanum vulgare, Dost‹ (dazu bdv.:  2, ; Herleitung des Bw wohl aus
origanum
mit volksetymologischer Deutung als ›Kraut gegen Ohrenschmerzen‹),
orkruspel
›Ohrknorpel‹ (zum Gw s.
krüspel
),
orküssen
,
orleffel
(Gw zu
1
›löffelartiges Gerät zur Reinigung der Ohren‹),
orpauken
,
orschlechten
(wohl pl. tantum; Gw zu , von
ausschlag
her ütr.; s. , V., subst.),
orschmer
›Ohrenschmalz‹ (dazu bdv.: , ),
orsedel
›Ohr, Ohrmuschel‹ (Gw zu mhd.
sëdel
›Sitz‹; ),
orzecke
(Gw im Beleg ütr. als ›(menschlicher) Blutsauger, Schmarotzer‹ zu verstehen; s. u.
Primisser
).

Belegblock:

Ziesemer, Gr. Ämterb.
277, 31
(
preuß.
,
1419
):
7 stogczangen, 1 sechczange, 2 oreczangen.
Volkmar (
Danzig
1596
):
Masern / Boggen / Ohrschlechten.
Parotis [...] Ohrenschwulst.
Luther, WA (
1530
):
Der arme Christus muß leyden und horen, das yhm die oren mussen schwiczen.
Leman, Kulm. Recht (
Thorn
1584
):
Her sal myt syme rechten fusse deme pferde tretyn vf synen linken phus vorne, vnd sal myt syner lynken hant dem pferde gryfen an syn recht ore, vnd sal geren der heyligen.
Quint, Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
Ze dem ûzerlîchen menschen hœret allez, daz der sêle anehaftende ist, begriffen und vermischet mit dem vleische, und hât ein gemeine werk mit einem und in einem ieglîchen geliede lîphafticlîche als daz ouge, daz ôre, diu zunge, diu hant.
Schützeichel, Mrhein. Passionssp.
729
(
mrhein.
,
um 1335
):
Ich
[Petrus]
han hie virlorn min ore. | Dar vmme heizet man mich ein dore.
J. W. von Cube. Hortus
89, 28
(
Mainz
1485
):
Den safft von naterwuͦrtz in die oren warm gelaissen benympt das susen dar inne.
Tiemann, E. v. Nassau-S. Kgn. Sibille
119, 34
(
rhfrk.
,
um 1435
):
Syn [getwerch] oren vnd sin armen vnd aller sin lip was heryg
(Beschreibung unhöfischer Gestalt).
Voc. inc. teut.
r viijr
(
Speyer
um 1483
/
4
):
Orkruspel Int’firnū.
Belkin u. a., Rösslin. Kreutterb.
84, 10
(
Frankf.
1535
):
er [alaun] heylt auch den oren fluß / mit dem safft poligonie vnd das überflüssig fleisch / oder geschwer.
Ebd.
116, 16
:
Chrisolectrum an den halß gebunden / [...] gstossen mit rosenhonig / dienet den oren.
Ebd.
168, 14
:
Petroleum dienet zu dem schmertzen der ancken / glider odder geleych / besunder das weiß / auch dient es zu dem kalten orenwee.
Alberus
z ijv
(
Frankf.
1540
):
ein oreul / schleyereul, noctuarum genus est maximum.
Ebd.
cc iiijr
:
Parotis [...] ohrn klam͂er / geschwulst neben dem ohr / kompt gemeynlich vom feber.
Schmitt, Ordo rerum
337, 14
(
omd.
,
1466
, Varianten
oobd.
,
15. Jh.
):
Meringa orfel orfendel [...] orfängel [...] örfämgel.
Ebd.
341, 28
(
salem.
,
2. Dr. 15. Jh.
):
Auricularis clein finger [...] argrubler.
Strauch, Par. anime int.
109, 37
(
thür.
,
14. Jh.
):
an lebendigin creaturen wirkit ez [licht] lebin fon todin dingin, alse daz schaf daz grais izzit, und da fon wirdit ein ore oder ein auge.
Thür. Chron.
24v, 9
(
Mühlh.
1599
):
der hatte eine weisse Tauben / welche er gewehnet / das die jhm Korn vnnd Linsen auß den Ohren laß.
v. Tscharner, Md. Marco Polo
70, 2
(
osächs.
,
2. H. 14. Jh.
):
si [ungestalte manne / wibe] han ouch groze munde sam di vorloufe, groze oren unde wite ougin und ufgedunst.
Anderson u. a., Flugschrr.
11, 2, 10
([
Leipzig
1521
]):
so heistu mich nicht aleyn ein narren / sonder ouch ein esel / Wy wol ich nu nith oren darnach hab / das ich einem Esel gleich sehe.
Hajek, Guͦte spise
17
(
rhfrk.
/
nobd.
,
um 1350
):
Von gefuͤlten hechden. [...]: man neme gefuͤge hechede vnd schuͤpe die vond loͤse in abe den darm zvͦ den oren vz.
Mylius (
Görlitz
1577
):
Tinnitus aurium Ohren klingen
(als Wbg. aufzufassen).
Keil, Peter v. Ulm
247
(
nobd.
,
1453
/
4
):
In den oren wirt mancherley sucht: Etwen wirt ein geswer in den oren.
Ebd.
248
:
ein wol schmeckenden apfel, den werm pey dem feur vnd leg in an daz ore.
Rupprich, Dürer (
nobd.
,
1513
/
5
):
Zwischen f g würt das gantz or noch der leng begriffen.
Voc. Teut.-Lat.
y jv
(
Nürnb.
1482
):
Orensucht. othalgea. othologa.
Sachs (
Nürnb.
1555
):
das wir machen mit fleis | Hecklein und schlaifflein, gelb und weis, | Orlöffel und auch fingerlein.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
1359
):
leg dich uf das krútze und gedenke und begere [...] das suͤsse herze das das din orkússin si.
Chron. Strassb. (
els.
,
A. 15. Jh.
):
die andern leygen die dobi stundent, noment orsmer usser iren oren und strichent es den kinden an für criseme.
Cirurgia H. Brunschwig (
Straßb.
[
1497
]):
ein meyssel võ speck genetzet oder gesalbet forn mit ein wenig or schmer.
Hampe, Ged. v. Hausrat
4, 6, 27
(
Straßb.
um 1514
):
Darbey ist penal vnd ouch Calamar | Schryb messer Scherlin der yedes ein par | Orgriffel vnd scharpffe Ougen Zengel.
Dasypodius (
Straßb.
1536
):
Auriscalpium oren grübel.
Ott-Voigtländer, Rezeptar
203r, 28
(Hs. ˹
nalem.
,
um 1400
˺):
in
[den
siechen
]
tunket das / jm die schucz gangent in das hirn, die tinne / schlaffent jm bedenthalb bi den oren.
Ebd.
204v, 6
:
Dem die oren gellen [...] nach dem siechtagen: Súde eyger.
Sudhoff, Paracelsus (
1526
/
27
):
ists [salz corporis] in partibus aurium, so werden oren fluͦß und würm daraus.
Ebd. (
1527
):
fur die orenwehe sezet ir die adern hinder dem schlaf.
die oren haben gleich so wol iren eignen magen, als die andern glieder. nun ist ir stercus das orenschmalz.
Ebd. (
1530
):
das ist darnach nit ein caducische blendung sonder ein natürliche augenkrankheit, und also mit den oren, auch der rede.
der stet der pestis seind drei, die region der oren, die region der uchsen, die region der schlichten.
V. Anshelm. Berner Chron. (
halem.
,
n. 1529
):
ein gwis zeichen eines ungmeinsamen, partîschen regiments, das semlicher zungenriteren und orenmitzlen bedarf und gebrucht.
Maaler (
Zürich
1561
):
Der Orenfinger oder kleinfinger. Auricularis digitus.
Dict. Germ.-Gall.-Lat.
352, 22
(
Genf
1636
):
Ohrschmaͤltz / m. ohrdreck.
Müller, Nördl. Stadtr. (
schwäb.
,
1463
):
das die metzger füro nieman, so es gern flaisch kaufte, andingen, weder gelüng, kroͤs, kalbskoͤpf, fuͤss, würst, orbaken, kitzlen.
Gilman, Agricola. Sprichw.
2, 52, 23
([
Augsb.
]
1548
):
Wir haben zway oren / und ainen mund. Das geschoͤpff / Constitution und ordenung am menschen erweyset / wie er zum fride / zum hoͤren / und wenig zuͦ reden / geschaffen sey.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
origanum [...] (daz haizet ôrkraut und haizent ez etleich aiterkraut, aber ez haizt pilleich ôrkraut, wan ez ist den siechen ôren guot).
aber si [des paums pleter] sint dem ôrnsiechtum guot und der tauphait.
wenn man ez [nieswurz] seudet mit ezzeich, sô benimt ez das ôrpauken und sterkt daz krank gehœrde.
Primisser, Suchenwirt (
oobd.
,
2. H. 14. Jh.
):
Von golde reich ein praken haubt; | Sach man dar ob erscheinen, | Tzway orn von rubeinen.
[die Angehörigen einer neuen Ritterschaft]
sint mit gantzer chrefte | Ortzechen und hoffgallen, | Si verwerren manigen man.
Eis u. a., G. v. Lebenstein
54, 14
(
oobd.
,
1. V. 15. Jh.
):
Wem es in die oren crinczelt, der thv einen tropffen oder ij dar ein.
Ebd.
56, 11
:
Wem die oren aittern, der thvn des wassers ein tropffen [...] dar ein.
Bäumker, Geistl. Liederb. (
oobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
Er schlueg ainen der fürsten knecht | das orsädl herab, das gerecht.
Deinhardt, Ross Artzney
115
(
oobd.
,
1598
):
Deckh in [gaul] zu vnd verhalt im das ohr wol, das er die temperierung nit ausschling.
Munz, Füetrer. Persibein
226, 1
(
moobd.
,
1478
/
84
):
Dem serpanndt aus den oren | ain zetel viel aufs lannd.
Ebd.
394, 3
:
Von willder artt geporen | so was dy vngethan [ain weib] | rot augen, lannge oren.
Starzer, Qu. Wien (
moobd.
,
1624
):
edelgestain darunter die klainodien, ring, ketten halß-, ohrgeheng.
Peil, Rollenhagen. Froschm.
533, 839
;
J. W. von Cube. a. a. O.
82, 7
;
Schützeichel, Mrhein. Passionssp.
747
;
Wunderlich, Fierrabr.
105, 12
;
Karnein, Salm. u. Morolf
617, 2
;
Kehrein, Kath. Gesangb. ;
Pfeiffer-Belli, Murner. Kl. Schrr.
8, 82, 30
;
Pfeiffer, a. a. O. ;
Deinhardt, a. a. O.
57
;
385
;
Bremer, Voc. opt.
1052
;
1182
;
Schmitt, a. a. O.
341, 28
;
2.
›Ohr in seiner körperlichen Schönheit, als Gegenstand erotischer Zuwendung und Zärtlichkeit‹.

Belegblock:

v. Ingen, Zesen. Ros.
74, 5
(
Hamb.
1646
):
Als wier uns nuhn eines mahls / [...] / mit etlichen Lust⸗spilen ergaͤzten / und ein ider seinem naͤchsten was heimliches ins ohr zischete / so sagt ich zu ihr; Roselinde [...].
Fastnachtsp. (
nobd.
,
15. Jh.
):
Do wirt einer in die oren gepfiffen, | Die ander wie ein kalp begriffen, | Der dritten schut man ab die ageln.
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Dü minnenkliche Heylene | Bött ir zartten ören dar.
Primisser, Suchenwirt (
oobd.
,
2. H. 14. Jh.
):
Auch het di zart maget rain | Zwai orel an ıͤr haubet chlain, | Noch wunsche wol gesmuket dar.
Klein, Oswald
19, 53
(
oobd.
,
1416
):
ring in den oren, nagelrot, | e das ir aine ain hendlin bot, | si torst aim e gebietten | ain smutz mit süssem nieten.
Ebd.
61, 9
(
1417
):
die örlin klain, darob das har | raid, krispel, krumpel, krinnen.
Ebd.
90, 7
(
1416
):
Vil aubenteuer, neuer mër | wolt ich in losen, | scharpf in das örichin an gevër | freuntlichen kosen.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
98, 6
(
moobd.
,
1473
/
8
):
den fürsten gund mit armen sy umbfaltten. | Sy rawnt im haimlich in sein or, | er solt unschlaffent sich ein zeit enthalten.
Klein, a. a. O.
18, 37
.
3.
›Ohr als Körperglied und Körperbereich, das / der wie
1
,  4, (
der
1,  1 in besonderer Weise der Mißhandlung, Verletzung durch einen Gegner ausgesetzt ist und dessen Verletzung rechtlich in teils spiegelnder Strafe geahndet werden kann‹; die Verletzung der Ohren gilt als mittelschwere Straftat, in 1 Beleg (s. u.
Holland
) findet sich dazu das Syntagma
jm. mit dem beil ein par striche hinter die oren geben
; als (von anderen Körperteilen her motivierte) partiell synonyme Ausdrücke für die Strafe erscheinen in den Belegen:
die bezeichnung der stirn mit einem glühenden eisen
(als Brandzeichen),
durch die zäne brennen, zu zänen brennen, jn. auf den pranger stellen, jn. bei der schreiat anschlagen
; Weiteres in den Syntagmenangaben.
Phraseme:
j. um ein or sein
›ein Ohr verlieren‹.
Syntagmen:
ein o. verlieren
(als Strafe),
jm. ein o. abhauen / abschlagen / abschneiden / abgewinnen / schlitzen
(als Strafe wie als verletzende Tat),
den eltern die oren abbeissen
(als Vergeltung für allzu liebevolle Erziehung),
das or mit einem halben wergeld bessern, jm. eins an ein o. geben, sich selbst bei den oren abschneiden müssen, jm. die stat bei den oren
›bei Strafe der Abschneidung der Ohren‹
verbieten, einen backenstreich lange bei den oren empfinden, jm. einen strich hinter die oren geben, jm. blei in die oren giessen, ein zeichen in das o. schneiden, jn. mit dem o. an einen haken henken, an der staupsäule annageln, jm. mit einem o. an dem pranger zwicken, jm. das har ob den oren, oberhalb der oren abscheren / abschneiden, jn
. (z. B.
mit der akst
)
zu den oren schlagen, jm. das blut zu den oren ausschiessen, zu oren abschneiden eine pein
›Strafe‹
sein, jn. zwischen den oren verschneiden
;
die abschneidung der oren
;
der schlag bei dem o., dem nachrichter
[ein Betrag]
für ein or abschneiden
.
Wortbildungen:
orenschlag
,
orenstok
›ein besonders zugerichteter Holzklotz, auf dem man dem Verurteilten die Ohren abschlug‹ (Gw zu  9),
orfeige
(zur Entlehnungs- und Motivationsgeschichte s. ; vgl. auch ),
orgeschelle
›Ohr, Ohrmuschel‹,
orlos
1 ›(verletzungsbedingt) ohne Ohren‹,
orschlagen
,
ortalpe
(Gw zu mhd.
talpe
›Pfote‹; ),
orwasche
›Ohrfeige‹ (Gw zu
wasche
, onomatopoetisch; ; dazu bdv.: , ).

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
Daz her nicht vorzagete | Do man in orslagete | Die wangen beider siten.
Holland, H. J. v. Braunschw. V. e. vngerat. Sohn (
Wolfenb.
1594
):
wolte ich [Nero] meinen Vater mit einem Beil ein par strich hinter die Ohren geben, vnd jhme einen Pfrim in den Kopff schlagen.
Toeppen, Ständetage Preußen
1, 35, 24
(
preuß.
,
1375
):
das keyn knecht van deme schiffe sal gen, bis das gut czu deme markete bracht werde, unde wer ee van dannen geet, des sal vorlysen eyn ore.
Ebd.
5, 418, 12
(
1494
):
do sall ynn der henger adder stadtmait ann dy stawpszawle mit dem ore mit eynem pfennignagele annagelenn.
Volkmar (
Danzig
1596
):
Backenstreich / Maultesche / Ortalpe.
Peil, Rollenhagen. Froschm.
532, 818
(
Magdeb.
1608
):
Sagt doch / Er
[Habicht]
wer jhnen
[den
Jungen
]
nicht gram / | Ohn das sie winseln nach der Amm / | Damit sein ruhe vnd schlaff verstoͤrten / | Dafuͤr jhn Ohrfeygen gebuͤrten.
Wunderlich, Fierrabr.
120, 31
(
Simmern
1533
):
aber er
[der
Heyde
]
was als wol gewapnet / [...] / das er jm eyn Ore abschluge.
Karnein, Salm. u. Morolf
331, 3
(
srhfrk.
, Hs.
um 1470
):
er [Fore der kunig] gap im einen oren slag | mit also grossen krefften, | daz er ein wile stille lag.
Ebd.
315, 2
:
Ein schere nam er uß der deschen, das ist war, | oberthalp den oren sneit er abe den eilffen das har.
Ebd.
512, 2
:
Er gab im einen slag uber das heubet so groß, | das im das blut zu beiden oren uß schoß.
Bechstein, M. v. Beheim. Evang. Mt. (
osächs.
,
1343
):
her zôch ûz ein swert und sluͦc einen knecht des vuͤrstin der prîstere und her hiuwe ime abe sîn ôre.
Schultheiss, Achtb. Nürnb.
93, 13
(
nobd.
,
1381
):
Alheyden Gruͦnin ist die stat verboten [...] bei den oren.
Gerhardt, Meister v. Prag
80, 7
(Hs. ˹
nobd.
,
1477
˺):
da zach Petrus sein swert aus vnd slug eim knecht der prister fursten ab ein or geschell.
Chron. Nürnb. (
nobd.
,
15. Jh.
):
und man prach den ornstok und den petlerstok ab.
Voc. Teut.-Lat.
y jv
(
Nürnb.
1482
):
Orloser od’ gelidloser.
Sachs (
Nürnb.
1553
):
Darffst nit besorgen harter straff, | Ist umb ein ohrwaschen zu than.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 73, 11
(
Hagenau
1534
):
Wir wissen auch / daß vil kinder yhren eltern da fur gelonet haben / und wenn sie zu yhnen seind kommen zum galgen so haben sie yhnen oren unnd nasen ab gebissen [...] und gesagt / Du soltest mich gestraffet haben in der jugent.
Roder, Stadtr. Villingen (
önalem.
,
1516
):
von den anderen strafen, als oren abhowen, mit ruten ußschahen, [...] sol man im von ainer person nit mer dann halb sovil, [...] zu geben schuldig sein.
Päpke, Marienl. Wernher (
halem.
,
v. 1382
):
Er
[Jesu]
ruͦfte dem orlosen man, | Sin or saczte er im wider an.
Rennefahrt, Zivilr. Bern (
halem.
,
1524
):
ob sich in soͤllichem begaͤben, [...], dz einer ertraͤnckt, mit ruͦten usgeschlagen oder die oren abgehuͥwen wurde, alldann [...].
Wyss, Luz. Ostersp. nach
7392
(
Luzern
1545
):
barabas stadt grittlichen ob dem kretzen trager, suͤcht im den seckel, so redt Josaphat gibt im eins an ein or.
Müller, Grafsch. Hohenb.
2, 191, 11
(
schwäb.
,
1444
/
5
):
Dem nachrihter von dem müller von Nydernow ain or abzeschnident 30 ß.
Baumann, Bauernkr. Oberschw. (
schwäb.
,
v. 1542
):
stellet man die magt hie auf den pranger, schnitt ir die oren ab
(wegen Verwahrlosung eines Kindes und dessen darauf folgenden Tod).
Gehring, Würt. Ländl. Rechtsqu.
3, 51, 35
(
schwäb.
,
1639
):
Welcher dem andern einen finger oder ohr abhauwet oder abbeist oder ein oug außschlecht, der soll gleichergestalt acht gulden verfallen sein.
Munz, Füetrer. Persibein
169, 3
(
moobd.
,
1478
/
84
):
zwischen sein oren / paiden | mit ainer wunnden er in so verschnaid, | so das die zung im munnd im lag zerspallten.
Winter, Nöst. Weist. (
moobd.
,
1. H. 16. Jh.
):
wer aber das er mer [weinper] abprach [...], so ist er umb ain ör.
Bischoff, Steir. Landr. (
m/soobd.
, Hs. 
v. 1425
):
ist die dieff
[s.
deube
2]
so chlain, daz der mensch sein leben damit nicht verwarcht hat, daz man jm ain or sol absneyden, oder durch die zend prennen.
Piirainen, Stadtr. Sillein
72b, 33
(
sslow. inseldt.
,
1378
):
Von den glyden dy man bezzeren zol mit eim halben wergelde DEn munt vnd nase vnd augen zunge oren vnd daz mannez gemechte hende vnd vuze.
Toeppen, a. a. O.
2, 58, 18
;
Lemmer, Schernb. Frau Jutte
1107
;
Schultheiss, a. a. O.
103, 10
;
Barack, Zim. Chron. ;
Vgl. ferner s. v.  1, .
4.
›Ohr als Organ des Hörens (in aller Regel:) des Menschen, damit als Organ, das ein Sprechender bei einem als hörfähig bis hörbereit Angenommenen voraussetzt bzw. das einem Hörenden das Verständnis des Gesagten ermöglicht‹.
Or
in diesem Sinne steht im Unterschied zu dem die Anatomie betonenden Ansatz 1 durchgehend für die Reziprozität, Du-Bezogenheit der Kommunikation; sie vollzieht sich sprecherseitig über die ganze Beziehungsskala von ,freundlich zugewandt‘ bis ,drängend, nötigend‘, hörerseitig kann ihr entsprechend mit ,Zuwendung‘ wie mit ,Verweigerung‘ begegnet werden. Metonymisch steht
or
auch für ›Gehör, Aufnahmebereitschaft‹ sowie als pars pro toto für ›Hörender‹.
Phraseme:
hast du keine oren?
›bist Du taub?‹.
Syntagmen
(oft ansatzweise phrasematisiert):
der mensch zwei oren haben, die oren beladen / bemühen / recken / strecken / verstopfen / zustopfen, zuhin haben / richten, die schlange ein o. auf die erde drücken
›um genau zu lauschen‹, ˹
js. oren verbeissen
,
jm. die oren bleuen
˺ ›jn. zuquatschen‹,
darhaben / darreichen
›jm. Gehör geben‹,
jm. oren geben
›Gehör geben‹,
jm. die oren kützeln
›jm. schmeicheln‹
/ versperren
›das Gehör verweigern‹;
die oren
(Subj.)
klingen / tönen
;
seine sache bei gelehrten oren treiben
›vor Gelehrten vertreten‹,
die buchstaben in die oren nemen
›den Klang eines Lautes, der Aussprache prüfen‹,
der tjost in den oren, durch die oren (er)schnallen, ein braus in die oren erschallen, jm. in das o. reden, in den oren etw
. (Subj.) [wie]
lauten, etw. in den oren behalten
›beherzigen‹,
ein wort in den oren klingen, etw. mit den oren hören, jn. mit (geneigten) oren vernemen, etw. zu oren fassen
›verstehbar ausformulieren‹ /
nemen
›auffassen‹,
jm. etw. zu oren bringen
;
das keusche / harte / furchtsame o., die grossen / kurzen / weiten / geneigten
(mehrfach)
/ verständigen / behäbigen / unvergeslichen / treuen / verschwiegenen / verschlossenen / närrichten oren
;
der rat der oren
.
Wortbildungen
orendienen
›jm schmeicheln‹ (dazu bdv.: ),
orendiener
,
orenfieseln
›schmeicheln‹ (zur etymologischen Einordnung s.
Schweiz. Id., dort am ehesten
),
orengetöse
›durch Lärm verursachtes Dröhnen in den Ohren‹,
orenjucker
›j., der biblische Wahrheiten neuigkeitsgierig antastet‹ (dazu bdv.: , ),
orenkratzer
(dazu bdv.: vgl. ),
orenmäuler
›j., dem die Ohren nach Neuem jucken‹,
orlos
2 ›unfähig zu hören‹ (ütr.),
orrauner
›Souffleur‹ sowie ›Einflüsterer, Ohrenbläser‹ (dazu bdv.:  12).

Belegblock:

Holland, H. J. v. Braunschw. V. e. Weibe (
Wolfenb.
1593
):
Das dich der Henger schende, Hastu dann keine Ohren?
Mannack, Rist. Pers.
120, 29
(
Hamb.
1634
):
wann sie den Verleumbderen jhre Ohren willig darreichten / vnd den neidigen anbringern / [...] / Glauben zustellen / alsdan [...].
Ziesemer, Proph. Cranc
258, 35
(
preuß.
,
M. 14. Jh.
):
der orruner und der zweyzungige sy vorvlucht.
Luther, WA (
1544
):
ubi veniunt Ohrenmeuler und Orenkrawer, Ebrius et sitiens. Et quando einer ein Secten anrichtet, so richtet er ein new juncken, krawen und fuͤrwitz.
Kompt etwa mit einer Allegoria. Weils aber ein Ohrenjucker kriegt, so gehets an.
Mit denselbigen bleweten sie den Leuten die ohren vol und machten die Christen jrre.
Bolte, Pauli. Schimpf u. Ernst (
Frankf.
1545
):
Eyn unverschampter Ohrendiener sagt zuͦ Antigono dem Kuͤnig, es hetten Kuͤnig und Herren etwas weitter Macht dann andere Leutte.
Schwartzenbach (
Frankf.
1564
):
Hoͤren. [...]. Etwas zu ohren fassen. [...] Zu gehoͤr fassen.
Schönbach, Adt. Pred. (
osächs.
,
1. H. 14. Jh.
):
der tot der sunde machet den menschen orelos, daz er niht horen wil gotes wort.
Gille u. a., M. Beheim
449, 257
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
nach disem prauss, | der in seinn orn erschal, | wart ain gesicht erschrokenlich.
Franck, Decl.
340, 12
(
Nürnb.
1531
):
dieweyl wir bey gelerten verstendigen oren vnser sach treyben / will ich ein wenig ein Rhetorischen außlauff [...] thuͦn.
Schorer, Sprachposaun
46, 11
(o. O.
1648
):
vnd klingen die frembde Woͤrter schon besser in vnsern Oren / als die Teutsche.
Roloff, Brant. Tsp.
2499
(
Straßb.
1554
):
Langen har mir wachß ich will mein oren | Verstopffen das ich nit moͤg hoͤren.
Lemmer, Brant. Narrensch.
6, 13
(
Basel
1494
):
Das sie behaltten jn den oren | Was man jn sag.
Fuchs, Murner. Geuchmat
89
(
Basel
1519
):
Wer syn hend nit will beschissen, | Der soll mit narren sich nit rissen, | Das sy din oren nit zerbissen.
Goldammer, Paracelsus
4, 114, 21
(
1530
):
daß wir unser ohren zustopfen vor den stigilhupfern und orenplasern.
Sudhoff, Paracelsus (
1536
):
Von dem orengedöß oder augenbrunst, so von dem geschütze begegnet.
das vom gedon der büchsen oren sausen rc erwachsen.
Jörg, Salat. Reformationschr.
78, 33
(
halem.
,
1534
/
5
):
ertzellung der mißbrüch [...] und gigen des gmeynen mans, ouch wilfaren jedem wie er es bgert / und oren fislen [...].
Maaler (
Zürich
1561
):
Oren beschwaͤren / beladen und bemuͤyen. [...]. Die oren dar haben uñ losen wannen haͤr der wind waͤye. [...]. Die oren recken / fleyssig [...] aufmercken. [...]. Eim die Oren kützlen flattieren vñ schmeichlen. [...]. Eim die Oren versperren.
Orendienen / Eim etwas zelieb reden / Flatieren. Auribus alicuius seruire. [...] Orenruner Eynblaaser / Maner / Als in spilen. Monitores.
Kohler, Ickelsamer. Gram. (wohl ˹
Augsb.
1. Dr. 16. Jh.
˺):
Das er das selbig wort oder seine tayl, das ist, die buchstaben vor in seine oren neme, vnd frag seine zungen wie es kling, hart oder waich.
Gilman, Agricola. Sprichw.
2, 242, 30
([
Augsb.
]
1548
):
Wann ain mensch zwen mund het / alse zway oren / wann wurde er aufhoͤren zuͦ reden.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
[diu slang] [...] druket ain ôr auf die erden und verschoppet daz ander ôr.
Nyberg, Birgittenkl.
1, 449, 13
(
oobd.
,
1537
):
Last euch di ketzerey nit gefallen, als lieb euch Got vnd eur sel ist, dann es seindt orenkratzer, di den menschen sagen, was sy geren horen.
Weber, Füetrer. Poyt.
239, 4
(
moobd.
,
1478
/
84
):
ir thioste so erklennget, | das es mit krach laut schnallet durch dy oren.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
338, 5
(
moobd.
,
1473
/
8
):
Ir paider thiost inn oren laut erschnalten.
Beckers, Bauernpr.
63, 8
;
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
25, 27
;
Opitz. Poeterey
25, 30
;
Franck, a. a. O.
343, 35
;
Gilman, a. a. O.
1, 450, 30
;
Kohler, a. a. O. ;
5.
›Ohr als dasjenige Organ des Menschen und Gottes, in dem die unter 4 beschriebene soziale Beziehung zwischen einem Sprechen, das an den Hörenden gerichtet ist, und einem Hören, das sich auf den Sprechenden richtet, auf eine die normale Sozialität übersteigende moraltheologische und religiöse Begründung angehoben wird‹; dazu tropisch (von
or
her assoziiert / veranschaulicht): ›als wechselseitige Zuwendungsbeziehung gedachtes Verhältnis von Gott und Mensch‹. Als Größen innerhalb des so geschaffenen Orientierungsfeldes fungieren neben dem
or
(zum
hören, verstehen
) das
auge
(zum
sehen, blicken
2), der
mund
(zum
reden, sprechen
), das
herz
, die
sele
, die
sinne
(zur inneren Aneignung), die
hand
1; 3; 8 (z. B. zum Helfen); vielfach ütr. und mehrfach synästhetisch ineinander übergehend.
Syntagmen:
j. die oren aufheben
(z. B.
zur eitelkeit
) /
auftun / verstopfen
(z. B.
vor den armen
),
zu einer manung neigen, den unnützen worten darbieten, j. js. oren reizen, got
(Subj.)
das or / die oren auftun / öfnen / neigen
, [wohin]
keren / legen, der teufel js. oren verstopfen
;
die oren
(Subj.)
eine steige
›ein Pfad‹,
ein ort (des volkes), zum beten gekeret sein, die oren etw. hören, nie hören, nicht mit dem hören
›Hören‹
erfült werden, das o. nichts mit der farbe zu tun haben, das o. sich zu js. wort aufbieten, gottes oren offen stehen, gottes o. das bereiten des herzen hören, die bereitung des herzen vernemen
;
worte durch die oren ins herz fassen, etw. für die oren bringen, jm. etw. in die oren schlagen, die finger in js. oren lassen
›legen‹,
die sele in die oren gehen, eine rede in js.o. hellen, got die stimme in den oren erhellen, gottes stimme in js. oren klingen, got
(Subj.)
in js. oren fluchen, j. (etw.) mit (leiblichen) oren hören, sich selbs mit seinen oren hören, jm. keines der worte zu oren gehen
;
das o. der barmherzigkeit, die oren gottes, des herzen, des volkes, der welt
;
das aufmerkende / gnädige / leibliche / väterliche o
.;
das inblasen der oren
›in die Ohren‹;
unbehauen
›incircumcisus‹
an den oren
.

Belegblock:

Luther, WA (
1527
):
Yhr halßstarrigen und unbehawen an hertzen unnd oren, yr widerstrebet alle zeit dem hailigen gaist.
Pfefferl, Weigel. Gn. S. 
70, 18
(
um 1571
, Hs.
1615
):
der Mensch höret mit den ohrn, vnd sihet mit den augen, vnd redet mit der zungen.
Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
als wênic daz ouge ze tuonne hât mit dem gesange und daz ôre mit der varwe, als wênic hât diu sêle in ir natûre ze tuonne mit allem dem, daz in dirre werlt ist.
Daz sint diu ougen und diu ôren und die fünf sinne: daz sint die stîge, dâ diu sêle ûzgât in die werlt, und in den stîgen gât diu werlt wider ze der sêle.
Ders., Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
daz alliu die gelider des menschen und krefte, beidiu ougen, ôren, munt, herze und alle sinne dar zuo
[zum
beten
]
gekêret wæren.
Jostes, Eckhart
36, 22
(
14. Jh.
):
Get mein sel in mein ore, so wil si etwas horen, get si in mein augen, so wil si etwaz sehen.
Dubizmay, kurß zu Teutze
69, 7
(
hess.
,
1463
):
der kung hat begeret deine schon Neyge dein oren Lob sey dem vater und dem sün vnd dem heyligen geyste.
Sievers, Oxf. Benedictinerr. (
hess.
,
14. Jh.
):
Nu dun wir off uns augen zu dem gotlichym lichte und horen mit irvertin oren waz uns die gotliche stymme ruffende manet.
Froning, Alsf. Passionssp.
1729
(
ohess.
,
1501ff.
):
ir sijt von godde nicht geborn: | syner wort gehet uch keynes zu oren!
Strauch, Par. anime int.
70, 35
(
thür.
,
14. Jh.
):
Ysaias sprichit: ,Got hait mir geoffinbarit das ore, und ich inwidersprechiz nicht‘.
Bechstein, M. v. Beheim. Evang. Mt. (
osächs.
,
1343
):
waz ir in dem ôren hât gehôrt, daz prediget ûf den decheren.
Ebd. Mk. :
her [...] liz sîne vingere in sîn ôren und speichelte ûz und ruͦrte sîne zungen, [...]. Und sîne ôren sint zuͦhant ûf getân und daz bant sîner zungen ist gelôsit.
Reichert, Gesamtausl. Messe
31, 7
(
Nürnb.
um 1480
):
so hat Got der herre seine oren geneygt oder gelegt in die kirchen.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
dem nút sin oren verstoppfet ensint und des gewar wurt, der wurt noch selig.
Goldammer, Paracelsus
2, 87, 2
(
1520
/
5
):
also die ohren sollen gehören; so ist die seel der richter des ghörs.
Schmidt, Rud. v. Biberach
39, 19
(
whalem.
,
1345
/
60
):
das gewer gebet das lit nuͥt an liplichen worten, want an gedenken vnd an begirden in dien alr verborgenosten oren gottes.
Wyss, Luz. Ostersp.
10206
(
Luzern
1545
):
siben waffen wend wir
[Teufel]
nen zur huͤtt | vnnd domitt reitzen aller wellt ornn: | hochfart, vnküschheyt, tragheyt, zornn, | gyttigkeyt, füllerry vnnd nydt.
Heydn. maister
37r, 14
(
Augsb.
1490
):
Wann du dich selbs mit meinen orn hoͤren wurdest / hetest langest geschwigen.
Andreae. Ber. Nachtmal
57v, 4
([
Augsb.
]
1557
):
vnd ist [...] ain einige stim͂ im͂ mund des predigers vnnd in allen ohren des volcks / als wer sein mund vnd jre ohren / ohn alle mitel ein ort / da die stim͂ were.
Ebd.
78r, 16
:
Die drey andern ding aber / kan man weder mit leiblichen augen sehen / noch mit leiblichen ohren hoͤren.
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
22, 20
(
tir.
,
1464
):
des geleichen sint sich auf erhëben etleich torät menschen in dem inplasen der oren vnd sint die andern menschen verschmëhen.
Ebd.
25, 4
:
da sint die waren freüden, das chain aug nie gesëhen hat noch chain or nie gehört hat noch in des menschen herczen nie kömen ist.
Ebd.
45, 3
:
Meine oren die han ich etwen dargepoten den vnüczen worten.
Ebd.
51, 42
:
aber naig zu mir das or deiner parmherczikhait.
Dies., Imitatio Haller
70, 10
(
tir.
,
1466
):
„das or das würt nicht erfült mit dem gehören.“ Du solt dein hercz cziehen von der liebe der sichtigen ding vnd solt dich kcheren czu den vnsichtigen dingen.
Oorschot, Spee. Trvtz-N.
61, 28
;
Kehrein, Kath. Gesangb. ;
Rosenthal. Bedencken
18, 6
;
35, 31
;
Sievers, a. a. O. ;
Dubizmay, a. a. O.
67, 3
;
Eggers, Psalter
19, 17
;
Sermon Thauleri
2rb, 33
;
Mathesius, Passionale ;
zu Dohna u. a., Staupitz/Scheurl
44
;
Wickram
4, 48, 34
;
Schmidt, a. a. O.
37, 10
;
Stammler, Berner Weltger.
993
;
Wyss, a. a. O.
3, 46, 35
;
Sappler, H. Kaufringer
28, 135
;
Spechtler, Mönch v. Salzb.
20, 8
.
Vgl. ferner s. v.  2,  1,  1,  11, (V.),  1.
6.
phras. (in hoher Anzahl belegt); die motivationell jeweils plausibelste semantische Motivation der hier gebuchten Phraseme von einem (oder mehreren) der Bedeutungsansätze her wird am Schluß der Nennung des Phrasems in eckigen Klammern angegeben; vgl. für Einzelphraseme aber auch
Röhrich, Lex. sprichw. Raa.
1973, 695-98
. – Die Reihenfolge der Buchung richtet sich nach der grammatischen Funktion von
or
: Akkobj., danach Subj., danach präpositionales Gefüge; Entsprechendes gilt für die Belege:
a)
or
im Akk.obj.:
jm. die oren kützeln
(o.ä.) [4];
dem esel die oren kämmen
›den Esel hart striegeln / hernehmen‹ (auf das Bild des
babstesels
1 bezogen) [1; 4];
jm. nach seinem gefallen die oren krauen
›jm. schmeicheln, Honig ums Maul schmieren‹ [4];
die oren spitzen / spitze oren haben
›genau zuhören‹ [4];
oren und maul aufsperren
›Maul und Augen aufsperren, staunen‹ [4];
böse oren bekommen
›etw. übel auffassen‹ [4];
dicke oren haben
›schwerhörig, taub sein‹ (ütr.) [4];
winkel und wälder haben oren
›Wände haben auch Ohren‹ [4];
j. (potentaten) durchgeborte oren haben
›auch Entferntes mitbekommen‹ [4];
so schneid mir j. ein or ab
eine Zusicherung, daß etw. nicht geschehen wird [1; 3].
b)
or
im Subj.:
jm. jucken die oren nach jm
. ›man will jn. seines Gefallens haben‹ [4].
c)
or
im Gen.obj.:
j. kan seiner oren nicht erharren
›kann etw. nicht abwarten‹ [4].
d)
or
in einem Präpositionalgefüge:
auf oren gehen
›das Normale umkehren, Verkehrtes tun‹ [4];
j. jm. selten aus den oren kommen
›jm. fortwährend in den Ohren liegen, jn. ständig behelligen‹ [4];
jn. bei einem or ertappen
›übers Ohr hauen‹;
etw. für die oren (fürüber) gehen / rauschen lassen
›etw. unbeachtet, an sich vorbeigehen lassen‹ [4];
den teufel / schalk hinter den oren tragen
›jn. übers Ohr hauen‹ [4];
jm. mit etw. in den oren liegen
[4];
jm. etw. in die oren reiben
›jm. etw. hinter die Ohren schreiben, einhämmern, einbleuen‹ [4];
in eines anderen or ist wie in einen filzhut zu schneiden
›einem anderen weh zu tun, läßt jn. so kalt, wie in einen Filzhut zu schneiden‹ [4];
hinter den oren kratzen
›verlegen sein‹ [4];
etw. hinter den oren suchen
›verlegen sein, dumm dreinschauen‹ [1; 4];
die luft um die oren wehen lassen
›frische Luft schnappen‹ [1];
jm. etw. zu oren tragen
[4];
im
(refl.: ›sich‹)
etw. zu oren kommen lassen
›etw. aufnehmen, sich etw. zu Herzen nehmen‹ [4];
etw. zu einem or ein, zum anderen ausgehen / ausdringen lassen
[4].

Belegblock:

Zu a):

Maaler (
Zürich
1561
):
Eim die Oren kützlen flattieren vñ schmeichlen.
Luther, WA (
1545
):
wil ich [...] versuchen, ob ich dem grossen, groben Esel [Bapst] seine lange, ungekemmete ohren kemmen muͤge.
Franz u. a., Qu. hess. Ref. Bd.
2, 319, 12
(
hess.
,
1538
9):
Wulten meine herrn mir das maul hie gar zubinden (...), so krieget einen andern, der euch nach eurem gefallen euer ohren krowe.
Schottenloher, Flugschrr.
73, 7
(
Bamb.
1523
):
Ich spytzt mein orn, so vast ich kundt.
Fuchs, Murner. Geuchmat
112
(
Basel
1519
):
[sy] gruͤsten mich so früntelich, | [...] | Das ich min oren spitzt so eben, | Als woͤlt man mir ein ee frow geben.
Ebd.
2155
:
Jch meynt nit, do ich gucken dett, | Das gott so spitze oren hett.
Luther, WA (
1532
):
so koͤnnens sie es [...], werdens bald uberdrus, sperren oren und maul auff, wo ein ander kompt, der was newes bringet.
Qu. Brassó
5, 462, 32
(
siebenb.
,
1613
):
Wie sie [des Fürsten Rat] solches vernommen, haben sie alsbald böse Ohren bekommen und heftig erzurnet worden.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 128, 9
(
Hagenau
1534
):
Du hast dicke ohren. Der langsam horet und nicht horen will / der hat dicke ohren.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Das feld hat augen / die winckel vnd waͤld haben ohren / huͤt dich [...].
Barack, Zim. Chron. (
schwäb.
,
M. 16. Jh.
):
wie man sprücht, das die könig und grose potentaten durchgeborte oren und lange hendt haben, von weitem vernemen und auch von weitem zugreifen.
v. Keller, Ayrer. Dramen (
Nürnb.
1610
/
8
):
Wenn die Frau jhr bedeurung helt | Vnd so keusch bleibt, wie sie sich stelt, | So schneid mir einer ein Ohr ab!

Zu b):

Luther. Hl. Schrifft.
2. Tim. 4, 3
(
Wittenb.
1545
):
nach jren eigen Lüsten werden sie jnen selbs Lerer auffladen / nach dem jnen die Ohren jücken.

Zu c):

Luther, WA (
um 1535
):
Er kan seiner ohren nicht erharren.

Zu d):

Luther, WA (
1522
):
eygenen beruff lassen und frembden wercken anhangen, das hieß eben auff den oren gangen, die fuͤsse schleyern unnd den kopff stiffelln.
Klein, Oswald
2, 44
(
oobd.
,
1421
):
An weiplich zucht | kompt si mir selden immer auss den oren, | wie si die barschafft von mir drung.
v. Keller, Ayrer. Dramen (
Nürnb.
1610
/
8
):
heut hab ich ein Kauffmann ghabt, | Den hab ich bey eim Ohr erdapt | [...] | Vnd wol vmb das halb Gelt betrogn.
Mathesius, Passionale (
Leipzig
1587
):
Nemet diese Prophecey wol zu Hertzen / vnd lasset sie nicht vergeblich fuͤr die Ohren fuͤruͤber rauschen.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 337, 22
(
Hagenau
1534
):
sie [weiber] sollen vil lassen für oren und ougen gehen / durch die finger sehen / nicht alles woͤllen schnuͤrgleich haben.
Primisser, Suchenwirt (
oobd.
,
2. H. 14. Jh.
):
Du sprichst: „La fuͤr oren gan, | Man muͦz die leut reden lan“.
Banz, Christus u. d. minn. Seele
586
(
alem.
,
1. H. 15. Jh.
):
Was ich dich ie vermanet hon, | Das liest du als für oren gan.
Luther, WA (
1522
):
die warsager, die den teuffell hynder den ornn habenn unnd den leutten sagen konnen, was [...].
Peil, Rollenhagen. Froschm.
416, 4864
(
Magdeb.
1608
):
Biß der Vortheil all wird verloren / | Vnd man jhn sucht hinder den Ohren.
Harms u. a., Alberus. Fabeln
52, 6
(
Frankf./M.
1550
):
Du [Lamb] hast ein schalck hinder den ohrn / | Drumb hastu mir betruͤbt den born.
v. Keller, Ayrer. Dramen (
Nürnb.
1610
/
8
):
Doch darff mans den Leyen nicht sagn, | Was schalcks wir hinder den Ohrn tragn.
Moscherosch. Ges. Phil. v. Sittew. (
Straßb.
1650
):
Einer gibt sich mit der Faust einen Stoß an die Stirn. Ein anderer kratzt hinder den Ohren.
Koller, Ref. Siegmunds (Hs.
um 1474
):
der [orde] leyt dann tag und nacht dem babst in den oren mit golt und silber.
Luther, WA (
1544
):
Also hatten die Juͤden auch nicht verdienet durch jre fromkeit, das sie Gottes Volck wuͤrden oder blieben, wie jnen Moses solches offt in die ohren reibet.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 4828
(
Hagenau
1534
):
In eynes anderen ohr ist zu schneiden wie in eynen filtzhuͦt.
Holland, H. J. v. Braunschw. V. e. vngerat. Sohn (
Wolfenb.
1594
):
Gehe doch ein wenig hinaus ins Holtz spatzieren, Vnd lasse die lufft vmb die Ohren wehen.
Oorschot, Spee/Schmidt. Caut. Crim.
227a, 18
(
Frankf./M.
1649
):
wellen dieselbe jhre Schmeichler vnd Tellerlecker haben / die jhnen alles zu Ohren tragen.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1582
):
Das bitgeschrei der heiligfrommen | Laß ihm der Herr zuͦ oren kommen, | Er hoͤret sie aus hohem thron.
Schönbach, Adt. Pred. (
osächs.
,
1. H. 14. Jh.
):
Der tumme mensche swenne der wŭrze izzet, so slindet er sie zŭ hant und enphet keine craft dar von; also tŭt er der wisheit, der lezzet sie zŭ einem oren in gen und zŭ dem anderm ŭz.
Luther, WA (
1547
):
Nicht wenig sind, die es hoͤren, aber one frucht, weil sie es nicht behalten, sondern zu eim ohr lassen eingehen, zum andern wieder aus.
Thiele, Minner. II,
13, 257
(Hs. ˹
nalem.
/
sfrk.
,
1470
/
90
˺):
so wil es doch der adel mercken nicht, | zum eym orn yn, zum andernn uß gedrongenn.
7.
›ohrförmiger Tragegriff an einem Gefäß‹; Ütr. zu 1; dazu als Metonymie: ›Henkel‹.
Bedeutungsverwandte
zur Metonymie:  1,  1.

Belegblock:

Voc. inc. teut.
r viijr
(
Speyer
um 1483
/
4
):
Or am trinckgschir Ansa.
Voc. Teut.-Lat.
y jv
(
Nürnb.
1482
):
Or od’ hanthab. henckel als an krugen.
Dict. Germ.-Gall.-Lat.
352, 1
(
Genf
1636
):
Ohr / n. Die Hencke an einem krug.
Bauer u. a., Kunstk. Rud.
1488
(
oobd.
,
1607
/
11
):
Ein gantz guldene schaln mit einer handheb oder ohr.
Schmitt, Ordo rerum
198, 14
;
8.
›als Diminutivum
örlein
mit der Form von  1 in Vergleich gesetztes Fastnachtsküchlein‹.

Belegblock:

Müller, Stadtr. Ravensb.
277, 24
(
oschwäb.
,
1541
):
so ainer bei dem andern daz fassnacht kuechlin oder örlin holen wolle, sol er dasselbig am mentag vor der rechten faßnacht und nit am zinstag holen.