nötig,
Adj.
1.
›arm, bedürftig, nach Maßstäben finanzieller, sozialer, körperlicher, religiöser Urteile mangelhaft ausgestattet, nicht über die notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt verfügend‹ (in einem weit gefaßten materiellen Sinne); teils mit der Nuance: ›sozial am unteren, ausgegrenzten, kriminalisierten Rand der Gesellschaft stehend, von ärmlicher äußerer Erscheinung; verachtet; der Willkür sozial höher Stehender ausgesetzt‹; auch: ›ohne göttliche Gnade‹;
offen zu 2; vgl. (
die
1210.
Bedeutungsverwandte
(bzw. Orientierungsfeld): (Adj.) 14, , , (Adj.) 1, ; , .
Gegensätze:
 5611, (Adj.) 4.
Syntagmen:
j. n. leben
;
jn. n
. (objektbezogenes präd. Attr.)
lassen / schauen / sehen
(z. B.
Lazarum
);
j. / die welt n. sein, das kloster n. werden
;
den nötigen menschen beschweren / drängen
;
der nötige man / mensch, die nötige gemeinde, das nötige gesinde / volk
; subst.:
den nötigen erhöhen
;
der nötige den schaden nicht ablegen mögen
; [es bleibt]
einsam von nötigen
;
das getrete der nötigen
.
Wortbildungen:
nötige
›Dürftigkeit‹ (a. 1568).

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
Der Lazarum so notic sach | Brot biten vor sime tische.
Der ruͤf helfeloser siechen, | Die Got hart irbarmen, | Und ruef der hus armen | Und der notigen getret, | Aller heiligen gebet; | Diz gibet mit gedulden | Uf den alter gulden.
Dubizmay, kurß zu Teutze
72, 10
(
hess.
,
1463
):
[vnser here] Erhohet den nottigen von der erden vnd hebet den armen von dem miste.
Sachs (
Nürnb.
1563
):
Das volck mager, hungrig und notig, | In gwand zerhadert und zerschlissen.
Roder, Hugs Vill. Chron. (
önalem.
,
1533
):
die wellt gantz und gar arm und notig (war), dan die ture hatt woll 6 jar an ainander geweret.
Rennefahrt, Stadtr. Bern (
halem.
,
1394
):
Wer aber der selb als notig, dz er den schaden mit guͦt nicht abgelegen moͤcht, von dem oder von dien sol man richten nacht recht.
Gereke, Seifrits Alex.
2052
(
oobd.
, Hs.
1466
):
wir [Darius] sennden dir [Alexandro] zu gab | ainen pal und ainen stab | und ainen aphel guldein, do mit spil vor der muter dein. | wir wissen wol zu diser frist | das du arm und natig pist.
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. (
oobd.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
Do wardt weg und straß etweß pas fridlichen, doch pelayb eynn sam im lanndt von etlichen nottingen, als ich vor gemeldt hab, die lyessen ires zugkhen nicht.
Niewöhner, Teichner
338, 57
(Hs. ˹
moobd.
,
1360
/
70
˺):
ez hat maniger gutez vil | den man fuͤr reich haben wil, | und lebt doch gar notichleich. | der ist arm und haist doch reich.
Ebd.
363, 48
:
[got] geit hohem reichem man | armuͤt, daz nieman getraut | daz er notig waͤr geschawt.
Steer, Schol. Gnadenl.
6, 26
(
moobd.
,
15. Jh.
):
in diser gnad, wer sy hat, ist ein yeglicher mächtig vnd reich. An dise gnad ist ein iegleicher nötig vnd arm.
Merzdorf, Historienb. ;
Barack, Teufels Netz ;
Koppitz, Trojanerkr. ;
Müller, Alte Landsch. St. Gallen ;
Mollwo, Rotes Buch Ulm ;
Haltaus, Liederb. Hätzlerin ; ;
2.
›nur über die notwendigen Mittel des jeweiligen Standes verfügend‹;
vgl. (
die
10.

Belegblock:

Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
an deme totbette muͦz her iz
[die Hinterlassenschaft]
geliche teilen, iz en si danne eyn [kind] notiger dan daz ander.
Chron. Köln (
rib.
,
1416
):
der self bischuf [...] was vil edeler wan der van Teklenburg. er was arm und noetich.
Anderson u. a., Flugschrr.
22, 5, 22
([
Erfurt
]
1525
):
Goͤttlich wird geneñt alles das gut ist / es sey das recht gutt / oder das weltlich noͤttig gut.
Chron. Nürnb. (
nobd.
,
1449
):
daz man nottigs prot bedorft, so gab man den pecken mel zu kaufen.
Dierauer, Chron. Zürich (
halem.
,
1415
/
20
):
und hattend in [Ruͦdolfen ven Habspurg] die von Regensperg us gekriegat, das er notig was worden.
3.
›dringend erforderlich, notwendig‹ (unspezifisch, ohne die Möglichkeit näherer Bestimmung); vielfach sind logische Nuancen im Spiel (wenn auch interpretativ unsicher), und zwar: a) konditionaler, b) modaler, c) finaler Art;
vgl. (
die
9.

Belegblock:

Zu allgemein:

Schöpper (
Dortm.
1550
):
Necessarium. Nottuͤrfftig noͤtig noͤtlich notwendig von noͤten.
Luther, WA (
1520
):
Wo man aber das volck unterricht der heylsamen nodtigen crafft des banß, und wie er nit zu yhrem schaden, sondern frummen geordenet und gepraucht wurd, ßo [...].
Ebd. (
1530
):
Darumb ists eine notige predigt gewesen zum anfang, das er solchen wahn umbstiesse und aus dem hertzen riesse als der grossesten hindernis eines widder den glauben, der den rechten abgott Mammon jm hertzen stercket.
Ermisch, Freib. Stadtr. (
osächs.
,
1335
):
Ist aber, daz is not geschit, daz man dingins bedarf umme einen morder, rouber, velscher oder diep oder umme so getane notige sache, daz mac man anme dinstage wol tun.
Maaler (
Zürich
1561
):
Noͤtige oder notwendige geschaͤfft. Necessitates.
Winter, Nöst. Weist. (
moobd.
,
um 1450
):
die gemelten artikel mag man gemern oder minern, [...] und ander notiger an ir stat seczen.

Zu a):

Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1610
):
Das aller erst vnd noͤttigest, | Dardurch wir Christen werden.
M. Cunitia. Ur. Prop. (
Öls
1650
):
Zum andern waß zu fruchtbarem brauch desselbigen Anfangs zu⸗ wissen noͤthig.
Enders, Eberlin (
Basel
1521
):
Das erst mittel ist, das jetlich mensch selbs laͤse [...] die vier ewangelisten [...]. Vnd soll im selbs niemand abkünden noͤtigen verstand.

Zu b):

Luther, WA (
1520
):
Fragistu aber, wo der glaub und zuvorsicht muge funden werden odder herkummen, das ist freylich das notigist zuwissen.
Fischer, Folz. Reimp.
3, 333
(
Nürnb.
1480
):
Der kauffman sprach: „frau, mich bewegt, | Das ich morn notigs mus darvon“.
Andreae. Ber. Nachtmal
59r, 12
([
Augsb.
]
1557
):
Eins / das allerhoͤchst vnnd noͤttigst / das seind die wort / Nemend / esset.
Chron. baier. Städte. Regensb. (
noobd.
,
1531
):
Es was auff dem reichstag ein nötiger handll betracht worden das dy pfaffen musten ir köchin von in thun.
Oorschot, Spee/Schmidt. Caut. Crim.
341a, 3
;
Vgl. ferner s. v.  2,  14.

Zu c):

Koeniger, Sendgerichte (
rib.
,
n. 1567
):
dieses und dergleichen wird nicht vorbracht, wie wohl gar nöthig und nütz, umb solchs also an die obrigkeit zu gelangen.
Mathesius, Passionale (
Leipzig
1587
):
das ich euch [...] alles das / so da heilsam / nuͤtzlich vnd nethig ist / sagen vnd fuͤrtragen moͤge.
Logau. Abdank.
163, 19
(
Liegnitz
1651
):
Wir [...] haben mittler Zeit nichts fuͤr so koͤstlich [...] nichts fuͤr so anstaͤndig / nuͤtzlich / erfreulich und noͤtig empfunden [...] alß den lieben FRJEDE.
Wagner, Erk. Ps.-J. v. Kastl
8, 34
(
nürnb.
,
1. H. 15. Jh.
):
Er begynnet eytel und unnucze dinck, domit er versawmt ernstliche, nucze und notige dinck.
Oorschot, Spee/Schmidt. Caut. Crim.
213, 7
.
Vgl. ferner s. v.  1,  22.