nessel,
die
;
–/-n
.
›Brennessel‹; eine bei Berührung ein brennendes Hautgefühl verursachende Pflanzengattung; sie steht in tropischem Sprachgebrauch mehrfach für die schmerzenden Seiten / Erfahrungen des Lebens; dicht belegt ist der Gebrauch der
nessel
als Heilmittel (gegen Blutungen, Potenzstörungen), auch als Stoff zur Köderherstellung, zur Stimulierung der Eierproduktion von Hühnern, zur Weinkonservierung.
Zur Sache:
Marzell
4, 913
 ff.
Gehäuft Fachtexte, speziell der Pharmazie und Medizin.
Phraseme:
taube nessel
;
die nessel fängt an zu brennen
›das Leben geht los‹;
den ars an nesseln wischen
›sich selbst wehtun‹;
was zu einer nessel wird
›was sticht‹,
brent flugs
.
Bedeutungsverwandte
(bzw. Orientierungsfeld): , ,  2, (
die
1,  1, ,  1, .
Gegensätze:
 1, ,  1, , .
Syntagmen:
nesseln säen / ausreuten, in den wein sieden, das erdreich nesseln tragen, in der abker
›Askese‹
nesseln finden
;
(die) nesseln
(Subj.)
brennen / dorren / verwelken, grün, auf dem acker sein
;
etw. wie nessel beissen
;
harn auf eine n. giessen
(bei einer Gesundheitsprobe);
etw. vol nesseln stehen
;
mirte für
›statt‹
die nessel wachsen, von der nessel eine nessel werden, sich mit einer n. reiben
;
die brennende / grosse / kleine n
.;
die blätter der nesseln
.
Wortbildungen
nesselbis
(dazu bdv.:  2),
nesselblat
,
nesselfluch
ein Fluch (
damnatio
des Lasterhaftigen),
nesselkönig
›Zaunkönig‹ (dazu bdv.: ; das Bw
nessel-
bezieht sich wohl auf das „Schlüpfen des Vogels im Gras und Gestrüpp“; so
Suolahti, Die dt. Vogelnamen.
1909, 83
; dazu paßt
petriscus
im Beleg),
nesselkranz
›entehrender Kranz‹ (für einen
neidigen schänder
, den Autor eines
schmachspruches
),
nesselkraut
›Kraut und Wurzel der Nessel‹ (als Mittel gegen das
brechen
des Weines sowie als Bestandteil von Ködern),
nesselpulver
(gegen das Bluten von Wunden),
nesselschaft
›Nesselstengel‹,
nesselspitze
(als Stoff, der das Eierlegen der Hühner fördert),
nesselstiel
(als Symbol für Fäulnis),
nesselstok
›beißendes Kleidungsstück‹ (als Strafe für einen Frauenschänder empfohlen),
nesselstrauch
(gegen Abszesse),
nesselwasser
(für verschiedene Zwecke),
nesselwurz
(als Arzneimittel für
spetige
Pferde, gegen Wunden u. ä.),
nessert
›aus Nesselgarn gewebtes Tuch‹ (a. 1596).

Belegblock:

Ziesemer, Proph. Cranc Jes.
55, 13
(
preuß.
,
M. 14. Jh.
):
an der distiln stat wirt ufgen di tanne, und vor di neyssil
[
Wormser Proph.
1527:
klaͤtten
;
Froschauer
1530:
heggen
;
Luther
1545:
Dornen
]
wirt wachsin der myrtus.
Luther, WA (
1537
):
Jm Paradiß waren nicht brennende Nesseln noch stachelichte Dornen und Disteln [...], Soͤndern schoͤne, edle Rosen.
Ebd. (
1537
):
Denn fur der welt heisst es nicht Gottes weinstock [...], Sondern des Teuffels kreutlin, nesseln, distel und dorn, als die nur brennen, beissen, umb sich stechen und kratzen.
Reissenberger, Väterb. (
md.
, Hs.
14. Jh.
):
Nezzeln, cletten, dorne | Was hinden unde vorne | Uf dem acker vil genuc.
Schönbach, Adt. Pred. (
osächs.
,
1. H. 14. Jh.
):
unser herre Jesus Christus [...] vant in dem akkere der werlde dorn kletten nezzeln und ander uncruͦt.
Ermisch u. a., Haush. Vorw.
35, 42
(
osächs.
,
1570
/
7
):
Daß ein wein nicht bricht. Neßelkraut oder -wurzel darein gehenkt und zugespünd, so bricht er nicht.
Ebd.
92, 35
:
Das die Hünner den ganzen winter eyer legen. Nim nesselspitzen, wann sie samen haben, dörre sie.
Ebd.
186, 22
:
Nim hauswurz, thue die in eine reuse, mit neßelkraut, beides zerstoßen. Nim unslet von einem zigenbocke.
Eis, Albrants Roßarzneib.
119, 39
(
schles.
,
1361
/
6
):
Welch ros spetic ist, dem lege eyn nessilworczil czwischen huyt unde fleysch unde rure is mit dem sporne.
Fastnachtsp. (o. O.,
n. 1450
):
Ain igelshaut sol sein
[des
schwechers
der
frauen
]
sein rok, | Sein pruch die sei ain nesselstok.
So wisch ich mein ars nicht gern an neßeln. So reib ich mich ungern an swarz keßel.
Stackmann u. a., Frauenlob
7, 32, 12
(Hs. ˹
nobd.
,
3. V. 15. Jh.
˺):
wol hin, du fuler helle stanc, | du nezzelfluch! des wirt din laster grellen.
Voc. Teut.-Lat.
x iiijv
(
Nürnb.
1482
):
Nesselkunig. petriscus auis quedam.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
da vor die rosen und die lylien wuͦchsen, daz stat nu vol dornen, neslen und tistel.
Spanier, Murner. Schelmenz.
41, 12
(
Straßb.
1512
/
3
):
Wen sy [kinder] iung zuͦ schuͦlen gan, | fruͤ vacht die nessel brennen an.
Goedeke, Fischart Schiff/Kehrab
442
(
Straßb.
1576
):
Und geben dir in dhand sein
[des
esels
]
schwanz, | Krönten dich mit eim nesselkranz.
Ott-Voigtländer, Rezeptar
216r, 17
(Hs. ˹
nalem.
,
um 1400
˺):
Dem die wunden ze vil bluͦtent, / der saͤge nessel puluer dar an.
Rohland, Schäden
488
(
nalem.
/
schwäb.
,
1400
/
33
):
nim nessel bletter vnd stoß die mit salcz vnd leg das uff das geschwer.
Barack, Zim. Chron. (
schwäb.
,
M. 16. Jh.
):
wie man gemainlichen sprücht: „Was zu ainer nesslen werden, das print flux“.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
[öl] hailt auch die nezzelpizz und anderr kräuter nagung.
der nezzeln frischeu pleter [...] laitent die auzgênden muoter wider an ir stat.
Eis u. a., G. v. Lebenstein
66, 12
(
oobd.
,
1. V. 15. Jh.
):
NEssel wasser ist gut. Der die sucht hab, [...]. Wen ein windiger hunt gepissen hat, [...]. Wem in der seitten we seÿ oder das potegra hab, [...]. Wem die nasen vast plut, [...] wem gethon seÿ, das er niht frawen pflegen mag, der nem nessel wasser vnd nessel sam.
Ders., Wahrsagetexte
53, 12
(
oobd.
,
1496
):
Wildw versuchenn, ob der mennsch sterb oder geness, so vach seinenn harm vnd gewss jn also warmen auf ein nessl, die gruen sey. Dorret sy an dem drittenn tag, so muess er sterben.
Weitz, Albich v. Prag
155, 20/21
(Hs. ˹
oobd.
,
A. 16. Jh.
˺):
Ob ain wund so eng vnd tieff ist, das daz pluͦt nit dar aus gen mag. Nym nessel wurcz.
Deinhardt, Ross Artzney
10
(
oobd.
,
1598
):
Darnach so man dise nachgeschribne salben brauchen: nimb baumöl, loröl, leinöl, nesstlschafft
[sic!].
Haage, Hesel. Arzneib.
6v, 1
(Hs. ˹
noobd.
/
md.
,
E. 15. Jh.
˺):
nym nesselstrauch und stosz ain loch, so zeuhet es ausz und haylet genczlich.
Steer, K. v. Megenberg. Sel
524
(Hs. ˹
moobd.
,
1411
˺):
Generatiua das ist die kraft zü pern ein saͤmleichs sam es ist, also wirt ein nezzel von nessel, hunt von huntt.
Niewöhner, Teichner
10, 30
(Hs. ˹
moobd.
,
1360
/
70
˺):
[got] schueff vaullen nezzel stil | ze einem rosen tragenden wald.
Hübner, Buch Daniel ; ;
Follan, Ortolf. Arzneib.
135, 22
;
Keil, Peter v. Ulm
126
;
Gille u. a., M. Beheim
244, 7
;
245, 19
;
Bihlmeyer, a. a. O. ;
Ott-Voigtländer, a. a. O.
214r, 5
;
Morrall, Mandev. Reiseb.
85, 9
;
Weitz, a. a. O.
139, 5
;
Eis u. a., a. a. O.
67, 2
;
Deinhardt, a. a. O.
173
;
Schles. Wb.
2, 927
.
Vgl. ferner s. v. (V., unr. abl.) 9.