nagen,
V., unr. abl.
1.
›nagen‹ (absolut; schwach belegt); ›etw. zernagen, zerfressen, zermalmen (von Tieren unterschiedlicher Art gesagt, denen das Nagen als kennzeichnend zugeschrieben wird)‹; vereinzelt Tendenz zu ›etw. nagend auffressen‹; ütr.: ›jn. so, wie man es einem
nagenden
Tier zuschreibt, quälen, stechen, beißen, peinigen, auffressen, zu etw. drängen‹; damit offen zu 2.
Bedeutungsverwandte:
, , ,
2
 123, (V.) 2, , (V.) 2,  12.
Syntagmen
(kleine Tiere als logisches Subj., z. B.):
milben / mücken / bienen / würme / mäuse / krebse / kröten / schlangen jn
. (meist affiziertes Obj. d. P.)
/ etw
. (affiziertes Obj. d. S.)
n
., z. B.
würme jn
. (ütr.:
zu den sünden
),
der wurm das holz, der krebs das fleisch, die kröten / schlangen js. bein, der hund den knochen n., die mäuse ein loch
(hier effiziertes Obj. d. S.),
jm. die bücher n., die schlange an js. herzen
(präp. Obj.),
die beien die lefzen Jesu n
. (hier ütr.; Obj. d. S.), mit ütr. Subj.:
der rost einen hort, das miltau das getreide n
.;
das nagende würmlein
.
Wortbildungen:
nage
1 ›das Nagen‹,
nagung
1 ›das Nagen‹, wohl auch ütr., dann ›Reinigung‹,
nagwurm
.

Belegblock:

Voc. inc. teut.
c iiijr
(
Speyer
um 1483
/
4
):
Benage͂ Abrode͂ [...] rode͂ vel nage͂.
v. Keller, Amadis (
Frankf.
1571
):
erzeigten vnnd Presentierten sich gleich vor jhm die Nagende Würmlin deß gewissens.
Perez, Dietzin
1, 39, 2
(
Frankf.
1626
):
daß es mir einen haß vnd mißgunst trewe / welche durch ein Schlang so an einem Hertzen nagt vnnd frißt.
Stackmann u. a., Frauenlob
3, 18, 2
(Hs. ˹
omd.
/
schles.
,
14. Jh.
˺):
Noch süzer dan der honiktrage | der blüte honicsaffec nage, | noch süzer dan dem salamander viures wage
[
blüte
gen. objectivus;
honicsaffex
Attr. zu
nage
; mixtura verborum].
Mönch v. Heilsbronn. Fronl.
35b, 30
(
nobd.
,
E. 14. Jh.
):
hort der zv hyml ist den milwe noch rost neget.
Gille u. a., M. Beheim
116, 136
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
das uns werden die selben meis | nagen, schroten und quallen.
Ebd.
173, 90
:
der neid wirt czu dem wurm geczelt | der das holcz naget, frist und melt.
Voc. Teut.-Lat.
x ijr
(
Nürnb.
1482
):
Nagung od’ straffung. rosorium.
Sachs (
Nürnb.
1563
):
Die mauß die wird uns all ertrencken, | In der sündfluß zu grunde sencken, | Wo sie das loch
[in der Arche]
würd weiter nagen.
Thiele, Minner. II,
9, 89
(Hs. ˹
nalem.
/
sfrk.
,
1470
/
90
˺):
eym solchen man dem ist gegeben | ein bar hunczmuͤcken, merckent eben, | das sie in stechen unnd nagen.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 187, 1
(
Hagenau
1534
):
Wer der welt lust brauchet / dem ist gleych wie einem hunde / [...] der einen hartten knochen naget / umb eines kleinen saffts willen.
Martin, H. v. Sachsenh. Tempel,
691
(
schwäb.
,
1455
):
Dar inn [sacristy] sol sin kein muß, | Die in die bücher nag.
Warnock, Pred. Paulis
8, 364
(
önalem.
,
1490
/
4
):
daz würmli [fomes peccati] [...] ist úns alweg nagen, raitzen und stupfen zuͦ den súnden.
Goldammer, Paracelsus
2, 89, 14
(
1530
/
5
):
in inferno wird sie ignis inextinguibilis sein, die finger ir greifen nach wollust, und der wurm wird sie ewig nagen?
Wiessner, Wittenw. Ring
2957
(
ohalem.
,
1400
/
08
):
Die armen nagend dich aufs pain.
Dict. Germ.-Gall.-Lat.
337
(
Genf
1636
):
naͤgwurm / m. Ver qui rongs, Vermis rodens.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
kæme daz miltaw niht von erdischem verprantem dunst, der daz getraid alsô negt.
die krebz [...] nagent dann der sneken flaisch.
Oorschot, Spee. Trvtz-N.
93
;
Froning, Alsf. Passionssp.
2158
;
2178
;
2.
›körperlich prickeln, brennen‹ (schwach belegt); ›jn. körperlich quälen‹ (von der
pein
der Hölle); ütr.: ›jn. psychisch quälen, martern, peinigen‹ (vom Gewissen, der Sünde u. ä. gesagt; im Unterschied zu dem entsprechenden Ansatz unter 1 mit Reduktion der Bildlichkeit); auch: ›jn. / etw. anregen, drängen‹ (positiv); ›jn. zermürben‹ (von der Sehnsucht gesagt).
Vielfach Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘.
Bedeutungsverwandte:
(V., unr. abl.) 4,  4, ,  2,  3.
Syntagmen:
das dauern / lauern n
. (abs.);
etw
. (z. B.
das geld / gewissen, die hellische pein, die sünde
, positiv:
eine kraft / tugend
)
jn. n
.,
etw
. (Subj.)
jn. im ars n
.;
das nagende bild
; subst.:
die sele ein nagen in ir haben
;
das nagen der conscienz
;
das beissende nagen
.
Wortbildungen:
nage
2 ›das Peinigen‹,
nagung
2 ›das Stechen, Prickeln‹.

Belegblock:

Luther, WA (
1528
/
9
):
DArumb sollen wir hie unser Suͤnde vergessen [...] und dem nagen und beissen unsers Gewissens nicht folgen, auch nicht richten nach unserm fuͤlen, Sondern nach dem Wort.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Leipzig
1537
):
Gott, | Laß vns nit verzagen, | So vns die Suͤnd thut nagen.
Pyritz, Minneburg
946
(
nobd.
, Hs.
um 1400
):
Ein sele an minne ist haßes vol | [...] | Und hat dar zu ein bissendez nagen | In ir selber ane ruwe.
Gille u. a., M. Beheim
176, 158
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
die sund und auch des czornes nag | dem menschen kurczet seine tag.
Mayer, Folz. Meisterl. (
nobd.
,
v. 1496
):
Wo der körper thu muͦten / Dem fleische nach, | Von stund gewissen nage | Den menschen nacht und tage.
Warnock, Pred. Paulis
5, 151
(
önalem.
,
1490
/
4
):
ain craft, haist synderisim, das ist ain soliche tugent oder craft, lit in dem grund der sel, das sy alweg den menschen ist nagen, wenn er daz böss tuͦtt, und in ist stupfen und emtziklich raitzen ze dem guͦtten.
Bauer, Geiler. Pred.
316, 22
(
Augsb.
1508
):
wann sy [sel] hat ain ewigs widerbeyssen und nagen in ir selber / sy mag kayn ruͦ gewinnen die weil der boͤß gaist auf ir sitzt.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
[ol] hailt auch die nezzelpizz und anderr kräuter nagung.
der rauch trückent sneller diu fäuhten gelider und behendicleicher ân peizen und nagen.
Klein, Oswald
51, 38
(
oobd.
,
1409
/
10
):
tauren, lauren negt und pösst, | da mit ich der sinn wird gar emblösst.
Spechtler, Mönch v. Salzb.
11, 81
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
mach, das ain ieglich mensch bejag | andacht an gotes leichnams tag, | [...] | das uns chain hellisch pein icht nag.
Gajek, Seidelius. Tych.
15, 8
;
Strauch, Schürebrand ;
Adrian, Saelden Hort
7917
.
Vgl. ferner s. v. .
3.
›sich grämen, sorgen, ärgern; jn. bedrängen, durch fortwährendes Sticheln belästigen‹.
Bedeutungsverwandte
(bzw. Orientierungsfeld): , , .
Syntagmen:
der teufel sich n., das weib jn. n., j. den leib mit nagen peinigen, j. das herz n., die schergen zu n. haben
.

Belegblock:

Euling, Kl. mhd. Erz. (
nobd.
,
E. 15. Jh.
):
noch was sein [man] freud doch gancz umb sunst | seins weibs halben, die was so ungeslacht, | die yn nüg peide nacht und tag | mit kiffeln und keyffen yn ungedult.
Franck, Decl.
341, 25
(
Nürnb.
1531
):
der wein [...] ist ein gegenwertig gewiß artzeney für alle sorg vnd armuͦt / die voller angst seindt / vnnd das hertz nagen / kyffen / vnnd fressen.
Sachs (
Nürnb.
1531
):
So liegest du und thust dich nagen.
Ebd. (
1552
):
Da würt erst peinigt ewer leyb | Mit kiffen, zancken und mit nagen.
v. Keller, Ayrer. Dramen (
Nürnb.
1610
/
8
):
Solt ich meim Weib vil davon sagn, | Sie wird mich kieffn, zancken vnd nagen.
Moscherosch. Ges. Phil. v. Sittew. (
Straßb.
1650
):
Die Teuffel wünschen, daß die Welt nur voll böser Buben wäre; solches thun auch die Schergen, damit sie immer zu jagen, zu klagen vnd zu nagen hätten.
Etliche, [...] hauen, gehen, bald rennen, auf vnd ab, nagen sich die Nägel an den Fingern biß aufs Blut, als vnsinnige, [...], vnd in allem diesem tieffen Nachsinnen, fallen sie in verdeckte Gruben.
Päpke, Marienl. Wernher (
halem.
,
v. 1382
):
Bis wúlkomen, rainú maget, | Von der sich dú helle klaget, | Der túvel sich mit laide naget.
4.
›sich knabbernd durchschlagen, an etw. knabbern, nagen‹; ›kauen‹ (ütr.).
Phraseme:
beinlein nagen
.
Syntagmen:
in der einöde, an einer kruste brotes n
.
Wortbildungen:
nagerin
(für ›Habgier‹).

Belegblock:

Bömer, Pilgerf. träum. Mönch (
rhfrk.
,
um 1405
):
Die handt
[der Habgier]
ist eine loch macherynne | Der huͤser und entdeckerynne, | Der kisten eine brecherynne | Und der gulden eine nagerynne.
Dünnhaupt, Werder. Gottfr. v. Bullj.
148v, 2
(
Frankf./M.
1626
):
Wie solts denn nicht schmertzlich sein in viel tagen keinen Bissen Brod haben / Oder ja gar selten an einem kleinen duͤrren harten Kroͤstlin Brods nagen.
Kurrelmeyer, Dt. Bibel (
Straßb.
1466
):
die do nuͦgent geschemlichen in der einoͤd mit iamerkeit vnd mit armuͦt.
Spanier, Murner. Narrenb.
26, 12
(
Straßb.
1512
):
Kein red halff mich / kein fründtlich sagen, | Jch muͦst mit andern beinlin nagen.
Roloff, Brant. Tsp.
477
.