ler,
Adj.
1.
a) ›leer, ungefüllt, ohne Inhalt (räumlich, oft von Gefäßen, Hohlkörpern u. ä., in 1 Beleg relativ zum erwartbaren Inhalt)‹; hierzu speziell: ›leer, nüchtern (vom menschlichen Magen)‹;
b) ›unbedeckt, unbeladen, ohne etwas darauf (von Flächen u. ä.)‹; hierzu speziell z. B.: ›unbeschrieben (von Papier)‹; ›unbevölkert, unbewohnt (von einem Land oder einer Stadt)‹.
Phraseme:
mit leren händen
›ohne Geschenk, Gabe‹;
leres stro, auf lerem stro dreschen
;
aus einem leren hafen reden
›ohne guten Grund reden‹;
jn. mit leren scheiben aufziehen
›den Delinquenten bei der Folter ohne Gewicht hochziehen‹.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 1,  12, (Adj.) 1, , .
Syntagmen:
etw
. (z. B.
der anger / leib, das grab / land
)
l. sein, etw.
(z. B.
der bauch, das fas, die löcher
)
ler werden; etw
. (z. B.
den tisch
)
l. machen, etw
. (z. B.
die stadt
)
l. an etw
. (z. B.
volk
)
finden, etw
. (z. B.
den topf
)
l. auf etw
. (z. B.
die glut
)
stellen; der lere beutel / gardian / tisch / wagen, die lere büchse / eierschale / hand / hülse / scheibe / schildkröte / tonne, das lere fas / feld / papier / ror / schif, die leren taschen; ler an volk; drei finger ler
.
Wortbildungen:
lerheit
.

Belegblock:

Schöpper (
Dortm.
1550
):
Vacuum. Eitel ledig oͤde lär wuͤst wan.
Strehlke, Nic. Jerosch. Chron. (
preuß.
,
um 1330
/
40
):
daz sî mit lêrin hendin | nicht inwoldin kumin heim.
Mieder, Lehmann. Flor. (
Lübeck
1639
):
Welcher vergebliche vnnuͤtze Arbeit gethan von dem sagt man. Er hat leer Stroh getroschen?
Luther, WA (
1532
):
wird ein solcher mensch draus der sich selbs aus schelet aus dem korn und bleibet ein lauter lere hulsen.
Dedekind/Scheidt. Grob.
199, 8
(
Worms
1551
):
Was lehr ist muͦß gefüllet sein.
Kurz, Waldis. Esopus (
Frankf.
1557
):
Der Bauch muß dir erst werden lehr | Und must den Kropff verdawen.
Thür. Chron.
3v, 5
(
Mühlh.
1599
):
da wurden die Loͤcher lehr / dadurch es [Wasser] in die Stadt gangen.
M. Cunitia. Ur. Prop. (
Öls
1650
):
ihre lehren stellen aber / der zeichen / und secunden / werden mit 0 ergaͤntzt.
Fastnachtsp. (
nobd.
,
15. Jh.
):
Dein flegel drasch nie auf lerem stro.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Nürnb.
1631
):
Sein Leib nun mehr Blutloß vnd laͤr.
Ebd. (
Nürnberg
1631
):
Auß einem Vaß, ohn vnterlaß, | Rinnt gnug wird doch nicht laͤrer.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 5, 32
(
Hagenau
1534
):
ein leer vaß klingt feindtlich / und hat nichts ynn sich.
Barack, Teufels Netz (
Bodenseegeb.
,
1. H. 15. Jh.
):
Manslachter und unküscher | Land die segi nit ler.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
so sú es [wasser] hin und her an gelegent, so verswindet es und vindet nút me, denne ein lere hant.
Banz, Christus u. d. minn. Seele
36
(
alem.
,
1. H. 15. Jh.
):
Das er [trunkner man] trunken und voll wär | Und du denocht nüchter und lär.
die wüssend, das ich nit uß einem laͤren hafen reden.
Maaler (
Zürich
1561
):
Laͤr / Nüt foͤlle͂d dariñ nüt ist. Cassus. Oed Vacuus [...]. Laͤr / taub / als so ein aͤhere laͤr ist. Vanus. Laͤr hend die nüt bringend. Manus steriles. Ein Laͤr vnnd vngeladen schiff. Inanis nauis. [...] stadt oͤd vnd Laͤr / muͤssig vnnd vnbewont. [...] Laͤrer tisch / darauff kein speyß ist.
Wyss, Luz. Ostersp.
126
(
Luzern
1583
):
Vnd schuͦff von anfang Himmell vnd Erd, | Dann vor was alles yttell vnd laͤr.
Ebd.
10587
(
1545
):
Petre, luͦg, das grab ist lär!
Lauater. Gespaͤnste
18r, 8
(
Zürich
1578
):
welches er nit doͤrffte in siñ nem͂en weñ er nuͤchter vnd laͤr were.
Dict. Germ.-Gall.-Lat.
296
(
Genf
1636
):
Laͤrheit /f. [...] Vacuitas.
Sappler, H. Kaufringer
5, 657
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
[Da] man die tisch machet lär.
Chron. Augsb. Anm. 2 (
schwäb.
, zu
1563
):
ist er über ain halb stund [...] peinlich und ernstlich mit lerer scheiben, volgends auch mit 2 und letstlich mit 4 angehenckten gewichten aufgezogen, ernstlich und bis er schwach, gefragt worden.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
sô twing ez dann mit rainen henden in ain lær airschaln.
Bauer, u. a., Kunstk. Rud.
1497
(
oobd.
,
1607
/
11
):
Ein buch mit lehr papyr.
Ebd.
2243
:
[Ein runde scheiben] daruff runde circulriß [...] gestochen, [...] uff der hindern seitten ist nichts als ein ler veld.
Dirr, Münchner Stadtr. (
moobd.
,
1310
/
2
):
Von dem fuͦder haeus in di stat geit man einen pfenninch, von dem laeren wagen hin wider aus einen helblinch.
Weber, Füetrer. Poyt.
113, 5
(
moobd.
,
1478
/
84
):
wan das das haws et was der diet gar läre
(auch zu 2 stellbar).
Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
Der kaiser in Persien plündret und verprent die stet, so er überal lär an volk fand.
Piirainen, Stadtr. Sillein
95b, 9
(
sslow. inseldt.
,
1378
):
Der ler wagen sol weychen dem geladenen.
Zingerle, Inventare (
tir.
,
1434
):
i pöntzl mit pulver, daz ist iii vinger lär.
Reichert, Gesamtausl. Messe
21, 26
;
Bauer, Geiler. Pred.
320, 3
;
Bauer, u. a., Kunstk. Rud.
191
;
345
;
Vgl. ferner s. v. ,  4,
1
 2,
1
 6, ,  2,  4,  5, , .
2.
a) ›vollständig ohne Ausstattung materieller oder geistiger Art, e. S. bar, mittellos, ohne etw. (z. B. ohne das Notwendige, ohne Besitz; ohne Gabe, Bezahlung; ohne Befähigung zu etw.)‹; hierzu speziell: ›arm, besitzlos, ohne das Notwendigste zum Leben; e. S. verlustig‹;
b) ›ohne das zu erwartende Maß an Ausstattung‹; hierzu speziell: ›mager, dürr, schmächtig (von Personen)‹; ütr. zu 1.
Phraseme:
jn. ler lassen
›jn. arm, ausgeraubt zurücklassen‹;
ler (aus)gehen / faren
›unberücksichtigt, ohne Gabe / Hinweis u. ä. bleiben‹;
an dem leren bein nagen
.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 3; vgl.
5
 1.
Gegensätze:
 4.
Syntagmen:
l. zu hause gehen; des adels / falsches / geschmackes / lebens / lones / nutzes, der treue / tugend / zagheit, der eren / freuden / guten werke ler; der lere bube / dieb; an tugenden ler
.
Wortbildungen:
lere
(
der
) ›derjenige, der leer ausgegangen ist, der Erfolglose, Beutelose‹.

Belegblock:

Strehlke, Nic. Jerosch. Chron. (
preuß.
,
um 1330
/
40
):
dâvon ich nú nicht sprechin wil, | want iz vordrôzsam wêre | unde nutzis lêre.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1583
):
[Gott] Hat mit gu̇tern erfu̇llt die Hu̇ngrigen: | Vnd lȧer gelassen die haabseligen.
Jahr, H. v. Mügeln
131, 2230
(
omd.
, Hs.
1463
):
wo tugent von naturen wer, | so wer kein mensche tugnde ler.
Neumann, Rothe. Keuschh.
3296
(
thür.
,
1. H. 15. Jh.
):
aber zu der arbeid ist en swer, | dar umme werden si des lones lere.
Bechstein, M. v. Beheim. Evang. Mk. (
osächs.
,
1343
):
si begriffen en und slûgin en und lîzen en lêre.
Opitz. Poeterey
56, 24
(
Breslau
1624
):
Den veraͤchtern aber dieser goͤttlichen wissenschafft / damit sie nicht gantz leer außgehen / wollen wir in den Tragedien [...] die Personen derer geben / welche [...].
Stackmann u. a., Frauenlob
14, 12, 9
(Hs. ˹
nobd.
,
3. V. 15. Jh.
˺):
der min mut vur selden lere.
Dasypodius (
Straßb.
1536
):
Mager oder leer. Macer, [...] strigosus.
Banz, Christus u. d. minn. Seele
194
(
alem.
,
1. H. 15. Jh.
):
Die welt ist ir ain tobes mär, | Sy kennet sy an allen tugenden lär.
V. Anshelm. Berner Chron. (
halem.
,
n. 1529
):
aber die laͤren, uf iren sig und uf der Swytzer flucht, als ob si schon al geflohen waͤrid, forter das Swaderloch uszeroͤchen [...] vermeintend.
Roder, Stadtr. Villingen (
önalem.
,
1668
):
dardurch nit allein die haushaltung geschmälert und hernach an dem leeren bain genaget und das maul [...] an den wasserkruog gezwungen.
Sappler, H. Kaufringer
16, 666
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
ward Judas der verzweiflär | der tugent des gedingen lär.
Ebd.
25, 232
(Hs.
1472
):
was im dann nützlichen wer, | das dunkt in guots gesmaches lär.
Spechtler, Mönch v. Salzb.
36, 60
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
wann wir sein ler | der guten werch, der snöden swer.
Niewöhner, Teichner
442, 102
(Hs. ˹
moobd.
,
1360
/
70
˺):
wa dw sel wıͤrt ausgeschiden, | da ists totz und lebens laͤr.
Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
Cinna floch aus der stat Rom, bracht vil lärer bueben auf und kamen zu im alle fändlfüerer, den das römische regiment das land versagt het.
Bischoff u. a., Steir. u. kärnt. Taid. (
m/soobd.
,
1568-1603
):
alßdann führet man den lähren diep oder malevizpersohn [...] an den rain, da das lantgericht hingehört.
Jahr, H. v. Mügeln
135, 2478
;
Roloff, Brant. Tsp.
1720
;
Banz, a. a. O.
296
;
Sappler, a. a. O.
23, 13
;
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
63, 4
;
Weber, Füetrer. Poyt.
20, 7
;
Vgl. ferner s. v.
1
 4,  2,  4.
3.
›wirkungslos, erfolglos, sinnlos‹.
Phraseme:
jm. schlägt etw. ler aus
›etw. bleibt für jn. ohne Konsequenzen‹;
ler abgehen
›wirkungslos bleiben‹.

Belegblock:

Strehlke, Nic. Jerosch. Chron. (
preuß.
,
um 1330
/
40
):
[si] sich wantin | zum Colmin vor di vestin | und dî [...] | sturmetin mit allir macht | [...] | daz idoch was lêre.
ûf daz nicht lêre | sô gar di reise wêre, | sô [...].
Rosenthal. Bedencken
24, 16
(
Köln
1653
):
Durch die gnad Gottes bin ich das jenig was ich bin / vnnd seine gnad ist nit laͤr in mir gewesen / sondern ich hab reichlicher / als sie alle gearbeitet.
v. d. Broek, Suevus. Spieg.
147v, 11
(
Leipzig
1588
):
Das auch solche ernste Drewworte nicht leer abgangen sein / ist in den Biblischen Historien genugsam zu sehen.
Maaler (
Zürich
1561
):
Es wirt jnen nit also laͤr Außschlahen / Es wirt jnen nit geschenckt.
Klein, Oswald
86, 39
(
oobd.
,
1428
):
das spil louff mir nicht lër.
4.
›inhaltslos, gehaltlos, bedeutungslos (von Worten, Äußerlichkeiten u. ä.), unerfüllt (von Versprechen u. ä.); dumm, unvermögend (von menschlicher Vernunft und anderen geistigen Bezugsgrößen, oft im Unterschied zu Wahrheit, Wahrhaftigkeit u. ä.)‹.
Gehäuft Texte religiösen Inhalts.
Phraseme:
die lere figur / gestalt
›Trugbild, Irrtum‹.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 1,  12, .

Belegblock:

Gropper. Gegenw. (
Köln
1556
):
das si da doch nach Adierung vnd annemung der Erbschafft / nicht anders dan ein leere figur vnd blossen schatten davon brengen.
Strauch, Par. anime int.
34, 16
(
thür.
,
14. Jh.
):
noch dan vindit di fornunft daz si lere ist und vil me bekennen mac [...]. also mac di fornunft alle dinc begrifin und blibit doch lere.
Volkmar (
Danzig
1596
):
Inanis, e; leer / ledig / eitel / vergeblich
(auch an 3 anschließbar).
Wagner, Erk. Ps.-J. v. Kastl
7, 18
(
nürnb.
,
1. H. 15. Jh.
):
[werlt und dinge, die in ir sein] Sie sein alle eytel und leer und ein peynung der geist und gelten nicht, was sie geheissen.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Nürnberg
1631
):
Dein Witz ist blind dein Lust ist laͤer.
Andreae. Ber. Nachtmal
58v, 3
([
Augsb.
]
1557
):
das es [Sacrament] nicht ain laͤhre gestalt / sonder dz wesen der Goͤtlichen Maiestat darbey vnd zuͦgegen ware.
Ebd.
84v, 18
:
Wann Gottes wort geprediget vnnd verkündiget wirdt nach seinem befelch / ob es ein laͤrer dhon sey / der allein die ohren fülle.
Roth, E. v. Wildenberg (
moobd.
,
v. 1493
):
Diese obgemelt kronicken [...] sol man für ein erticht, unnütz, ler theiding halten.
Vgl. ferner s. v.  2.
5.
›frei, ledig, losgelöst von etw. (von Fesseln, Gefangenschaft, von einer Last u. ä.); unbelastet von Schulden, Abgaben u. ä.; frei von übler Nachrede‹.
Bedeutungsverwandte:
 24.

Belegblock:

Froning, Alsf. Passionssp.
4211
(
ohess.
,
1501ff.
):
Frunt, nu danck den Judden sere, | das sie dich [Barraban] laßen lere!
Niewöhner, Teichner
391, 45
(
oobd.
,
1350
/
65
):
der sich machet schulden laͤr.
Klein, Oswald
44, 69
(
oobd.
,
1426
):
vil böser mër | wirt Hauenstain gar seldn lër.
Vgl. ferner s. v.  6.
6.
›e. S. enthoben, überhoben, fern von etw., gelöst von etw. / jm. (z. B. von Gott, den Kreaturen), unabhängig; entsagend‹; ütr.: ›offen für etw., unvoreingenommen und damit empfangsbereit für etw.‹.
Texte der Mystik.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  10.

Belegblock:

Quint, Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
lære sîn aller crêatûre ist gotes vol sîn, und vol sîn aller crêatûre ist gotes lære sîn.
zu Dohna u. a., Staupitz/Scheurl
4
(
Nürnb.
1517
):
werden [wir] ein herbrig des heiligen geists, die gots vol und aller creatur leer ist.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
so welich ding enpfohen sol, das muͦs itel
[Corr.:
ler
],
lidig und wan sin.
Der heilig geist hat zwei werk in dem menschen. Das ein ist: er itelt.
[Var. S:
machet lere
]
Das ander: das er fúllet das ital als verre und als vil als er ital vindet.
Vgl. ferner s. v.  2.
7.
›klar, hell, durchsichtig‹.

Belegblock:

Oorschot, Spee. Trvtz-N.
19, 15
(
wmd.
,
1634
):
Auch wider da nitt bleibet, | Sichs hebt in Wind hinein, | Den lären Lufft zertreibet | Mitt schwancken federlein.
Ebd.
92, 6
:
Schaw die reine Brünnlein springen | Hoch in lären lufft hinein.