leibhaft,
leibhaftig
(letzteres häufiger),
Adj.
1.
›lebendig, einen Körper und ein (irdisches) Leben annehmend und habend‹; mehrfach ütr., z. B. ›kreatürlich, von Gott geschaffen‹; ›äußerlich, vergänglich (auch von Gegenständen und Sachverhalten, die weltimmanent und damit nicht heilsfördernd sind)‹;
zu
1
 1.
Texte religiösen Inhalts.
Wortbildungen:
leibhaftigkeit
›Körperhaftigkeit, Bildgestalt‹.

Belegblock:

Luther, WA (
1538
):
Non est natum ex virgine, was nicht irs fleischs und bluts, et concipitur, das ein frucht leibhafftig wil werden et postea nascitur.
Ebd. (
1544
):
,Et incarnatus est de Spiritu sancto‘. ,Er ist leibhafftig worden‘ oder ,hat fleisch und blut an sich genomen von dem heiligen geist und ein Mensch worden von Maria‘.
Ziesemer, Proph. Cranc
254, 12
(
preuß.
,
M. 14. Jh.
):
Gregorius spricht, daz man dis gesichte alleyne geistlichin sulle vornemyn von der cristinheit und mit nichte libhaftiglichen.
Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
Wære der mensche aller alsô, er wære alzemâle ungeschaffen und ungeschepfelich; wære allez daz alsô, daz lîphaftic und gebresthaftic ist, wære daz verstanden in der einicheit, ez enwære niht anders, dan daz diu einicheit selber ist.
Daz ist reinicheit des herzen, daz gesundert ist und gescheiden von allen lîphaftigen dingen.
Bekantnisse ist ouch vrî, aber bekantnisse nimet von materie und von lîphaftigen dingen an einem orte der sêle [...] wie etlîche krefte der sêle verbunden sîn an den vünf sinnen.
Dâ von sint alle crêatûren, die lîphaft sint, ein köder der sunnen.
Ders., Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
swer âne allerleie gedenke, allerleie lîphafticheit und bilde inne bekennet, daz kein ûzerlich sehen îngetragen enhât; der weiz, daz es wâr ist.
Ouch meinet daz wort [...] mensche, etwaz, daz über natûre ist, über zît ist [...], und daz selbe spriche ich ouch von stat und von lîphafticheit.
Jostes, Eckhart
82, 11
f. (
14. Jh.
):
Das ist ein swer red den, die sich geneiget han uf die werlt und uf leiphaftig dink: den sin si gar suzze zu haben und swer und pitter zu lazzen. Hie bei mak man merken, wie swer etlichen leuten sint zu lazzen leiphaftig dink, di geistlich dink niht bekennen.
Fischer, Brun v. Schoneb. (
md.
, Hs.
um 1400
):
ane der hulfe nicht mag werden | geborn liphaftigez uf erden.
daz undir der lichten sunnen | wart liphaftez do geborn.
daz itslich liphaft muz sterben | und von tode wider ufstan.
Strauch, Par. anime int.
40, 15
(
thür.
,
14. Jh.
):
daz die creaturen liphaftic sin und vallin uf ein forderpnisse.
Ebd.
129, 23
:
alle liphaftige dinc sin geschaffin bi nichte und verre von Gode.
Morgan u. a., Mhg. Transl. Summa
283, 26
(
schwäb.
,
14. Jh.
):
so enmag sich dekein solichü maht gestrecken über dekeinen liphaftigen ding. Aber nu ist got unliphaftig. Dar umbe so enmag er noch von den sinnen noch von den bildungen gesehen werden.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
wie sich der teufel hât gemacht auz menschleichem haupt und auz ains tracken leib, auz dem pesten leiphaftigen dinge und auz dem pœsten.
Quint, Eckharts Trakt. ;
Reissenberger, Väterb. ;
Fischer, a. a. O. ;
Brévart, K. v. Megenberg. Sphaera
12, 12
;
Alberus
C jv
;
2.
›persönlich, mit der ganzen Person, dem ganzen Körper‹; ütr.: ›existierend, real, wirklich, echt‹;
zu
1
 4.
Wortbildungen:
leibhaft
(
der
) ›dem Gläubiger erteilte Ratserlaubnis, den Schuldner persönlich in Schuldhaft nehmen zu lassen‹ (a. 1582).

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
Kloster ist die cristenheit, | Dar die werlt abteiligen, | Die liphaften heiligen, | Inne loschen.
Als nimt der priester Gotes brot | Unde sin liphafte blut.
Die storben und irstunden san | Und vuren [...] | Uf in den himel al liphaft.
Lappenberg, Fleming. Ged. (
1631
/
9
):
Sie war es leibhaft nicht. | Es war ihr Widerschein in meiner Augen Licht.
Luther, WA (
1544
):
Darumb sol ein Christen wider solch gespenst, [...] sich nicht anders richten denn wider den leibhafftigen Teuffel.
Ebd. (
1544
):
also der geist in solchem eusserlichen Ampt gleich leibhafftig sich lest sehen.
Ebd. (
1527
):
Denn ynn yhm [Christo] ist Gott nicht allein gegenwertig und wesenllich wie ynn allen andern, Sondern wonet auch leibhafftig ynn yhm also, das eine person ist mensch und Gott.
Ebd. (
1527
):
Ja er [Christus] ist des geistes wonung leibhafftig und durch yhn kompt der geist ynn alle andere.
Ebd. (
1527
):
auch wonet ynn yhm [Christus] die Gottheit leibhafftig.
So wirstu finden, das du noch nicht jm himel bist leibhafftig, sondern hast den tod auch noch fur dir.
Da sihet man eigentlich den Teuffel als leibhafftig jnn jnen herrschen und sie [...] treiben.
Also ist der Bapst ein leibhafftiger Teufel.
Ebd. (
1538
):
Er hat sich dahin gestellt, kein Panir da auffgeworffen und auffgericht, sondern bey den zeichen, da soltu sehen und horen mich leibhafftig teuffen.
Ebd. (
1538
):
das wir gott leybhafftig durch media haben horen reden.
Welche aber nicht haben leiphafftig da konnen sein, Die wendeten sich doch mit dem herzen dahin.
Ebd. (
1539
):
Gottes son [...] wonet bey uns leiphafftig.
Peil, Rollenhagen. Froschm.
213, 5182
(
Magdeb.
1608
):
[Der Haselwurm] Sahe dem leibhafften Teuffel gleich.
Chron. Köln (
Köln
1499
):
aldae lies men in sent Quirin lifhaftich sein.
Lemmer, Amman/Sachs. Ständeb.
22, 9
(
Frankf./M.
1568
):
Der Handmaler. [....] Ein Heer / [...] | Kan ich so eigentlich anzeygn / | Als stehe es da Leibhafftig eign.
Oorschot, Spee/Schmidt. Caut. Crim.
272, 9
(
Frankf./M.
1649
):
da heist man sie Halsstarrige [...] schadhuren / seyen vom Teuffel leibhafftig besessen.
Ebd.
395b, 22
:
daß ein Richter gewißlich wuͤste / dz die Besagende Herm [...] warhafftiger weise auff den Zaubertaͤnzen Leibhafftig zugegen gewesen wehren.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Bautzen
1567
):
Sie solln in Galileam gehn, | Da solln sie mich [Jesus] leibhafftig sehn.
v. Keller, Ayrer. Dramen (
Nürnb.
1610
/
8
):
nun glaub ich frey, | Das der Phänicien Seele sey | Leibhafftig in das Mensch gefahrn.
[Sanct Franciscus] wöl leibhafftig zu euch kommen | In eur Cammer vnd zwischn euch beeden.
Jörg, Salat. Reformationschr.
680, 19
(
halem.
,
1534
/
5
):
das ein [...] man us Saͤrneftal / ein tüfel libhafftt sach / jn eins / schonen grossen personlichen mans gstallt.
Maaler (
Zürich
1561
):
Er ist selbs Leybhafft da. [...] Leybhafftig reden wie er.
Ziesemer, Proph. Cranc
255, 43
;
Hübner, Buch Daniel ;
Rennefahrt, Zivilr. Bern ;
3.
›korpulent, dickleibig‹;
zu
1
 1.
Wortbildungen:
leibhafte
›Dickleibigkeit‹.

Belegblock:

Maaler (
Zürich
1561
):
Leybhaffte (die) Da vil leybs ist. Corpulentia.
Dict. Germ.-Gall.-Lat.
302
(
Genf
1636
):
Leibhafftig / o. Gros de corps.
Vgl. ferner s. v. (V.) 4.
4.
›materiell, exophorisch nachweisbar, dinglich greifbar (von Sachen)‹;
vgl.
1
 110.

Belegblock:

Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
swâ ez [lieht] sich ûf giuzet, daz beroubet ez zît und stat und aller lîphafter bilde und alles des, daz vremde ist.
Köbler, Ref. Wormbs
152, 7
(
Worms
1499
):
nit allein beweglicher oder vnbeweglicher begrifflicher od’ lyphafftiger güter. Sonder auch vnbegrifflicher vnnd vnlyphafftiger dinge mag einer entsetzt werden als dinstparkeit oder gerechtikeit gerichtszwenge zuüben.
Brévart, K. v. Megenberg. Sphaera
26, 17
(
noobd.
,
1347
/
50
):
In der virden weis muͤg wir ain himlzaichen nemen, daz wir pruͤfen ain leipheftig groͤzzen.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
Diu stimm ist ain behender luft, geslagen oder geprochen zwischen zwain herten leibhaftigen dingen, der ainz sleht und daz ander den slak aufhebt.
5.
›bewußt‹.

Belegblock:

Luther, WA (
1544
):
Sondern [der heilige Geist] gibt jm einen namen von seinem Ampt und werck, damit er sich begreifflich und gleich leibhafftig machet, welches ist das Ampt des Worts, Und machet einen Prediger aus jm.