kiesen,
V., unr. abl.,
gramm. Wechsel.
1.
›jn. (z. B. zu einem Amt) wählen; etw. wählen, aussuchen; sich für jn. / etw. entscheiden‹.
Vorwiegend älteres Frnhd.
Bedeutungsverwandte:
,  2,  14, , , ; vgl.  2.
Syntagmen:
einen abt / babst / banwarten / bischof / beisitzer / bergmeister / bürgen / bürgermeister / vogt / förster / geschworenen / hauptman / keiser / könig / (landes)herrn / pfarrer / probst / rat(man) / richter / schätzer / schirmer / schöffen / schultheissen / unterhändler / zentgrafen, eine witwe k., jn. zu einem ampt, zu(m) bischof / hofmeister / könig / prelaten / rat / verweser / vormunden k., ochsen k., auf etw.
(z. B.
auf einen gang
)
k.
Wortbildungen:
kieser
1,
kiesung
1 (dazu bdv.: ,  1, ,
die
, 6, ),
kieswein
›vom Gewählten gestifteter Wein nach einer Wahl‹ (seit 1583).

Belegblock:

v. Bunge, Livl. UB
4, 74, 21
(
nrddt.
,
1395
):
dunket is in geraten, her kise vire man us sim gestichte, der gebitiger sal ouch vire kisen siner manne.
Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
Den Romeschen konigh solen keisen de papen vorsten vnde vier leyen vorsten.
Oorschot, Spee. Trvtz-N.
251, 8
(
wmd.
,
1634
):
O wie zartes Laub, vnd Gras! | Wer wil schöners Leben kiesen?
Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
he [...] gaf rait darzo, do sin partie Johan Quattermart unden zo raide kiesen woulden.
Ebd. (
Köln
1499
):
was noch niet gegeven of gesatzt die ordenunge zo halten in der kiessung eins roemschen koninks.
Meijboom, Pilgerf. träum. Mönch
6695
(
rib.
,
1444
):
Ganck mynen wech off kuys den anderen, | Wilchen dat dich lust zo wandelen.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1619
):
Soll ich dein Reich Herr verliessen, | Ehe wolt ich der Creutz hundert kiesen.
Wolf, Norm im sp. Ma.
53, 59
(
omd.
,
v. 1496
):
so sint phligtig dy vor genanten bruder, [...] in dem namen des heren czu kißen eyn andern czu eymen huͤter.
Löscher, Erzgeb. Bergr.
62, 20
(
omd.
,
1514
/
8
):
Die vier geschwornen des bergs werden durch die gewerckschaft [...] mit wissen und rath des berckmeisters gekorn.
Thiele, Chron. Stolle (
thür.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
die gulden bullen, dy dann heldet, wie man eyn romischen konigk adir keyser kysen sal, unnd wo man den kessen unnd kronen sal.
Ermisch, Freib. Stadtr. (
osächs.
, Hs. 
v. 1325
):
daz kint mac kisen zu vurmunden, wen iz wil.
Wutke, Schles. Bergb., Cod. Sil. (
schles.
,
1529
):
dass die gewergken macht haben sollen einen bergmeister und geschworn [...] zu kiessen und zu vorändern.
Dinklage, Frk. Bauernweist.
25, 11
(
nobd.
,
1430
):
so haben die menner in dem dorfe macht, scheczer zü kiesen und zü seczen, wen sie wollen.
Dienes, E. Gros. Witwenb.
41, 4
(
Nürnb.
,
1446
):
Paulus sagt dor noch, das man schal kysen eyne witwe.
Bernoulli, Basler Chron. (
alem.
,
1410
):
Da [...] ez dazuͦ kam, daz die kieser, die dez jares gekosen hattent, irs eydes, den sy von irs kiesendes wegen gesworn hattent, erlassen wurdent.
Lauchert, Merswin (
els.
,
1352
/
70
):
so wil ich noch húte das bessere kiesen.
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Was sy an fröden ee verzagtt, | Daz ward verkertt in fröde gross | Do sy den edlen ritter koss.
Pfeiffer-Belli, Murner im Glaubensk.
1, 6, 17
(
Luzern
1526
):
Also fil beum kieset Markolfus, vnd wil dennocht keiner gefallen doran in gelust zuͦ erwurgen.
Graf-Fuchs, Ämter Interl./Unterseen (
halem.
,
1385
):
denne sullent die selben schidlǔte einen gemeinen obman zuͦ inen kiesen.
Spiller, Füetrer. Bay. Chron. (
moobd.
,
1478
/
81
):
under den ward Donatus, der graf, zu ainem haubtman erkoren.
Helbig, Qu. Wirtsch.
2, 23, 14
;
Kollnig, Weist. Schriesh.
305, 15
;
Strauch, Par. anime int.
11, 17
;
Anderson u. a., Flugschrr.
21, 4, 25
;
Opel, Spittendorf ;
Bindewald, Texte schles. Kanzl.
143, 7
;
Dienes, E. Gros. Witwenb.
33, 10
;
Bihlmeyer, Seuse ;
Vetter, Pred. Taulers ;
Köbler, Stattr. Fryburg ;
Piirainen, Stadtr. Sillein
126b, 15
;
Schmidt, Hist. Wb. Elsaß ;
Veith, Bwb. ;
Cirullies, Rechtsterm. Anh.
1981, 223
;
Türk, Wortsch. Dietr. v. Gotha.
1926, 59
.
2.
im Syntagma
den tod / das ende kiesen
›den Tod erleiden, sterben‹.

Belegblock:

Froning, Alsf. Passionssp.
2329
(
ohess.
,
1501ff.
):
er ich kieße widder den toid, | hilf mich lieber uß aller noit!
Henschel u. a., Heidin
368
(
nobd.
,
um 1300
):
Vil mancher ovh von grozer not | Mvste do kiesen den tot.
Dienes, E. Gros. Witwenb.
82, 21
(
Nürnb.
,
1446
):
er sie die ließen vermackeln, er schölten sie den tot kyse.
Sappler, H. Kaufringer
11, 68
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
so kiuß ich den pittern tot | alhie vor den augen dein.
Haltaus, Liederb. Hätzlerin (
schwäb.
,
1471
):
Sol ich dan mein end kiesen, | Wie künd ich ym̄er bas verliesen | Meinen leib.
Weber, Füetrer. Poyt.
10, 7
(
moobd.
,
1478
/
84
):
Wer nach der wirbt, für war, der mŭes | kiesen den tod, dy red ist sunnder laugen.
Kummer, Erlauer Sp. (
m/soobd.
,
1400
/
40
):
muͤßn all von den henden mein | chiesen den pittern toͤd.
Froning, a. a. O.
2903
;
Henschel u. a., a. a. O.
1051
;
Vetter, Pred. Taulers ;
Pfaff, Tristrant ;
Munz, Füetrer. Persibein
280, 1
.
3.
im Syntagma
zu e. S. kiesen
›auf etw. gefaßt sein, sich um etw. kümmern, sich jm. / e. S. widmen‹.

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
iz steit nicht stillen | An des menschen willen | Wider her wil oder enwelle | Kiesen hin zu der helle.
Kurz, Waldis. Esopus (
Frankf.
1557
):
Solst lieber zu der arbeit kiesen | Vnd zu eim muͤheseligen leben, | Denn das dich jung in todt must geben.
Karsten, Md. Paraphr. Hiob (
omd.
,
1338
):
Ich [...] also zu dem tode koz | Daz ich diser pyne loz | Gar aller dinge wurde.
Mone, Adt. Schausp. (Hs. ˹
omd.
,
1391
˺):
sal her uch mit stormen gewynnen an, | soͤ muͤst ir alle dar czuͤ kysen, | dy helfe muͤst ir vorlysen.
Neumann, Rothe. Keuschh.
3920
(
thür.
,
1. H. 15. Jh.
):
hir ynne wirt auch besachet | ein magit di zu Cristo had gekorn.
4.
›etw. kosten, prüfen‹; auch: ›als Ergebnis einer Prüfung eine Entscheidung treffen‹.
Bedeutungsverwandte:
 3,
2
, .
Syntagmen:
beren / tuch / wein / wolle, einen trank, eine wunde k.
Wortbildungen:
kieser
2 (a. 1580),
kiesung
2 (a. 1546).

Belegblock:

Ermisch, Freib. Stadtr. (
osächs.
,
1350
/
79
):
Kisen denn dyͤ burger mit den meistirn, daz dyͤ tuch valsch unde ungerecht sint, so sal man dyͤ tuͤch vorbuͤrnen.
Bindewald, Texte schles. Kanzl.
19, 33
(
schles.
,
1330
):
wo wir abir daz nicht inhildin, daz ire man vn̄ vnse kurin, daz wir gebrochin hettin, so sullin di phant ir sin.
Ukena, Luz. Sp.
4337
(
halem.
,
1575
):
Den wyn zuͦ kiesen keiner weyßt / Dann ich allein.
5.
›etw. erkennen, wahrnehmen, unterscheiden‹.

Belegblock:

Holtzmann, Gr. Wolfdietrich (Hs.
A. 15. Jh.
):
ich küse an uwer farwe, | der wehter hat nit gelogen.
Hübner, Buch Daniel (
omd.
, Hs.
14.
/
A. 15. Jh.
):
do wart er loz | Des hornis, daz man e koz | Mitten an der stirnen sten.
Schönbach, Adt. Pred. (
osächs.
,
1. H. 14. Jh.
):
alsus machtu kiesen daz du hart bist an dime herzen.
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Ir wisshaitt was och also grosz | Daz sy an dem gestirnne kos | Waz wunders söltte geschechen.
Plant u. a., Main. Naturl.
293ra, 6
(
ohalem.
, Hs.
E. 14. Jh.
):
div erde [...] ist kvgeleht dc mac man kiesin dabi wā so der mane verleschit.
Sappler, H. Kaufringer
19, 52
(
schwäb.
, Hs.
1472
):
Man mag der welt unhail auch kiesen | in den natürlichen sachen.
Primisser, Suchenwirt (
oobd.
,
2. H. 14. Jh.
):
Ein chnauf von aim rubeine | Chos ich auf dem gezelde chluͦg.
Drescher, Hartlieb. Caes. (
moobd.
,
1456
/
67
):
Daraus mag man kyesen das der priester ein unkewscher gewesen sey.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
507, 4
(
moobd.
,
1473
/
8
):
Sy zaigt‘ in die unminne | das man wol pluetvar kiesen mocht ir spor.
Hübner, a. a. O. ;
Gille u. a., M. Beheim
119, 150
;
Matthaei, Minner. I, ;
Plant u. a., a. a. O.
298
vd, 5;
299v
, c9;
Primisser, a. a. O. ;