gierde,
die
;
-Ø/-Ø
;
vgl. .
1.
›dem Menschen aufgrund seiner Leiblichkeit eigene Fähigkeit zu begehren, zu wünschen‹; damit verbundene Möglichkeit falscher Entscheidung; ›dem Menschen als von Gott geschaffenem Wesen ebenso gegebene Möglichkeit, seinen Willen
recht
und
unrecht
(z. B. zu
unkeuschheit
) einzusetzen‹; als Metonymie hier anschließbar: ›tatsächlicher Wunsch, natürliches Begehren eines Menschen‹; vgl. am ehesten
1
(
die
1.
Gehäuft ˹älteres und mittleres Frnhd.; Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘˺.

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
Des vorwande der tuvel sich | Daz in ouch von des vleisches art | An ardete der girden gart | Und daz her were bekorlich.
Stackmann u. a., Frauenlob
3, 33, 2
(Hs. ˹
omd.
/
schles.
,
M. 14. Jh.
˺):
Sit vrouwen pris solch wirde | treit in lobes girde
[›mit dem Wunsch nach Lob‹]
| gepartiret und geschrenket.
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
vier begerung sint in der sele, daz ist: girde, vohrt, liep und lait.
nu sint zwo girde in der sele: der ist ainú nider keret zuͦ dem ertrich, und dú gert irdescher ding; dú ander ist uf gekeret, daz si Got schowe.
Din sitten solt du aller maist betrahten, und drú ding solt du dar an merken: daz ist girde, gedenke und dú werch. an der girde merke daz si reht si und maͤssig. daz ist also daz du begerest des du solt geren; [...]; hastu ez anderz liep denne du solt, daz ist unkúnschkait und unreht.
Zur Metonymie: Sachs (
Nürnb.
1528
):
Der melancolicus zum vierdten | Hat der erden natur mit gierden. | So der den wein trinckt ungeschaffen, | Yebt er inn ihm die ahrt des affen.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
342, 3
(
moobd.
,
1473
/
8
):
Polamides thiost gerte; | Cassilian in schon | der seinen gird in werte.
Vgl. ferner s. v. .
2.
›in Gott vorgeprägtes, dem Menschen innewohnendes, sich in
minne
äußerndes inniges Sehnen des Menschen nach dem anderen, liebevolle Du-Bezogenheit‹; vgl.
1
(
die
2; offen zu 3.
Älteres und mittleres Frnhd.; Verstexte der Minnedidaxe.

Belegblock:

Stackmann u. a., Frauenlob
8, 22, 6
(Hs. ˹
wmd.
,
1. H. 14. Jh.
˺):
die girde treit in gottes wesen e wesen.
Ebd.
14, 25, 6
(Hs. ˹
nobd.
,
3. V. 15. Jh.
˺):
Min heil, hilf tragen die girde, | min freude und al min wunne ganz, | lust mines herzen.
Mayer, Folz. Meisterl. (
nobd.
,
1517
/
8
):
Weib alles wünsches hoche künst, | Dar aüs Got hat gezogen reine girde.
Pyritz, Minneburg
2120
(
nobd.
, Hs.
um 1400
):
Ey edeles kint an wirde, | Gen wem du wehst an girde | Und wirdest by im zitig, | [...] | Der solt dich wider mynnen an moßen.
Ebd.
5257
:
Getruwern vogel du doch nie | Gewunne, der so gerne ye | Gesehe mit gantzer girde | Din ere und auch din wirde.
Haltaus, Liederb. Hätzlerin (
schwäb.
,
1471
):
Das ich vor grosser gird | Kain recht gepärd mag haͮn.
3.
›religiöses, oft mystisches, auf Gott gerichtetes, der
minne
verglichenes Sehnen des Menschen, Liebe zu Gott, die die Liebe, die dem Menschen von Gott eingegeben ist, erwidert‹.
Älteres und mittleres Frnhd.; Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘, mehrfach gebundener Form.
Bedeutungsverwandte:
 8,  1,  7,  1011,  1.
Syntagmen:
js. g. erfüllen, die g. an got setzen; die g. heilig sein
;
aus g. die beichte tun
;
js. bete mit g. erhören, jn. mit g. zu Christo bekeren
;
die g. des herzen, die ruhige g
.;
der gierde heiligkeit
.

Belegblock:

Ettmüller, Heinr. v. Meißen
5, 3
(
md.
, Hss.
14.
/
15. Jh.
):
Swer gotes brôt wil niezen unt sin bluot dar zuo, | sîn bîhte er tuo | ûz volles herzen gierde.
Steer, W. v. Herrenb. Büchl.
567
(
pfälz.
,
1436
):
Die dritt crafft ist gnant ein vernunfftig wille der girde. [...]. Der dritten crafft wirt jngegossen von got liebe, die dan des menschen sele vereynt jn got.
Stackmann u. a., Frauenlob
5, 6, 11
(Hs. ˹
nobd.
,
2. V. 15. Jh.
˺):
daz iuwer hant | der sacramente zierde | halte nach hohen wirden | und, als iu got geboten hat, in gotlichen girden
(›in gottbezogener Betrachtung‹)
.
Mayer, Folz. Meisterl. (
nobd.
,
v. 1496
):
Erful, junckfraw, mein girde, | Das ich auß sprech | Wie nach deins suns gepurte | Funff wunder sint berurte.
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
enkan joch der mentsch der worte nit verstan, so sol ez doch sin gedenke und die girde sines hertzen an Got setzen.
Dar nach wachset der girde hailikait. daz ist ain hailigú gerung der nit engeret wan únsers herren minne.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
Ewigú Wisheit, wan moͤhti sich nu min herz in tusent stuk uf brechen, und dich mins herzen wunne umbvahen und mit steter minne und ganzem lobe alle mine tage mit dir verzerren, daz were mins herzen girde!
die minste wunde, die er [got] ie erleit, versoffti in ir tieffi und verswaint tusent totsúnde als eine, der es an rúwiger girde an in kan gesuͦchen.
Lindqvist, K. v. Helmsd.
748
(
halem.
, Hs.
um 1435
):
Der dritte toͮff ist in dem gaist, | Und das beschicht denn aller maist | Wenn der mensch bekeret wirt | Zuͦ Cristo gar mit gantzer girt.
Asmussen, Buch d. 7 Grade
925, 2218
;
Bihlmeyer, a. a. O. ;
Barack, Teufels Netz .
4.
›auf Böses gerichtetes Verlangen‹; im einzelnen:
a) ›Habgier, Habsucht, Besitzgier‹;
b) ›Hoffart, Hochmut‹;
c) ›Machtgier‹; vgl.
1
(
die
3.
Jeweils ˹im mittleren Frnhd. auslaufend; Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘, oft gebundener Form˺.

Belegblock:

Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
der túvel mag enkain mentsch boͤs machen, er formieri e ain bilde in der sele [...]. und daz bilde setzet er der sele fúr, daz si es an sehe; so siht si es an und aber an und gedenket dar an denne. in trúwen, si mag also lange mit umb gân untz daz si kumet in boͤs girde. und der boͤsen girde mag si also lang nach hengen daz es zuͦ dem willen kumet, vil schiere mag es denne zuͦ den werchen komen.

Zu a):

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
Der oren habe, der hore daz | Und laze manslacht, roub, girde, haz | Und liegen mit sunden.
got weiz wol, ist da girde icht | In deme romischen hove
[Vers 5833:
girikeit
].
Rieder, a. a. O. :
Daz fúnfte úbel ist girde weltlicher richait.
Barack, Teufels Netz (
Bodenseegeb.
,
1. H. 15. Jh.
):
Das macht miet und gæb die in wirt: | Darnach stat all ir gird.

Zu b):

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
So sul wir uns zu rusten | [...] | Mit aller des geistes tugent | Und suln dem vleische wider sten, | Girden und hochvart nicht begen.
Rieder, a. a. O. :
alles daz in der welt ist, daz ist begriffen mit flaischlicher girde und wolnust der ôgen und mit hohfart.

Zu c):

Adrian, Saelden Hort
2677
(
alem.
, Hss.
E. 14.
/
15. Jh.
):
du [frow; Herodias] hast ouch vil wol verschult, | daz ich [Herodes] dins hertzen girde | erfúlle.
5.
›Eifer, ungestümes Drängen‹;
vgl.
1
(
die
4.
Älteres und mittleres Frnhd.; Verstexte.

Belegblock:

Hübner, Buch Daniel (
omd.
, Hs.
14.
/
A. 15. Jh.
):
Gar ane stritis girde | Unde sunder herzen zorn | Wirt sin leben im verlorn.
Pyritz, Minneburg
2748
(
nobd.
, Hs.
um 1400
):
Daz kind sprach: ,Girde, sichstu niht | Die werden burk hie haben | Turn, muͤr und graben‘.
Primisser, Suchenwirt (
oobd.
,
2. H. 14. Jh.
):
Si [magt] pfligt mit steter girde | Des fuͤrsten, der gewaltig ist | Chayser und chuͤnig tzaller frist.
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
370, 7
(
moobd.
,
1473
/
8
):
des hertz thett ye gen streittes gierde hungern
[›hungerte vor Kampfeslust‹].