1
gewerden,
V., unr. abl.
1.
›werden, seinem Wesen entsprechend in Entwicklung, in Vollzug sein‹; offen zu 4.
Älteres Frnhd.; Texte der Mystik.
Bedeutungsverwandte:
 24, .
Gegensätze:
 3.

Belegblock:

Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
Dâ diu barte liget, dâ liget ouch das gewerden. Got und ich wir sint ein in disem gewürke; er würket, und ich gewirde.
Got gibet sich der sêle alles niuwe in einem gewerdenne. Er ensprichet niht: ,ez ist geworden‘ oder ,ez gewirdet‘
[dies zu 4],
mêr: ez ist alles niuwe und vrisch als in einem gewerdenne âne underlâz.
Da enist enkein (gewerden), mer: es ist ein nvͥ, ein gewerden svnder gewerden, ein nvͥwe svnder vernvͥwen, vnd das gewerden ist sin wesen.
Her umbe sô bin ich mîn selbes sache nâch mînem wesene, daz êwic ist, und niht nâch mînem gewerdenne, daz zîtlich ist.
Ders., Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
wan got etlîche wîs wil, daz ich ouch sünde hân getân, sô enwölte ich niht, daz ich sie niht enhæte getân, wan sô gewirdet gotes wille ,in der erden‘.
Jostes, Eckhart
30, 8
(
14. Jh.
):
Der erst [fuͤrwurf] ist anderheit. daz mak werung und daz sint alle di, di da habent gewerden, di sezent anderheit und werden wernt.
Strauch, Par. anime int.
121, 11
(
thür.
,
14. Jh.
):
da inne blibinde, da her [son] noch nirgin uzblickit, da gewirt si [sele] mitme sone. gebern ist also vil alse gewerdin. ur gewerdin ist in der ewigin geburt, da wirdit si so luterlichin ein daz si kein andir wesin inhait dan daz selbe wesin daz sin ist, daz ist der sele wesin.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
was wunders wenent ir das do in dem geiste gewerde?
also vil entwerdendes, also vil gewerdendes.
2.
phras.
jn. / etw. gewerden lassen
›jn. machen, tun, gewähren lassen; jn. mit jm. zurechtkommen lassen; etw. laufen, e. S. ihren Gang, Lauf lassen‹.

Belegblock:

Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
got hât alliu dinc geschaffen, niht daz er sie lieze gewerden und gienge er sînen wec, mêr: er ist in in bliben.
Schneider, Pont. u. Sid.
163, 7
(
rhfrk.
/
mosfrk.
,
2. H. 15. Jh.
):
„Were vch dan das also zu wyllen?“ – „Ja es, in truwen!“, sprach er. – „So last mich mit gewerden“.
Franz u. a., Qu. hess. Ref. Bd.
2, 50, 10
(
hess.
,
1527
):
Wir befelen euch hiemit, wo die von Falkenbergh in ampt bei euch pfarn haben, das ir sie mit denselbigen fur sich selbst gewerden lasset.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
darumb urteile dich und la dinen nehsten mit Gotte gewerden und Got mit ime gewerden.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Jch halt vil von dem Mann / der etwas waiß / ist still vnd laßt ander gewehren / vnd wehret sich wann es zeit ist
(hier
d
-Ausfall anzunehmen; Zuordnung zu einem der Homonyme
geweren
semantisch kaum möglich).
3.
›sich (mit jm.) hinsichtlich e. S. einig werden‹.
Syntagmen:
mit Gen.obj.

Belegblock:

Buch Weinsb. (
rib.
,
um 1560
):
Mir geworden entlich des kaufs.
sei wolten des zins wol mit uns gewerden.
4.
›werden, entstehen; geboren werden (vom Menschen); geschaffen werden (von Sachen)‹; im Unterschied zu 1 eher resultativ gedacht.
Nrddt. / md., gehäuft ˹Texte der Sinnwelt ,Religion‘˺; im mittleren Frnhd. auslaufend˺.
Phraseme:
etw. gewerden heissen
.

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
Der alle dinc hiez gewerden | Und wandert hie bi der erden.
Mine vrunt und mine mage | Mich vrageten einer vrage | Von dem lesten ende, | Waz der vorloschen brende [umme die jugesten zit] | Des himles und der erden | Zu jungest suln gewerden
(›was aus den erloschenen Bränden werden, entstehen soll‹).
Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
,erat‘ meinet eine geburt, ein volkomen gewerden.
Ders., Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
gewerden des viures ist mit widerkriege mit andunge und unruowe und in der zît.
Reissenberger, Väterb. (
md.
, Hs. 
v. 1406
):
Mir wirt sein urtail hie zu hart. | Owe mir das ich ye gewart !
Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
de den hemel zo der erden | geschoiff ind leis gewerden.
Wyss, Limb. Chron. (
mfrk.
, Hs.
2. H. 16. Jh.
):
Di groste dogent di i gewart, daz ist gerechticheit sunder part.
Eggers, Psalter
71, 10
(
thür.
,
1378
):
her sprach, vn̄ si geworden; er gebot, vn̄ si worden geschaffen.
Strauch, Par. anime int.
19, 1
(
thür.
,
14. Jh.
):
von deme werke des heligen geistes gewart lib und sele.
Feudel, Evangelistar
44, 31
(
omd.
,
M. 14. Jh.
):
nu mache mich clar by dir selbir mit der clarheit dy ich hatte by dir, e dy werlt gewurde.
Große, Schwabensp. ;
Froning, Alsf. Passionssp.
2966
;
Karsten, Md. Paraphr. Hiob .
Vgl. ferner s. v.  7.
5.
›werden, eine Entwicklung zu einer Eigenschaft, einem Stoff, einer Funktion hin nehmen‹.
Nrddt. / md.; im mittleren Frnhd. auslaufend.
Wortbildungen:
gewordenlich
,
gewordenlichkeit
›Gestalthaftigkeit‹ (dazu ggs.: ).

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
Und swaz ie zu Rome diensthaft | Gewart, daz twinget her mit craft | Wider.
Stackmann u. a., Frauenlob
5, 28, 11
(Hs. ˹
md.
auf nd. Grundlage,
vor M. 14. Jh.
˺):
her Bart, | wie möchte ez oder kunde | iu von herzengrunde | gewerden baz, wan daz ir stat nahe sinem munde.
Ebd.
5, 108, 4
:
do got hiez gewerden | von wazzer win.
Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
Alsus gewerdent dis dagis noch hude | vil mencherhande cloister lude !
Wyss, Limb. Chron. (
mfrk.
, Hs.
2. H. 16. Jh.
):
Sal ich ein nunn gewerden | sunder minen willen, | so wel ich eime knaben jung | sinen komer stillen.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
do sich der geist an im selber hat gekeret von sin selbs und aller dingen gewordenlichkeit in die blossen ungewordenheit der nihtekeit.
Wie sich der mensche und alle kreaturen ewklich haben gehalten, und von irem gewordenlichen usbruche.
Von der kreaturen gewordenlichem usbruche habe ich die warheit wol verstanden.
6.
›eintreten, geschehen, sich vollziehen, ereignen‹, im Unterschied zu 5 eher punktuell gedacht.
Älteres und mittleres Frnhd.; Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘.
Phraseme:
jm. gewird noch nicht einer weise
›mir geschieht das noch nicht‹.

Belegblock:

Quint, Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
got heizet mich biten: ,herre, dîn wille gewerde‘.
Jahr, H. v. Mügeln
104, 200
(
omd.
, Hs.
1463
):
wie das participium | uß zweierlei naturen kumm, | uß namen und uß wortes art: | sulch mere wunder nie gewart.
Stackmann u. a., Frauenlob
918
[h], 7 (Hs. ˹
nobd.
,
3. V. 15. Jh.
˺):
Welch rat sol des gewerden ?
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
o wip, gros ist din geloube, also daz du gloubest, daz geschehe dir, also du wilt, also gewerde dir.
Langen, Myst. Leben
171, 3
(
nobd.
,
1463
):
Jch wil noch wol peichten, mir gewirt / noch nicht geleicher weiß.
Sievers, Oxf. Benedictinerr. ;
Neumann, Rothe. Keuschh.
450
;
Feudel, Evangelistar
47, 29
;
Vetter, a. a. O. .