1
gewer,
die
;
-Ø/-en
;
zu
mhd.
gewer
›Einkleidung in einen Besitz‹
(;
BMZ
3, 586a
; s. auch ff. s. v.
Gewähr
; s. v.
Gewähr
; s. v.
Gewer
II; s. auch
Lex. d. Mal.
4, 1420
).
1.
›auf Leihung (darunter:  2), Kauf, Eigentum oder langem Gebrauch beruhendes Rechtsverhältnis des Besitzes e. S. (meist liegender, seltener fahrender Güter; auch von Rechten und Anrechten gesagt) oder der Verfügungsgewalt über Menschen (Unfreie), rechtlich abgesicherter Besitzstand in faktisch regelhafter Verbindung mit der Nutzung des im Rechtsverhältnis stehenden Gutes‹ (s. u. das Phrasem); teils offener Übergang zur Metonymie: ›rechtsförmliche Einsetzung in das Besitzverhältnis‹; vereinzelt auch: ›Grundbucheintragung‹; ›Grundbuchurkunde‹;
zu
2
.
Überwiegend Rechts- und Wirtschaftstexte, auch Chroniken.
Phraseme
(formelhaft):
nuz und gewer
.
Bedeutungsverwandte:
 2,  6,  2,  2,  13, (
die
8, (
der
10,  1,
2
 210,  2,  4, .
Syntagmen:
die g. empfangen / erlangen / besitzen / ersitzen / raumen / tun / brechen / fordern / fronen
›beschlagnahmen‹,
die g. an jm. / etw.
(z. B.
an einem gut
)
haben, jm. die g. geloben, die g. auf den erben / zinsman stellen, in das grundbuch einleiben
;
der g. darben, jn. der g. berauben / entsetzen / entwenden, der g. halben aufrur entstehen
;
sich der g. unterziehen
;
an die g. kommen, jn. an / auf / in die g. bringen / setzen / weisen, jn. aus der g. setzen / treiben, bei seiner g. bleiben lassen, etw
. (z. B.
ein erbe
)
in js. g. kommen, etw
. (z. B.
ein recht, eine freiheit
)
in js. g. bleiben, j. bei / in der g. sitzen, jn. bei seiner g. beschirmen, jn. in die g. lassen / setzen, j. e. S
. (Gen.)
in der g. sein, etw
. (z. B.
das gut, die farende habe
)
in die g. nemen, etw. in g. besitzen, etw. unversprochen in g. haben, etw. ruhlich in g. ersitzen, etw
. (z. B.
ein zinwerk
)
in g. behalten, etw
. (z. B.
eine stat, ein gut
)
in die g. nemen, etw
. (z. B.
ein gut, die hütte
)
in g. haben, mit handarbeit in der g. liegen, jm. etw
. (z. B.
den zehenten
)
in die g. antworten, jn. mit g. bei recht handhaben, etw. mit g. ersitzen / haben, etw
. (Subj., z. B.
das gericht
)
mit g. von alter herkommen, zu einer g. kommen, die ewigkeit über g. gehen
;
die g. der burg / feste / kirche / stat, des geldes / landes / hofes, der leute
;
die g. an dem gute
;
die bedächtliche / beschliesliche / blosse / eigenliche
›auf Eigentum gründende‹
/ friedliche / geniesliche / habendige / leibliche /
˹
geruhliche / stille
(jeweils: ›rechtlich unangefochtene‹)˺
/ gesampte
(s.  2)
/ nüzliche / rechte
(mehrfach)
/ strittige / ungesonderte / ungeteilte / volle g
.;
die festigung der g
.
Wortbildungen:
gewerauszug
›Bescheinigung über einen Grundbuchauszug‹ (mit reicher Belegung im ; a. 1438f.),
gewerbrief
,
gewerbuch
›Kataster, Buch mit Grundbesitzeintragungen‹ (1. H. 16. Jh.),
1
gewerde
(halem.),
gewergeld
›Gebühr für die Besitzeinweisung bzw. die Besitzaufgabe‹,
gewerland
(a. 1573f.),
gewerzettel
.

Belegblock:

Luther, WA (
1530
):
wenn ich als die konig und fürsten were, so wolten wir yhm das predigen verbieten, das er [Gottes son] uns nicht auß unser gewehr setzet unnd mit seinem satz unser eigen lere und alte gewonheyt zu nicht machet.
Leman, Kulm. Recht (
Thorn
1584
):
Synt ouch denne des toden mannes kynt vngesundirt besturben in des vatir gewere. so sal der sone alle das gut [...] myt yn glich teylen
[hier wohl: ›väterliche Gewalt‹, semantische Beeinflussung von
gewar
1 her].
Ebd. :
man vronet yre gewere. adir man entwortet sy selbir myt der hant deme cleger.
Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
JZ, daz eyn man guͦt gewinnet zuͦ zwen liben
[zu diesem Rechtsverhältnis s. das Phrasem
mit gesambter hand
s. v.
gesamt
1]
, vnde wirt nicht bescheiden, welich lip is nach dem anderen niezen suͦlle, Swelich lip iz in nuͦtzen vnde mit gewere habit hat, alse der sterbet, so solen iz de libe nizen, de genennit werden.
SWaz varende guͦt heyzet, vnde hat daz eyn man in siner gewere, druͦ iar ane rechte wedder sprache bi dem, der bi im in dem lande ist, vnde saget ime sinen geweren, daz her dar zuͦ recht habe, so hat her iz mit rechte.
Sprechen zwene man vor gerichte vf eines mannes guͦt nach sinem tote, So sal der richter daz selbe guͦt in sine gewere nemen.
Swer de gewere an dem menschen hat, der hat bezzer recht dar an, wan der ir darbet.
Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
wat vns dat riche hait beschreuen | ind her syn in gewer bleuen | van vunffzijch ind hundert iaren.
Wyss, UB Deutschord. Hessen (
hess.
,
1375
):
biz daz syͤ en daz guͤd mit eyme beßerin rechtin anegewynnen adir en dyͤ gewer brechin mit eyme beßerin rechtin.
Schwartzenbach (
Frankf.
1564
):
guter loͤblicher gewonheyt / vnzerbrochenlichen taͤglichen zeiten / mit gewehr ersessen.
Mitzschke, UB Bürgel (
thür.
,
1428
):
daz dy
[
burgere
, die Steuern zahlen]
keyn gebotgeilt, heyschegeilt, helffegeilt nach gewergeilt nyhe gegebin habin.
Ermisch, Sächs. Bergr. (
osächs.
,
1509
):
So eyner dem andern teyl wyrdt verkauffen ader vorgeben, ßo sal der verkeuffer dem keuffer im gegenbuch dye geweher binnen vier wochen thun, und der keuffer sall auch verpflicht sein die geweher in bestympter tzeyt tzu fordern.
Löscher, Erzgeb. Bergr.
59, 9
(
omd.
,
1450
?):
ab eyner tzwitter ader steyn vor hutten ader mulen hette und wer in meynunge, seyn czynwergk in gewern zcu behalden, wiewol er daz nicht erbeithe, und das sal er thun mit willen und wißen eynes geswornen bergkmeisters, wie lange ym der frist gibt.
Ebd.
104, 35
(
um 1559
):
Hette einer sein bestetiget lehen [...] erhalten beim alter, so mag er den jungern, [...], austreiben unangesehen, obgleich der jungere in der gewehre mit handtarbeit lege.
Berthold u. a., Zwick. Stadtrref.
74, 21
(
osächs.
,
1542
/
70
):
Durch solchen kauf erlanget Barthel kein eigentumb am acker, sondern nur allein ein blose gewehr.
Chron. Nürnb. Anm. 5 (
nobd.
,
1449
/
50
):
sullen die entsetzten [der sloßer, heuser ...] on einrede wider an iren besess komen
[statt
besess
verlangten die Städte in ihrem Entwurf
gewer
, das eher das Rechtsverhältnis als dessen Realisierung bezeichnet, was aber nicht beachtet wurde].
Mon. Boica, NF.
2, 1, 38, 3
(
nobd.
,
1464
):
die fuͤrbas sulche gewere mit iren valschen ayden betewren wollen.
Köbler, Ref. Nürnberg
361, 12
(
Nürnb.
1484
):
welcher dann auß Jnen mit de͂ erste͂ seiner erkauffte͂ habe durch vberantwurttung vñ abtrettu͂g des verkauffers Jn besess vñ gewere kumpt.
Grimm, Weisth. (
halem.
,
1357
):
daz [selgeret] man kuntlich möchti machen mit briefen oder mit lebenten luͥten oder mit gewer
[hier Metonymie: ›Urkunde über ein Besitzverhältnis‹].
Leisi, Thurg. UB
7, 287, 9
(
Konstanz
1382
):
Und setzin in und sin erben und nachkomen mit disem brief in nútzlich gewer derselben vesti, burg und statt, der höf, lút und guͤter, quarten und geltes.
Rennefahrt, Gebiet Bern (
halem.
,
1426
):
sie können sich nicht versinnen, das si ops oder ander krut je verzechendet habint, getruͥwen, das si nach der statt recht ein soͤliche gewerd billich schirmen soͤlle.
Ders., Zivilr. Bern (
halem.
,
1500
):
so setzen ich in und sin erben damit in liplich, nützlich, ruͤwig und ewig gewerd.
Ders., Staat/Kirche Bern (
halem.
,
1528
):
das wir einandern by brieffen, siglen, gewarsame, gerechtigkeiten, besitzungen, nutzungen, fryheiten, herligkeiten, alten guͦten gewonheiten, bruͥchen, stat und lands gewerden, eygenthuͦmen, lechen und in summa by recht hanthaben, schuͥtzen und schirmen vor gewalt.
Ders., Recht Laupen (
halem.
,
1530
):
hab ich [...] mich daruff des alles guͦtwilligklich entzigen, entwert und devestiert, sy in liplich, ruͦwig, ewig gewerd und posseß setzende.
Ebd. (
1411
):
und si sin
[eines
zehentes
]
oͧch viertzig jar oder me in ruͦwiger gewerde sigint gesin.
Glitsch u. a., Hofger. Rottw.
77, 8
(
schwäb.
,
um 1435
):
Also wirt denn zemal ain nuczlich gewerbrief gemacht von dem hofgericht [...], das er den cleger daruf in nuczlich gewer secze.
Thiel u. a., Urk. Münchsm.
162, 20
(
moobd.
,
1343
):
wann daz gotzhaus von anheben der stift die reht vnd die gewer gehabt hat
[hier: ›Recht, Berechtigung zum Einschlag von Nutzholz‹].
Hör, Urk. St. Veit
136, 8
(
moobd.
,
1390
):
Darumb antwurtten wıͤr in ein den egenanten zehent [...], fur freys aigen auz vnsrer nuͤcz vnd gewer in ıͤr nuͤcz vnd gewer fuͤr ıͤr aigens gechauftes vnd vergolten guͤt.
Uhlirz, Qu. Wien (
moobd.
,
1461
):
ain gewerzedl aus der stat gruntpuch und under der benannten stat Wienn secret verpetschadt.
und sich verpflichtet haben, den Käufer in Jahresfrist
an die gwer solichs haus zu bringen.
Winter, Nöst. Weist. (
moobd.
,
17. Jh.
):
so ist er nur halbe ablait schuldig zu geben, und der aufzeucht die auffarth deß halben dienst sambt nuz und gwehrgelt.
wer ein erb erbt oder kauft oder wie daß an einen oder andern käme, und kombt in jahrsfrüst nicht an nuz und gwöhr, [...], daß hat sein recht verlohren.
Ebd. (
1524
):
Das fuerfodergelt sol ainem ambtman beleiben, aber das gwërgelt sol er ainem vitzthumb verraiten.
Ebd. (
1614
):
Eß soll auch ain ieder so ain behaust guet oder andere grünt erkauft oder ererbt, [...], inner jahrsfrist gwöhr zu empfahen schuldig sein.
Ebd. (
1414
):
dasselbig voitfueter sol man im antwurten auf sein wagen, und sol er das fueren an sein gewër
[hier Metonymie: ›Besitz‹; möglicherweise semantische Beeinflussung durch
1
gewar
(
die
) 2]
an aller leut müe und scheden.
Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
der herzog wolt behalten was im der alt kaiser gelihen, er vom reich empfangen und dasselbig rûelich in nutz und gewer ersessen het.
Siegel u. a., Salzb. Taid. (
smoobd.
,
1405
):
also ist das gericht mit nutz und gewer herkommen von alter mit offnung in dem Nochstain.
Rintelen, B. Walther
6, 13
(
moobd.
,
1552
/
8
):
Es ist gebreuchig, das ein yeder Grundtherr über seine Gründt ein ordenlich Grundtpuech halten thuet, in wellichem Grundtbuech die Gewöhren, auch die Sätz (wan die zu Zeiten beschechen) eingeleibt werden.
Ebd.
7, 1
:
Von dreyerlay Unterschidt der Gewöhren. [...]. Die Gwöhrn werden auf dreyerley Art gegeben, wie hernach volgt. [...].
Ebd.
8, 24
:
soll er die Urthail, darinn im sollicher Grundt haimbgesprochen worden, zu der Gewör erlegen und darauf die Gewöhr fertigen.
Ebd.
26, 18
:
so oft ein Prelat oder Spitlmeister desselben Gottshauß oder Spital mit Todt abgeet, / und ein neuer Prelat oder Spitlmeister dahin kummen würde, die Gewöhr von neuem bey dem Grundtbuech zu empfahen.
Ebd.
27, 25
:
Wiewoll es vast bey allen Grundbüechern breuchig, das die Gewöhr auf den Zinßman und nit auf seine Erben gestelt werden.
Ebd.
28, 16
:
Wann einer ein Guett durch Kauf, Übergab, Erbschaft, Auswechsl oder durch ein andern der / gleichen Fall oder Contract erlangt und an sich bringt, so ist er schuldig, die Gewöhr umb sollich Guett von dem Grundtherren von neuem zu empfahen.
Sattler, Handelsrechn. Dt. Orden
311, 36
;
Große, a. a. O. ;
Koller, Reichsreg. Albr. II.
208, 27
;
Wyss, a. a. O. ;
Laufs, Reichskammergo.
198, 14
;
Kohler u. a., Peinl. GO Karls V. ;
Behrend, Magd. Fragen ; ; ;
Leman, a. a. O. ;
Goerlitz u. a., Magd. Schöff./Schweidnitz
66, 8
;
126, 16
;
22
;
Küther, UB Frauensee
244, 36
;
Opel, Spittendorf ;
Grosch u. a., Schöffenspr. Pössneck
27, 40
;
67, 24
;
70, 29
;
77, 32
;
Ermisch, Freib. Stadtr. ;
Kisch, Leipz. Schöffenspr. ; ; ; ; ; ; ; ;
Löscher, a. a. O.
178, 27
;
Weizsäcker, Graupn. Bergb.
195, 14
;
Wattenbach, Urk. Czarnowanz ;
ders., Urk. Rauden ;
Wutke, Schles. Bergb., Cod. Sil. ; ;
Gille u. a., M. Beheim
453, 224
;
Mon. Boica, NF.
2, 1, 39, 17
;
Köbler, a. a. O.
219, 10
;
ders., Stattr. Fryburg ;
Leisi, a. a. O.
7, 819, 10
;
683, 4
;
8, 301, 4
;
Welti, Stadtr. Bern ; ;
Müller, Alte Landsch. St. Gallen ; ;
Rennefahrt, Gebiet Bern ;
Vock, Urk. Hochst. Augsb.
387, 32
;
Auer, Stadtr. München ;
Hör, a. a. O.
137, 21
;
Brunner, Rechtsqu. Krems u. Stein
91, 12
;
161, 41
;
Uhlirz, a. a. O. ;
Rintelen, a. a. O.
7, 3
;
23
;
28, 18
;
Winter, a. a. O. ;
Bischoff, Steir. Landr. ;
ders. u. a., Steir. u. kärnt. Taid. ; ;
Schmidt-Wiegand, Dt. Rechtsregeln.
1996, 139
f.;
Rwb f.: hier ausführlicher Belegteil mit knappen rechtswissenschaftlichen Zusätzen (auch mit Metonymien: ›bücherliche Eintragung des Besitzwechsels‹; ›Gebühr für die Eintragung in das Grundbuch‹; ›Urkunde darüber‹);
Dietz, Wb. Luther ;
Vgl. ferner s. v. ,  2, .
2.
›faktischer, nicht rechtlich abgesicherter, z. B. auf Machtverhältnissen oder Rechtsbrüchen beruhender Besitz e. S. (auch z. B. eines Heeres)‹.

Belegblock:

Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
Off en man wizzenlichen duͦplich gut kouͦfft vnde hater daz in stiller gewere lenger wan druͦ iar.
ist her wol tuͦ vnrechte in der gewere, man breche se im zuͦ rechter clage zuͦ siner gesichte. man sol in vor gerichte laden zuͦ rechten degedingen; So sol her vore komen vnde sol sin guͦt vorsprechen, [...]. vnde ne Cuͦmt her nicht vore, So vorteile man im De gewere mit rech.
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Daz was der kaisser Decius, | Der mitt sinem gewaltte sus | Rome hett in gewer | Untz in ain ander held mitt her | Vertraib.
Siegel u. a., Salzb. Taid. (
smoobd.
,
1624
):
Gestollne, geraubte und gewaltige gewër macht kain recht.
Wackernell, Adt. Passionssp. Pf. II,
1121
(
tir.
,
1486
):
Ich [Lucifer] hab funff taussent jar in gueter gewer | Gehabt mit volken gar ein grosses her.
Gerhard, Hist. alde e
659
.
3.
›Zeitspanne, Dauer eines Besitzverhältnisses (als Argument gegen Ansprüche)‹.

Belegblock:

UB Zug
756, 21
(
halem.
,
1431
):
So hette er ouch das var ze Buͦchennas bÿ drÿ oder vier geweren sid sines vatter seligen tod ruͤwenklich inngehept.
Ebd.
860, 19
(
1442
):
sid die von Barr die guͤtter, [...], me denn drú gewer uß innegehebt hand als von stúren, brúchen und reisen, als dick das inn dem selben zit zuͦ schulden komen ist, zuͦ inen gestúret, gebrúcht, mit inen ouch gereiset hant.