2
gewar,
gewäre
(letzteres etwas seltener),
Adj.;
zu
mhd.
gewære
›wahr‹
();
die Häufigkeit der nicht umgelauteten Formen erklärt sich durch formale Angleichung an
1
(Adj.), möglicherweise auch als analogische Angleichung an das Adv. sowie an unpräfigiertes
wâr
›wahr‹.
1.
›genau, wahr, die Übereinstimmung von menschlicher Erkenntnis / Vision / Aussage mit der Realität charakterisierend‹; insofern auch: ›real, wirklich‹ sowie (bei Verschiebung von der Erkenntnis auf die erkennende Person:) ›klar, mit Unterscheidung erkennend‹.
Bedeutungsverwandte:
 8,  1,  1, .

Belegblock:

Karsten, Md. Paraphr. Hiob (
omd.
,
1338
):
Weistues bezzer und baz gewer | Wan du hast geredet her, | So sprich !
Kurrelmeyer, Dt. Bibel (
Straßb.
1466
):
der traum ist gewere
[
Wormser Proph.
/
Froschauer
1530 /
Eck
1537:
wa(a)r
;
Luther
1545, Dan. 2, 45:
gewis
]
vnd sein auslegung die ist getrew.
Schmidt, Rud. v. Biberach
77, 1
(
whalem.
,
1345
/
60
):
dvͥ bist ein gewer beschower, ob dvͥ vbergangen hest alle vernunftige sache, (daz ist dvͥ ding, die din naturliche bescheidenheit begriffen mag) an dvͥ bilde [...], die ein sel, die ilt ze hohen dingen, gehinderen muͥgen.
Lindqvist, K. v. Helmsd.
725
(
halem.
, Hs.
um 1435
):
Den toͮffe ordenlich gewaͤr | Bezaichnet uns daz eerin maͤr.
Warnock, Pred. Paulis
13, 55
(
önalem.
,
1490
/
4
):
Objectum racionis est verum, [...]. Der fürwurff der vernunft oder verstentnus ist daz gewar und daz grecht.
Chron. Augsb. (
schwäb.
,
1437
/
42
):
wie die wirdig stat wer komen her, | das ich des machte ein schrift gewer.
2.
›wahrhaft, in einem äußerlich nicht erkennbaren Sinne wahr, wirklich, echt, trotz unterstellten Zweifels echt, allem Schein entgegengesetzt und diesem behauptend entgegengerichtet‹.
Gehäuft Texte der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘, auch berichtende Texte.
Bedeutungsverwandte:
 12, (Adj.) 10, (Adj.) 4, .
Gegensätze:
 3 ›eingebildet‹, .
Syntagmen
(nur attributiv):
der geware babst / glaube / got
(mehrfach)
/ gottesfreund / grund / leib / leichnam / märtyrer / mensch / messias / Samuel / minner / trost / urheber, die geware beichte / freude / minne / minnende sele / minnerin / reuerin / seligkeit / warheit, das geware gebet / leben / liecht / zeichen
.
Wortbildungen:
gewarig
1.

Belegblock:

Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
Der geware oitmodege mynsche der in darff got neit byden, hey mach gode gebeden.
nieman enhaͥt gewaͥr waͥrhait in im denn der gewaͥr got.
Ders., Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
sant Johannes sprichet, daz daz gewâre ,lieht liuhtet in die vinsternisse’.
Thiele, Minner. II,
30, 199
(Hs. ˹
md.
/
rhein.
,
1. V. 15. Jh.
˺):
gheware minne ain contryfeit | is zweyer willen endrachticheit.
Chron. Köln
1, 333, 28
(
rib.
,
1400
/
1
):
dat si den egenanten hern Ruprecht mit in vur einen reichten gewairen roemschen coening ind zokonftigen keiser heilten.
Williams u. a., Els. Leg. Aurea
774, 8
(
els.
,
1362
):
Min lichome ist ein gewore spise, vnd min bluͦt ein geworre trang [...]. Vnd also von der megede us deme heiligen geiste sin geworer lichome geborn wart, also wil er [...].
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
zu Nazareth [...], do ist der geware, sicher, gewisse vorsmag des ewigen lebens.
Lauchert, Merswin (
els.
,
1352
/
70
):
do von mag die gewore edele minnende sele mit keinen dingen [...] benvͤgen die minre denne got sint.
Morgan u. a., Mhg. Transl. Summa
39, 25
(
schwäb.
,
14. Jh.
):
Der sun gottis der ist geborn, aber niht wanlichen, daz ist, daz er niht einen gebilten lip habe, sunder daz er habe einen gewaren lip.
Ebd.
363, 11
:
Daz wir sin in sinem gewarigen sun, daz ist der gewar got.
Schmidt, Rud. v. Biberach
1, 5
(
whalem.
,
1345
/
60
):
„Das ist das ewig leben“, vatter, das die gmvͤte „dich bekennen geweren got“.
Ebd.
12, 5
:
wissent, das vnser geist in der verborgenen stat mit guerem geloͮben wirt gesetzet.
Ebd.
39, 18
:
das gewer gebet das lit nuͥt an liplichen worten.
Lindqvist, K. v. Helmsd.
2793
(
halem.
, Hs.
um 1435
):
Wie Jhesus nach des todes trifft | Ist uff gegangen aͮne frist | Mitt sines gewaren libes arche | Durch des beschlossnen grabes sarch.
Dierauer, Chron. Zürich (
halem.
,
1415
/
20
):
das si die uppigen abgoͤtt under sich traͤtint und den gewaren gott allein anbettotind.
Gagliardi, Dok. Waldmann
2, 55, 8
(
halem.
,
1489
):
damit man uff den gewaͧren grund komen möchte der meylandischen sach halb.
Große, Schwabensp. ;
Quint, Eckharts Trakt. ; ;
Meijboom, Pilgerf. träum. Mönch
1280
;
Williams u. a., a. a. O.
101, 2
;
Strauch, Schürebrand ; ;
Morgan u. a., a. a. O.
156, 9
;
Vetter, a. a. O. ;
Bolte, Pauli. Schimpf u. Ernst ; ;
Lindqvist, a. a. O.
703
;
Tobler, Schilling. Bern. Chron. ;
Vgl. ferner s. v.  9,  6,  1.
3.
›offensichtlich, sicher erkennbar oder deutbar, unbezweifelbar‹; semantischer Einfluß von
1
gewar
(Adj.) wahrscheinlich.
Wobd. / oobd.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  1.
Wortbildungen:
1
gewärlich
3 ›deutlich, klar vor Augen‹.

Belegblock:

Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
Dis ist der gewarsten zeichen eins das der heilige geist do ist in der worheit.
Schmidt, Rud. v. Biberach
47, 20
(
whalem.
,
1345
/
60
):
Der mensche verbirgt sich [...] in ein rvͤwig herze, in dem sehe er got deste gewerlicher.
Lindqvist, K. v. Helmsd.
37
(
halem.
, Hs.
um 1435
):
Dem [kuͥng] getrommet gewarlich | Er saͤch ain reben wunnenklich | Wachsen us siner tochter brust.
Tobler, Schilling. Bern. Chron. (
whalem.
,
1484
):
als man das us gewarer kuntschaft hat, so wurdent [...] fúnfhundert búchsensteinen [...] in die stat geschossen.
Graf-Fuchs, Ämter Interl./Unterseen (
halem.
,
1521
):
Wer ouch dem andern stellt uff sin schand und laster an siner elichen frowen, und einer den vindt in sinem hus by nacht und by nebell oder sunst an gewaren schulden.
Mell u. a., Steir. Taid. (
m/soobd.
,
15.
/
16. Jh.
):
das der richter dhainen, [...], umb chainerlai beswaͤren sol, es sei dan umb offne geware taͤt.
Rohland, Schäden
417
;
Bihlmeyer, Seuse .
4.
›rechtsgültig, gerichtlich festgelegt‹.
Rechts- und Wirtschaftstexte.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 4, (Adj.) 5.
Syntagmen:
das recht, die schuld g. sein, der brief g. bleiben
;
die geware sicherheit / urkunde, das geware siegel
.

Belegblock:

Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
dar vmme heyzet iz [buͦch] daz lantrecht buͦch, wan de recht an disseme buͦke sint in allen landen redelich vnde gewere.
ob der vor gerichte icht tuͦt oder sprichet weder recht oder vnrechte scuͦlde gewinnet, de von (ge-)richte gewere ist.
UB Zug
6, 18
(
halem.
,
1353
):
hier úber ze einem rechten urkúnd und ze einer gewerren sicherheit, dur bette Wernhers Bruchis, Uolrichs und Peters, [...], so gib ich den vorgenant geistlichen herren, [...], disen brief.
5.
›zuverlässig, erprobt, bewährt, sicher (von sachlichen Bezugsgegenständen)‹.
Bedeutungsverwandte:
vgl.
1
 15, ,  4, , .

Belegblock:

Ott-Voigtländer, Rezeptar
208r, 16
(Hs. ˹
nalem.
,
um 1400
˺):
Auicenna der maister leret fúr das zwank / ain vil gewaͤr erzenie.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
wie ist der weg dines lidens so gar ein geweres phad dur den weg der warheit hin uf den hoͤhsten tolden aller volkomenheit !
Kurrelmeyer, Dt. Bibel (
Straßb.
1466
):
Das wort ist gewer
[
Luther
1545, Dan. 6, 12:
war
]
das do nit gezimpt vberzegen
[›übertreten‹] ·
nach dem gesetz der medier vnd der persar.
Wiessner, Wittenw. Ring
3201
(
ohalem.
,
1400
/
08
):
Daz gewärest sprüchwort daz ist daz: | [...]
[auch zu 1 stellbar].
Ebd.
3868
;
Sappler, H. Kaufringer
4, 14
.
6.
›treu, verläßlich, zuverlässig (von Personen und Handlungen)‹, zum Teil auch schmückend oder reimbedingt gebraucht.
Phraseme:
getreue und gewäre
.
Bedeutungsverwandte:
; vgl.  1,  9,  4.
Gegensätze:
, .
Syntagmen:
j. / etw
. (z. B.
der minne kraft
)
g. sein, jm
. (z. B.
dem fürsten
)
/ der herschaft g. sein
;
jm. g. helfen
;
der geware bote / bundesgenosse / freund / kämpfe / ritter, die geware magd
.

Belegblock:

Reissenberger, Väterb. (
md.
, Hs.
14. Jh.
):
Mit grozem vlize in ane sach | Antonius der gewere.
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
4, 15
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
Guter gewissen, freuntholt, getreu, gewere und zumale gütig was sie gen allen leuten.
Thiele, Chron. Stolle (
thür.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
die also uff genomen werden, sweren nicht deme bisschoffe zu mencz getruwe unnd gewere, gehorsam zu syne adir fulge zu thune [...], sundern [...].
Matthaei, Minner. I, (Hs.
15. Jh.
):
so ist der hoͤhen mynne krafft | edel und gewere.
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Von der magtt gewere | Zücktt in der getrüwe | On aller schlachte rüwe | Mitt den löcken er in lie.
Sappler, H. Kaufringer
14, 3
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
er [Got] hilft im allzeit gar gewär | aus nöten und von aller swär.
Wutke, Schles. Bergb., Cod. Sil. ;
Koppitz, a. a. O. ; ;
Sappler, a. a. O.
8, 116
;
12, 156
;
7.
›tatsächlich, in Wirklichkeit, in der Tat‹; oft in Reim- und Versbindung gebraucht; als Bestätigungspartikel: ›ja, fürwahr‹.
Verstexte des älteren und mittleren Frnhd.
Bedeutungsverwandte:
,  1,  1.
Syntagmen:
teilweise Gebrauch als präd. Attr.
Wortbildungen:
gewarig
2.

Belegblock:

Hübner, Buch Daniel (
omd.
, Hs.
14.
/
A. 15. Jh.
):
Trierius gewere | Beheldet an im den sig.
Menge, Laufenb. Reg.
4014
(Hs. ˹
nalem.
,
um 1470
˺):
Wonn er [lufte] machet die lybe swäre | Vnd das touwen kranke geweͣre.
Ebd.
4711
:
Wie dem kinde mit vnderscheit | Siner muͦter milch geweͣre | Besser vnd gesúnder weͣre | Denne von andern wyben zwor.
Schmitt, Ordo rerum
744, 8
(
salem.
,
15. Jh.
):
Verumtamen wordoch vnd doch [...] gewardoch uel doch fúr war.
Sappler, H. Kaufringer
17, 77
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
si leit an irem gepet gewär | und spricht ain pater noster.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Gewarig / gewaͤrig / gewiß / steiff / fest / verus, certus, ratus, solidus, cautus.
Hübner, a. a. O. ;
Menge, a. a. O.
397
;
Koppitz, Trojanerkr. ;
Päpke, Marienl. Wernher ;
Sappler, a. a. O.
14, 346
;
26, 177
.