gerüwig,
geruhlich(en),
Adj.;
Schreibungen teils mit, teils ohne Umlaut(kennzeichung); statt
-w-
und
-h-
auch
-g-
und
-b-
:
gerübig,
gerügig,
vereinzelt Hiat;
-lich(en)
meist Adverbkennzeichung.
1.
›langsam bis kaum bewegt, ruhig, ohne das Wohlbefinden störende Hektik‹, jeweils von Konkreta, von Verhältnissen, Vorgängen, Handlungen, die auch unruhig, bewegt (im ütr. und wörtlichen Sinne) gedacht werden können.
Phraseme:
die gerüwigen adern
›Venen‹;
bei gerüwigem und gesundem leben / leibe
o. ä. ›in guter geistiger und körperlicher Verfassung‹.
Syntagmen:
etw
. (z. B.
holz
)
g. sein, alle dinge in got g. sein, das rieseln der wolken g. sein
;
g. seine geschäfte verrichten, g. leben / beten
, [wo]
sitzen / schlafen, hinweg kommen, zur geburt kommen
;
der gerüwige stand / tag / tod, das gerüwige alter / leben / wesen
.

Belegblock:

Luther, WA (
1544
):
Rotten, die es für ein grosse heyligkeyt halten, den Ehstand [...] lassen unnd hin in die Wuͤsten [...] lauffen, da man bessere und gerhuͤlichere tag hat dann im Ehstand.
Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
und ie daz holz denne heizer wirt, ie ez stiller wirt und geruowiger
[Z. 11 als Ggs.:
rouchet, krachet
],
und ie glîcher ez dem viure ist, ie vridelîcher ez ist.
swen des tages verdriuzet und im diu zît lanc ist, der kêre sich in got, dâ kein lancheit enist, dâ alliu dinc inne geruowic sint.
J. W. von Cube. Hortus
100, 19
(
Mainz
1485
):
welche frauwe quidden ysset gebraten die machen frolich kynder vñ komme͂ geruglichen zuͦ der geburt.
Bobertag, Schwänke (o. O.
1558
):
das oft sehr allte leüt gewesen, die noch gerüwig ire geschäfft unnd händel so wol als ein junger haben verrichten mügen.
Grosch u. a., Schöffenspr. Pössneck
141, 34
(
thür.
,
1474
):
daz sy ym die
[Bedarfsgegenstände]
gegebin habe by geruwigem unde gesundem lebin unde liebe, dywyle sy gehen mochte zcu tysche unde bette.
Sachs (
Nürnb.
1555
):
Hab gwohnt auf weißheit, sittn und tugend. | Darinn ich gerhülichen leb | Und allen lastern wiederstreb.
Koller, Ref. Siegmunds (Hs.
um 1474
):
man sol in allen pfarkyrchen frwe an dem tage leutten drey stund [...], daz ein yglich mensch gerüglichen bete funff Pater noster.
Chron. Strassb. (
els.
,
1362
):
donoch do wolte kunig Rudolf ein geruͤwig leben hon zu Osterrich.
Barack, Zim. Chron. (
schwäb.
,
M. 16. Jh.
):
so muest im seiner knecht einer gegen abends, ehe er schlafen gieng, ein kibel oder zwen mit kaltem wasser zum gesess schütten, alsdann kunt er dester gerüewiger schlaffen.
Der probst war über seine sibenzig jar alt, gleichwol eins gerüewigen und gesunden alters.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
iedoch slahent die runstâdern niht sam die gaistâdern, dar umb haizent si auch die gerüewigen âdern.
und muoz daz selb riseln der selben spiegel gerüeik sein und die spiegel rain, daz si der sunnen schein in sich genemen mügen.
zu Dohna u. a., Staupitz/Scheurl
104
;
Pfeiffer, a. a. O. ;
Dietz, Wb. Luther ;
2.
›ruhig, friedlich‹, meist von größeren Menschengruppen gesagt.
Gegensätze:
, .

Belegblock:

Baumann, Bauernkr. Rotenb. (
nobd.
,
n. 1525
):
das sie [...] haim in ire hewser geen, anhaims bleyben und sich geruwigklich halten wollten.
bittende, sie von solichem irem furnemen mit ernst zu weysen, gegen uns dermassen fridsam und geruwig zu machen.
Kurrelmeyer, Dt. Bibel (
Straßb.
1466
):
Er macht hochzeyt: er tet geruͦcklichen
[
Luther
1545, 2. Makk. 14, 25:
hatte guten friede
].
Barack, Zim. Chron. (
schwäb.
,
M. 16. Jh.
):
zuvor er aus deutschen landen schidt, damit die Sachsen dester gerubiger und sich in seinem abwesen in kain empörung leichtlich begeben, besetzet und bevestnet er Marspurg.
3.
›ruhig, gelassen (meist im Sinne mystischer Versenkung, der Ruhe in Gott)‹; bei mixtura verborum auch für den Ort der Ruhe gebraucht.
Vielfach Texte religiösen, oft mystischen Inhalts.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 4, ,  3; vgl. (s. v.  7),  2, (part. Adj.) 2,  2, .
Gegensätze:
,  1.
Syntagmen:
j. g. sein / werden, die sele g. sein, sich g. halten, der sin jm. g. sein
;
jm
. (z. B.
got
)
g. dienen, etw
. (z. B.
trübsal
)
g. tragen
;
die gerüwige conscienz, das gerüwige herz / leben
; mixtura verborum:
gerüwige stat
.
Wortbildungen
gerügigkeit
(dazu bdv.: ).

Belegblock:

Luther, WA (
1527
):
das [truͤbsal und verfolgung] solt jr alles leicht unnd geruͤglich tragen.
Strauch, Par. anime int.
45, 4
(
thür.
,
14. Jh.
):
dit ist ein erbedinde und ein pinlich lebin, genis ein gerùwit und ein selic lebin.
Ebd.
112, 23
:
ein gewis zeichin ist daz daz Got in der sele alsus wone daz di sele geruwic si.
Haage, Hesel. Arzneib.
9r, 4
(Hs. ˹
noobd.
/
md.
,
E. 15. Jh.
˺):
Di von flegmate genaturt sind, dy sind geruge.
zu Dohna u. a., Staupitz/Scheurl
147
(
Nürnb.
1517
):
Der war verstandt der schrift gibt, das die erfarnheit des götlichen heimlichen gesprechs der frid und gerugikeit des herzens ist.
Williams u. a., Els. Leg. Aurea
17, 32
(
els.
,
1362
):
do ich hoffe zuͦ vindende eine geruͤwige stat die gevellig si der heimelicheit mins goͤttelichen beschowendes.
Strauch, Schürebrand , Vorr. zu 11 Var. (
els.
,
E. 14. Jh.
):
und zuͦ gantzeme friden und ruͦwe [...] ain stil geruͤwig hertz gewinnent von aller senlichait der ussern bild.
Bolte, Pauli. Schimpf u. Ernst (
Straßb.
1522
):
Vatter, mir ist, das ich in der Gemein nit also geruͤwig moͤg Got dem Herren dienen, als wan ich alein in der Wuͤstin wer.
Bömer, Pilgerf. träum. Mönch ;
Reissenberger, Väterb. ;
Strauch, Par. anime int.
112, 26
;
Schmidt, Hist. Wb. Elsaß .
4.
›rechtlich (meist), politisch, sozial, wirtschaftlich unangefochten, von niemand anderem beansprucht‹; speziell auch vom Verhalten: ›ungestört, ohne Widersprüche von außerhalb‹.
Gewisse Beleghäufung für Rechts- und Wirtschaftstexte.
Bedeutungsverwandte:
, ; vgl.  1.
Syntagmen:
etw. g. hauen
(z. B.
erz
),
etw
. (z. B.
land, freiheiten, ein erbe
)
g. besitzen / haben / halten / niessen, jm. g. etw
. (z. B.
korn
)
fallen
›als Abgabe zustehen‹,
jn. g. bei etw. bleiben lassen, g. bei etw
. (z. B.
bei der unkeuschheit
)
bleiben
;
der gerüwige beses / gebrauch, die gerüwige gewere / nutzung / possession / übung
.

Belegblock:

Luther, WA (
1529
):
es kan kein reych oder politzey one das Priesterthumb unnd lere oder erkantnus der warheyt geluͤckseligklich unnd geruͤglich bestehen.
Schade, Sat. u. Pasqu. (
1521
):
seither sein wir
[Papst]
bei unserm bracht, [...], unkeuschait, liegen, triegen [...], gerüewiklich beliben und durch E. M. und hellisch reich gnediglich gehanthabt [...] worden.
Ebd. (
wmd.
1521
):
so seint wir so vil jar, nemlich hundert und siben, seit des consiliums zu Costenz, des in geruwigen beseß und brauch gewest.
Koeniger, Sendgerichte (
rhfrk.
,
2. H. 15. Jh.
):
das ime sollich 2 malter korns jare und jare und jare von sollichen guttern geruglich gefallen [...] sin.
Hertel, UB Magdeb. (
nd.
/
omd.
,
1494
):
und das also mit wissen und vordulden iglicher ertzbischove zw zceyten ghewesen in geruglicher, friedlicher ubung, ghewer, beseszs unnd quasi possession hergebracht.
Thür. Chron.
17r, 1
(
Mühlh.
1599
):
daß die Sachssen bey der See bleiben / vnnd das Land geruwig besitzen.
Grosch u. a., Schöffenspr. Pössneck
60, 32
(
thür.
,
1474
):
globit, nymmer keyne ansprache darane zcu habin, unde daz sy ym auch darnach sollich gud [...], uffgelaßin habin, deme er eß zcu der zcyt vorlehewart unde darnach bißher lenger danne zcwentczig jar geruwiclich ane insprache besessin habe.
Löscher, Erzgeb. Bergr.
125, 2
(
omd.
,
um 1559
):
es sey dan, das der stolnhayer in der wasserseige erbeitendt, siczend auf seinem siczpfal, mit seiner keilhaue [...] der gewercken hauer erreiche und berure, ane das moͤgen die gewercken ihr ercz geruglich hauen.
Bindewald, Texte schles. Kanzl.
114, 5
(
schles.
,
1400
):
dasselbe Erbe, das do beheldet fumfczen elen lang, sal her vnd seine nachkomen vorbasmer gerulich haben, halden vnd besitczen.
Baumann, Bauernkr. Rotenb. (
nobd.
,
n. 1525
):
bewilligt, das etliche tor geöffnet, und yedermann geruwigklichen mit dem seinen aus und ein webern [...] mögen.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
wissent fúr war, daz úch in keinem abbrechende uwers eigen willen niemer so we geschiht, im beschehe noch vil wirs, so er von siner eigen stat scheiden muͦs, die er so lange, so geruͤweklich hat besessen.
Boos, UB Aarau (
halem.
,
1442
):
daz sy die vorgenanten schultessen, rat und burger zu Araw [...] bey den obgemelten iren gnaden und freyheiten gerublich bleiben lassen.
Herzog, Landsh. UB
387, 29
(
moobd.
,
1368
):
daz der vorgenant Hainreich der Maler vnd sein zwo toͤchter dieselben hofstat allew vmb vnd vmb geruͦbichlichlen vnd an alle irrung inne haben vnd niezzen suͤllen ir lebtag.
Rintelen, B. Walther
17, 11
(
moobd.
,
1552
/
8
):
er mag sich selbst umb solliche Ausständt pfendten, doch, sover er sollicher Dienst in geruebigem Gebrauch und Posseß ist.
Wyss, Limb. Chron., U ;
Grosch u. a., a. a. O.
122, 36
;
125, 22
;
125, 30
;
Bindewald, a. a. O.
35, 41
;
130, 5, 13
;
130, 7, 16
;
Merk, Stadtr. Neuenb. ;
Roder, Stadtr. Villingen ;
Müller, Grafsch. Hohenb.
2, 302, 13
;
Dirr, Münchner Stadtr. ;
Seuffert u. a., Steir. Landtagsakten
1, 106, 13
;
Vorarlb. Wb.
1, 1138
.
5.
›ohne Mühe, leicht‹.
Bedeutungsverwandte:
vgl. (Adj.) 4,  10, (Adj.) 3, , (Adj.) 4.

Belegblock:

Chron. Nürnb. (
nobd.
,
1468
):
sein tasche wer gros als das Jeronimus Kreß sein sweher wol wißt, dann er möcht wol sechs groß öppel geruwiglich darein schieben.