ersehen,
V., unr. abl.
1.
›jn. / etw. (unvermutet) erblicken, (plötzlich) sehen‹; häufig auch: ›jn. / etw. wahrnehmen‹; ›jn. / etw. entdecken, finden‹;
offen zu 2; zu  3.
Phraseme:
seine zeit ersehen
›eine günstige Gelegenheit wahrnehmen‹;
sich ersehen lassen
›sich (öffentlich) zeigen‹.
Bedeutungsverwandte:
 7,  3,
2
 1, (V.) 5, .
Syntagmen:
j. e
. (absolut);
jn. e., etw
. (z. B.
den rauch / stein, einen baum / hügel, das blut / feuer, ein kanu, kreuter
)
e., jn. / etw. von weitem e., sich alleine e., j. e
. [+ AcI];
e., das [...]
.

Belegblock:

Lappenberg, Fleming. Ged. (
1631
):
Die geilen Satyren, die springen aus den Wäldern | und lassen sich ersehn auf allen grünen Feldern.
Luther, WA (
1544
):
das [...] die Welt [...] vermeinet, nicht allein Gottes wesen, willen und werck durch sich selbs zu ersehen und treffen, sondern auch jm rat zu geben.
Ebd. (
1529
/
30
):
das sie wasser jm fegfeur und schnee jnn der helle auch on brill und latern ersehen koͤnnen.
Ebd. (
1543
):
und kuckt mit grossem vleis der Saw unter dem pirtzel jnn den Thalmud hinein, als wolt er etwas scharffes und sonderlichs lesen und ersehen.
Österley, Kirchhof. Wendunmuth (
Frankf.
1563
):
[er] fand dieselbig [...] schlaffend, drumb wie er sich allein ersahe, schwängeret er sie also.
Ralegh. America (
Frankf.
1599
):
wie wir noch dahinauff fuhren / ersahen wir von weitem eine kleine Canoa mit 3. Indianern.
Bell, G. Hager
358, 3, 1
(
nobd.
,
1611
):
wenn er er sicht seine zeit, | So wirt er dich be reit | be drüegen früe vnd spate.
Baumann, Bauernkr. Oberschw. (
schwäb.
,
v. 1542
):
ain langer man, desgleichen in dusen landen nit ersechen ist worden, ist geboren im burg etwas umb Saltzburg.
Chron. Augsb. (
schwäb.
,
1544
/
5
):
hat er den könig mit seinem adel gegen die statt Rom auff der strassen [...] eilen und rennen ersehen.
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. (
oobd.
,
3. Dr. 15. Jh.
):
da die Turckhen ersahen, das das kloster pran, da wurden sy das zw der anndern seyten sturmen.
Weber, Füetrer. Poyt.
291, 4
(
moobd.
,
1478
/
84
):
do sicht er, das zer vesste | ain vngehewrer ris in do ersach.
Luther. Hl. Schrifft.
Hes. 20, 28
;
v. Liliencron, Dür. Chron. Rothe ;
v. d. Broek, Suevus. Spieg.
181r, 27
;
Gille u. a., M. Beheim
453, 1915
;
Bihlmeyer, Seuse ;
Rauwolf. Raiß ;
Weber, a. a. O.
227, 6
;
Baumann-Zwirner, Augsb. Volksb.
1991, 286
.
Vgl. ferner s. v.  1,  7.
2.
›sich (in einem Spiegel) sehen, betrachten‹; überwiegend tropisch: ›sich in etw. verlieren‹; Spezialisierung zu 1.
Gehäuft Texte religiösen Inhalts.
Bedeutungsverwandte:
 45; vgl. .

Belegblock:

Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
34, 71
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
Günne ir, [...], in deiner [...] gotheit spiegel sich ewiglichen ersehen, beschauen und erfreuen.
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
[din sele] ersiht sich denne in dem goͤtlichen spiegel iemer me ân ende.
Haltaus, Liederb. Hätzlerin (
schwäb.
,
1471
):
Ir augen [...] | Recht als ain spiegel gefar. | Wer sich darynn tuͦt ersehen, | Der muͦsz ir grosses lob veriehen.
Bauer, Geiler. Pred.
471, 11
(
Augsb.
1508
):
[Diser wadel] hat syben federen und spiegel. in denen du dich ersehen magst.
Rieder, a. a. O. ;
v. Maren, Marquard. Ausgabe
146, 34
.
3.
›etw. (gezielt) betrachten, ergründen‹; häufig resultativ: ›etw. herausfinden, feststellen, erkennen; eine Schlussfolgerung ziehen‹;
zu  6.
Phraseme:
das ende ersehen
›abwarten‹.
Bedeutungsverwandte:
(V.) 9,  2, (V.) 2,  1112,  2, (V.) 45,  2,  2,  4,  23,  2, , I, 11,
1
 8,  6, , , , , .
Syntagmen:
jn
. (z. B.
die gotheit
)
e., etw
. (z. B.
den spot, die klage / kraft, das ende, die dinge
)
e., j
. (z. B. [
k
]
ein grieche, die heiden
)
etw. e., j. etw. an jm. e
.,
etw
. [wie] (z. B.
dik / zuvor, aus der vernunft, mit keinem sorgen, nach begier
)
e.
;
j. e., das [...] / wie [...]
.

Belegblock:

Luther, WA (
1525
):
Solche kunst hat nie keyn Krieche ersehen, die doch ynn der sprache geporn sind von Christus zeyt her.
Ebd. (
1544
):
Das wirstu an mir noch ich an dir nicht ersehen. Denn es kan keiner dem andern ins hertz sehen.
Ders. Hl. Schrifft.
Röm. 1, 20
(
Wittenb.
1545
):
[Gottes] ewige Krafft vnd Gottheit / wird ersehen
[
Mentel
1466:
angesehen
;
Emser
1527:
vermerckt vñ gesehen
;
Dietenberger
1534:
gesehen oder erkennet
;
Eck
1537:
gesehen vnd verstanden
]
/ so man des warnimpt / an den Wercken.
Peil, Rollenhagen. Froschm.
519, 410
(
Magdeb.
1608
):
Jch ersahe aber in der noth / | Das sein Hertz zwar sehr war verwundt.
Wiessner, Wittenw. Ring
6849
(
ohalem.
,
1400
/
08
):
In gantzer diemuot wellen wir | Daz end ersehen nach begir | Und senden unser boten hin.
Klein, Oswald
125, 9
(
oobd.
,
vor 1408
?):
dein güt die klag an mir ersach, | da ward verkart unhart mein ungemach.
Vgl. ferner s. v.  6.
4.
›etw. (gezielt) prüfen, durchsehen‹ (meist bezogen auf Schriftstücke); Spezialisierung zu 3.
Wobd. / oobd.
Bedeutungsverwandte:
 13,  1, ,  6; vgl.
2
 1.
Syntagmen:
etw
. (z. B.
den landfrieden, die briefe / eiche / pasporte / quittungen
)
e
.;
sich in etw
. (z. B.
in registern
)
e
.
Wortbildungen
ersehung
›Einsichtnahme, Vergleichung‹ (dazu bdv.:
2
 1).

Belegblock:

Jörg, Salat. Reformationschr.
735, 23
(
halem.
,
1534
/
5
):
alls ouch der landsfriden / so man den von anfang bis zuͦ end ersicht / uff kein recht veranlastt.
Chron. Augsb. (
schwäb.
,
v. 1536
):
so wolten sie sich darin [copei des itz verlesnen brieffs] ersechen und für augen nemen.
so wel sich sein kai. mt. darin [libell und artickel] ersechen und nachmalen ain gnedige andtwurt darauff geben.
Mell u. a., Steir. Taid. (
m/soobd.
,
1568
):
ob er und mit was paßporten versehen befragt, dieselb paßporten zu ersehen begern.
Wiewol dise [...] ordnung [...] nach ersehung der zuvor aufgerichten alten marktordnung, auch erwegung und vleissiger beratschlagung [...] aufgericht [...] worden.
Wickram
4, 13, 32
;
Müller, Alte Landsch. St. Gallen ;
Mell u. a., a. a. O. ;
Vgl. ferner s. v.  4,  13.
5.
›jn. / etw. für jn. / etw. halten‹; Spezialisierung zu 3.
Bedeutungsverwandte:
1
 5, (V.) 6, (V.) 3,  20,  2930.

Belegblock:

Luther, WA (
1520
):
wurdestu nit lang das fastnacht spil treiben, sondern fuer iderman ein schendlicher, boszer neidhard ersehenn werden.
Ders. Hl. Schrifft.
1. Mose 7, 1
(
Wittenb.
1545
):
dich hab ich Gerecht ersehen
[
Mentel
1466 /
Eck
1537:
gesehen
]
fur mir zu dieser zeit.
Wiessner, Wittenw. Ring
1193
(
ohalem.
,
1400
/
08
):
Scholt mans für ein ernst ersehen.
6.
›jn. / etw. ausersehen, auserwählen‹;
vgl.  6.
Bedeutungsverwandte:
; vgl.
1
 11,  2,  4,  1.

Belegblock:

Schade, Sat. u. Pasqu. (o. O.
1524
):
wolt uns Christus nach der menscheit das paradeis übergeben, [...], würdens uns dann etwas zuͦ gewinn weiter ersehen.
Luther. Hl. Schrifft.
1. Mose 22, 8
(
Wittenb.
1545
):
Gott wird jm ersehen
[
Mentel
1466:
fúrsicht im
]
ein schaf zum Brandopffer.
Spechtler, Mönch v. Salzb.
49, 13
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
Wan vor manigen er dich ersach, | dein rauch suesser zu im brach.
7.
›etw. voraussehen, vorhersehen‹;
vgl.  1.
Bedeutungsverwandte:
vgl.
2
 3.

Belegblock:

Wunderlich, Fierrabr.
120, 37
(
Simmern
1533
):
Ryol ersahe den streych / vnd entsprang jme hinder sich.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Bautzen
1567
):
[Esaias] Der dein Leiden klaget, | Welchs er im Geist ersehn.
Mathesius, Passionale .