entschliessen,
V., unr. abl.;
zu
mhd.
entsliezen
›öffnen; aufschließen; eröffnen; offenlegen; sich verschließen‹
(
Mwb
1, 1712
 f.).
1.
›etw. (ein Tor, eine Tür, eine Kiste u. dgl.) aufschließen, etw. zuvor (durch ein Schloss, eine Verriegelung) Verschlossenes öffnen‹; dazu metonymisch: ›ein Gebäude durch das Öffnen der Eingangstür zugänglich machen‹; auch: ›einen Brief, ein versiegeltes Schreiben öffnen‹; refl: ›sich öffnen‹; speziell: ›den Verschluss eines Kleidungsstücks öffnen‹; ›einen Knoten lösen, jm. die Fesseln abnehmen‹ (Letzteres im Beleg ütr.); in bildlichen Verwendungsweisen offen zu 2; zu  1a.
Bedeutungsverwandte:
 4; vgl.  18, ,  1,  1,
4
 21.
Gegensätze:
 3.
Syntagmen:
den brief / kasten / kerker / knoten / magen / tempel, die kamertür / pforte / sakristei, das schlos / tor, ein schreiben, die kleider, den schrein der barmung e
.;
etw
. (z. B.
eine brünne
)
sich e
.

Belegblock:

Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
mit groisser vreuden hie [monich] sy [caste] intslois.
Hübner, Buch Daniel (
omd.
, Hs.
14.
/
A. 15. Jh.
):
Entslozzen ist der knote | Der dich nu getwungen hat.
Gille u. a., M. Beheim
285, 113
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
entschleuss uns deiner barmung schrein, | daz wir uns ewiglich erfrein.
Williams u. a., Els. Leg. Aurea
83, 9
(
els.
,
1362
):
sant Siluester [...] hies in [keyser] alle kerker entschliessen.
Chron. Strassb. (
els.
,
A. 15. Jh.
):
den [brief] nam der priester und entslos in kluͦgliche.
Merk, Stadtr. Neuenb. (
nalem.
,
1616
):
Die torwächter [...] sollen schweren, zue rechter zeit zu den toren zue gehn, solche zu entschließen und zue beschließen.
Päpke, Marienl. Wernher (
halem.
,
v. 1382
):
Do man das tempel fruͤge entschlos.
Schmidt, Rud. v. Biberach
151, 18
(
whalem.
,
1345
/
60
):
„Ich [Cristus] bin ein tor“ der verstentnissi, entslossen mit volkomener gloͮbe.
Brandstetter, Wigoleis
232, 13
(
Augsb.
1493
):
man entschloß vier pforten der selben stat.
Spechtler, Mönch v. Salzb.
11, 133
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
das guldein tor sich nie entsloss.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
des igels flaisch ist gesunt dem magen und sterket in und hât ain kraft ze trücknen und ze entsliezen den magen.
daz dich der wolf ê sicht wann dû in, sô benimpt er dir die stimm, und wenne dû bestummest, sô entsleuz deineu kleider, dar umb, daz dû dein stimm entsliezst
(dies zu 2).
Klein, Oswald
68, 4
(
oobd.
,
1417
):
Mein herz jüngt sich [...] | und ist getrösst, erlösst von lieber hand, | Die mir zu fleiss frei tadels mail | zärtlich erschoss, entsloss all meine band.
Weber, Füetrer. Poyt.
280, 5
(
moobd.
,
1478
/
84
):
ain schlag, [...] | da von des risen prünn sich tett entschliessen.
Karnein, Salm. u. Morolf
293, 4
;
Herzog, Landsh. UB
216, 13
;
Rwb  f.;
Vgl. ferner s. v.  5,  4.
2.
von 1 ausgehend ütr. auf unterschiedlichste Bezugsgrößen; im Einzelnen: ›jm. etw. (durch geistige Vorbereitung) zugänglich machen, jn. für etw. aufnahmebereit machen‹ (vorwiegend in religiösen Kontexten; metaphorisiert unter anderem durch Bezugnahme auf
gnade
3,
herz
,
das
, 4; 5,
himmel
,
keuschheit
,
sin
usw.); ›etw. lehren, jm. etw. lehrend erschließen, vermitteln‹; ›sich im Innern (des menschlichen Körpers) lösen, sich auftun, erweitern‹ (z. B. von Adern gesagt; vorwiegend in medizinischen Kontexten); ›sprießen, aus etw. hervorkommen, hervorbrechen‹ (z. B. von Gräsern gesagt); ›sich öffnen, entfalten‹ (von Knospen gesagt); ›das Erdreich erschließen, urbar machen‹; ›etw. (z. B. ein Jahr) eröffnen, beginnen‹; ›auseinanderfließen, sich teilen (um jm. den Durchgang zu ermöglichen)‹ (vom Meer gesagt);
vgl.  1a; 4.
Gewisse Beleghäufung in Texten der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘.
Bedeutungsverwandte:
 4,  1,  2, .
Gegensätze:
 49,  3.
Syntagmen
(in Auswahl):
etw
. (z. B.
den himmel / leib, die gnade, js. herz, eine gabe, das apostem
›Geschwür‹
, die bande
)
e
.;
Jesus die sinne e
.;
got jm. e
. ›sich jm. öffnen‹,
got js. or, jm. den himlischen ort, Christus uns sein reich e
.; refl.:
der mund, die himmelspforte / rose, das mer, die adern / geister sich e., etw
. (Subj.)
sich durch freude e
.;
das entschlossene erdreich
.

Belegblock:

Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
bistuͦ richtende nach Dissen Worten, so vntsluͦzet dir got den himelichen ort.
Fischer, Brun v. Schoneb. (
md.
, Hs.
um 1400
):
eine nuwe rose, | di sich kegen der sunnen schin | entslozzen hete sunder pin.
Asmussen, Buch d. 7 Grade
679
(
nobd.
, Hs.
A. 15. Jh.
):
hot er
[Christus]
uns gegeben | an dem so wunneklichen leben | seines reiches, daz er uns ensloß | mit seinem plute, daz er vergoß.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
ein minnencliche túre, die uns das minnenkliche hertze hat rechte entslossen und ufgeton.
Ebd. (
1359
):
ir himelporten, entsliessent úch von unbilde úber min volk.
Kurrelmeyer, Dt. Bibel (
Straßb.
1466
):
du herr mein gott hast entschlossen
[Var. 1475
2
-1518 /
Luther
1545, 1. Chr. 17, 25:
geöffnet
]
das ore deins knechts.
Rieder, St. Georg. Pred. (Hs. ˹
önalem.
,
1387
˺):
da von sprichet ain hailge: ,o herre, dem du entschlússest, der ist iemer saͤlig [...]‘.
Päpke, Marienl. Wernher (
halem.
,
v. 1382
):
Sin [Ihesus] antwurten was wise, | Sin fragen gar mit prise, | [...] | Entschliessen und beschliessen, | Mit warhait also giessen | Das alle maister wisten nút | Was sú mochten sprechen út.
Schmidt, Rud. v. Biberach
147, 11
(
whalem.
,
1345
/
60
):
bedarf der mensche, daz Iesus sin sinne vf tvͦ vnd entsliesse.
Sappler, H. Kaufringer
29, 68
(
schwäb.
, Hs.
1472
):
die minn [...] | kan in die herzen giessen | und darbei schon entschliessen | claren leib und lieblich prust.
Löffler, Columella/Österreicher (
schwäb.
,
1491
):
uss denen [stetten] kumpt nútz das nit besser sy uss dem entschlossnen dann uss dem dicken ertrich.
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
Sô nun diu fruht zeitig ist in der muoter leib, sô entsliezent sich die âdern und diu pant, diu vor die fruht hielten.
ez
[Klatschmohn]
entsleuzt auch und swentet die herten apostem, wenn man ez mit ezzeich tempert.
Spechtler, Mönch v. Salzb.
13, 27
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
zeuch hin, pot, gotes knecht, | und entsleus dise gab, | offenbar newe recht.
Klein, Oswald
42, 46
(
oobd.
,
v. 1408
?):
Und hübsche wësli, grësli | sich entsliessen, spriessen | hüglich, tüglich, plüde.
Brévart, K. v. Megenberg. Sphaera
34, 7
(
noobd.
,
1347
/
50
):
der leuhtend ohs entsleuzzet uns daz jar mit seinen guͤldeinen hoͤrnern.
Niewöhner, Teichner
405, 118
(Hs. ˹
moobd.
,
1360
/
70
˺):
als daz mer sich muest entsliezzen | und seu [juden] truchen durich sich lazzen.
Thiele, Minner. II,
11, 57
;
Menge, Laufenb. Reg.
4154
;
Löffler, a. a. O. ;
Primisser, Suchenwirt ;
Gleinser, Anna v. Diesb. Arzneib.
1989, 91
.
Vgl. ferner s. v.  1,  1.
3.
›jm. etw. (mit dem Anspruch der Verbindlichkeit) offenbaren, erklären, darlegen, jm. seinen Willen bekunden‹; auch: ›etw. aufdecken, bekannt machen‹; vereinzelt: ›einen Zweifel ausräumen‹; zum Teil refl.; zu  1a.
Bedeutungsverwandte:
 14,  23,  1, ,  2; vgl.  1,  5.
Syntagmen:
(jm.) etw
. (z. B.
den willen / zweifel, einen trug, die laster / sünden / worte, heimliche dinge
)
e., etw. mit reimen e
.;
sich e., das [...], etw
. (Subj.)
sich an den worten e
.;
sich der antwort, der urteile, seines lezten willens e
.;
sich um etw. e
.;
sich lauter e
.
Wortbildungen:
entschliessung
1 ›Beantwortung (einer Frage)‹; auch: ›Erklärung, Auslegung (von sprachlichen Äußerungen)‹,
entschlus
1 ›Erklärung, Antwort‹ (dazu bdv.:  1).

Belegblock:

Strehlke, Nic. Jerosch. Chron. (
preuß.
,
um 1330
/
40
):
swî an den wortin sich entslûzt, | daz [...].
Behrend, Magd. Fragen (
omd.
,
um 1400
):
Wan geschit czwyvel den herren unde iren undirsossen an briffen zcu entslisen adir zcu beduten, dy dy herren gegeben han, so sal man, umb sulchen czwyfel zcu entslisen, vor den obirsten richter kommen.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1610
):
ich bin bewegt dahin, | Zusingen vnd zu dichten, | [...] | Vom Sacrament, wie viel der seynd, | [...] | Mit reimen kurtz entschliessen.
Bindewald, Texte schles. Kanzl.
131, 14, 76
(
schles.
,
1356
/
78
):
inswelchen formen adir entslisungyn der wurte eczwen sy [getroknisse] seyn vs gevlossen.
Gille u. a., M. Beheim
275, 51
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
Wil euch das nit verdriessen, | das beispel und dise verbargen wort | wil ich euch hy entsliessen | und offenbern.
Jörg, Salat. Reformationschr.
544, 16
(
halem.
,
1534
/
5
):
beder orten botten [von Zürch und Bern] / umm antwurt / und entschluß ersuͦchtend.
Ebd.
713, 19
:
Die botten von Soloturn enttschlussend sich
[hier: ›teilten mit‹]
/ das jnen befolen von jrn herren alles das zehandlen / so frid [...] gebaͤren moͤchte.
Welti, Stadtr. Bern (
halem.
,
1539
):
Ein mansbild [...] bedarff kein andere fryheit zeerwerbenn [...], dann, so er sich sins letstenn willens vnd ordnung enntschliessen vnd erlüttern will, das [...].
Spechtler, Mönch v. Salzb.
38, 21
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
im
[Christus]
süllen wir entsliessen | die sünd und zäher giessen.
Drescher, Hartlieb. Caes. (
moobd.
,
1456
/
67
):
Die entsliessung der selben frag ist etwas leichte.
Jörg, a. a. O.
264, 5
;
Vgl. ferner s. v.  14.
4.
›eine Entscheidung fällen‹; ›etw. entscheiden, beschließen‹ (meist von Obrigkeiten oder Gerichten gesagt); ›sich (unter mehreren Optionen) für etw. entscheiden‹; auch: ›etw. verabreden, planen‹; im Part. Perf. mit Tendenz zum Adj.; häufig refl.; zu  3a.
Syntagmen:
der rat, die apostel e
. (absolut);
einen frieden / streit, eine sache
›Rechtssache‹
e
.;
eine versamlung, das volk
(Subj.)
etw. e., j
. (z. B.
die herren
)
(sich) über etw. e
.;
etw. mit urteil e
.;
(sich) e
. [+ Infinitivsatz],
(sich) e., das [...]
.
Wortbildungen:
entschliessung
2 ›Entschluss, Entscheidung‹,
entschlus
2 ›obrigkeitliche, gerichtliche Entscheidung‹.

Belegblock:

v. Ingen, Zesen. Ros.
102, 18
(
Hamb.
1646
):
Verziehe doch noch so lange mit dieser harten entschluͤssung / biß du die wahrheit baͤsser verstehest.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Köln
1619
):
Alsbald die Hirten diß gehort, | Entschlossen sie mit wenig wort, | Gen Bethlehem zu reisen.
Küther, UB Frauensee
387, 16
(
thür.
,
1528
):
dweyl aber dieselbigenn [copienn] denn mehrerteyl latinisch [...] seynn, habenn wir die unns zu verdeutzschenn [...] lassenn [...] enntschlossenn.
Hoffmeister, Kuffstein. Gef.
A viijr, 28
(
Leipzig
1625
):
meine TREW ist / welche fuͤr einmal vnnd allezeit entschlossen diese grosse Straff vnd schmertzen [...] zu leiden.
Franck, Decl.
333, 14
(
Nürnb.
1531
):
deßhalb das vrteil noch in der federn steckt [...] biß der oͤberst richter [...] dy sach entschleust vnd entscheit.
Rennefahrt, Statut. Saanen (
halem.
,
1571
):
Alls die von Sanen ouch vermeint, was veechs in der landschafft Sanen funden wirt [...] abköüfen, [...] ist unser entschluß darüber [...].
Meisen u. a., J. Eck
45, 24
(
Ingolst.
1526
):
Da zuͦ Antiochia unainigkeit ward under den Christen von der beschneidung, [...] da habent die heyligen apostel [...] entschlossen und geurteilt über die frag.
Vgl. ferner s. v.  1,  1, .
5.
›etw. (z. B. eine Strafe, einen Bann, ein Verbot) aufheben, für ungültig erklären‹; zu  3a.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  12.

Belegblock:

UB Zug
246, 24
(
halem.
,
1387
):
dz wir die benne mit irem ratte wol entschließen mugen.
6.
›sich e. S. verschließen, sich gegen etw. abschotten‹; zu  3a.
Bedeutungsverwandte:
 2, (V.) 1,  5.

Belegblock:

Strehlke, Nic. Jerosch. Chron. (
preuß.
,
um 1330
/
40
):
Doch was dî sache stille, | durch dî er sich der ê intslôz, | dî er ouch darnâch machte blôz.
Sermon Thauleri 3vd,
3
(
Leipzig
1498
):
dysse dyrn gottes [...] sal ein rue [...] in yr haben [...] vnnd den synnen yn der natur sich vorbergen vnd vorteylenn vnd entschliessen.
Sachs (
Nürnb.
1530
):
Der ist doch aller sorg entschlossen.
7.
›sich auflösen, verflüchtigen‹; vgl.  1a.
Naturkundliche Fachtexte sowie Texte der Sinnwelt ,Religion‘.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  7,
1
 3,  1.

Belegblock:

Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
Der regen kümpt von wäzzrigem dunst, den der sunnen hitz auf hât gezogen in daz mitel reich des luftes, wann von der kelten, diu dâ ist, entsleuzt sich der dunst wider in wazzer.
welheu tier grôzes leibs sint, diu gepernt niht vil, wan ir kost und ir narung entsleuzt sich vil in in und gêt in ireu glider.
Brévart, K. v. Megenberg. Sphaera
61, 24
(
noobd.
,
1347
/
50
):
aintweder got der maister der nature leitt, oder daz gantz werk der werlt entsleuzzet sich und wil vallen.
Pfeiffer, a. a. O. .
8.
›etw. beenden‹;
zu  6.

Belegblock:

Munz, Füetrer. Persibein
274, 1
(
moobd.
,
1478
/
84
):
Dy not tett gar entschliessen | ain helld gar vnuerzagt.