entschlagen
(vor allem in älteren Belegen auch:
entschlahen
),
V., unr. abl.;
zu
mhd.
entslahen
›etw. lösen; sich von etw. freimachen; uneinig sein‹
(
Mwb
1, 1710
 f.).
1.
›jn. / etw. von etw. befreien‹; in rechtssprachlichen Kontexten sich ausdifferenzierend (vgl. auch 2; 3; 4); im Einzelnen: ›jn. aus einer Verpflichtung, Haft entlassen‹; ›jn. aus einem Bann lösen‹; ›jm. etw. zurückgeben‹; ›etw. zuvor für die Nutzung Gesperrtes wieder freigeben‹; ›etw. von Amts wegen aufheben, außer Kraft setzen‹; vereinzelt refl.: ›sich eines Herrschers entledigen, den Herrscher absetzen‹; zu  3a.
Gehäuft ˹wobd.; Rechts- und Wirtschaftstexte˺.
Bedeutungsverwandte:
 1,  14,  1; vgl.  2,  2, (V.) 21.
Gegensätze:
 8, , , ›sperren‹.
Syntagmen:
(jm.) den ban / haft, eine kirche, ein gebot / verbot / haus / land, die güter, leute / schulden / steuern / zinsen e., ein könig / schuldner
(Subj.)
(jm.) etw. e., jn. der geldschuld / klage / leibeigenschaft, des gefängnisses, der eide / gelübde e., sich js. herlichkeit e., jn. aus dem ban e., etw. aus der versperrung, mit recht, von jm. e
.
Wortbildungen:
entschlag
›Urkunde über die Lösung von Verpflichtungen‹ (a. 1461),
entschlagung
1 ›Lossprechung e. P.‹; 2 ›Freigabe eines in Beschlag genommenen Gutes‹ (dazu bdv.: ),
entschlagungsbrief
›Urkunde über eine Lossprechung‹.

Belegblock:

Bernoulli, Basler Chron. (
alem.
,
um 1454
):
do er [kunig] wider kam, do wart der hertzog vericht
[›ausgesöhnt‹]
, und entsluͦ er im das land.
Chron. Strassb. (
els.
,
1362
):
des kam er [Friderich] mit ime [bobest] überein, daz erm den ban entschluͦg.
Merk, Stadtr. Neuenb. (
nalem.
,
1427
):
daz unser herre der künig ime [herre von Österrich] all sin land und lúte, slos, stette, und phandschaft mit aller herlikeit und gewaltsami [...] wider entslagen.
Ebd. (
1491
):
die selben verbot sollen uf dismal entschlagen und ab sin.
Krebs, Prot. Konst. Domkap.
1963
(
nalem.
,
1503
):
daz d. procurator [...] sölle [...] graff Erharten den handel endecken vnd bitten mit den mayern zeschaffen, den hafft zu entschlahen.
UB Zug
690, 30
(
halem.
,
1427
):
sol aber dz gebott bestan nach des hofs recht, und sol ein amman Zug nit gewalt haben, dz gebott ze entslachen.
Gagliardi, Dok. Waldmann
2, 95, 15
(
halem.
,
1489
):
das sy im nu abtrag tuͦn söllen sins erlitnen costens und schadens mit widerkerung und entslachung sines guͦtes und habe.
V. Anshelm. Berner Chron. (
halem.
,
n. 1529
):
Joͤrgen uf der Fluͤe entschlahung und burgrecht
(Überschrift).
So erwarb der gluͤkhaftig ungluͤksman, Joͤrg uf der Fluͤe, von Bern entschlachungsbrief.
Chron. Augsb. Anm. 3 (
schwäb.
,
1555
/
61
):
derselben haab und gueter [...] in verpot gelegt. und wolten alsdann die kauffleut, daß dieselbigen gueter relaxiert und entschlagen wurden.
Leidinger, A. v. Regensb. (
oobd.
,
um 1430
):
dy grafen [...] in Nideren Bayren [...] zesambrachten ein gross her, recht als sy sich entslachen wolten herczog Ludweigs herleichkait.
Vgl. ferner s. v. ,
2
 12.
2.
›sich von einer Anklage, einem Schuldvorwurf durch einen Eid, eine öffentliche Erklärung entlasten, reinigen; sich gegen eine Verleumdung erfolgreich zur Wehr setzen‹; Spezialisierung zu 1; zu  3a.
Gehäuft ˹wobd.; Rechtstexte˺.
Bedeutungsverwandte:
 5,  2, ; vgl.  3, , (V.) 5.
Gegensätze:
.
Syntagmen:
j
. (Subj., z. B.
ein herzog
)
sich gegen etw. e
.;
sich e. S
. (z. B.
eines raubes, der gezichte
›Anschuldigung, Bezichtigung‹)
/ schuld e
.;
sich mit dem eid / recht, mit worten, mit zwei fingern, vor jm
. (z. B.
vor den eidgenossen
)
, zu den heiligen e
.;
sich rechtlich e
.
Wortbildungen:
entschlagnis
1 ›Entlastung von einem Vorwurf durch Ehrenerklärung‹.

Belegblock:

Adomatis u. a., J. Murer. Nab.
738
(
Mühlh./E.
1556
):
sag ein yeder was er kan | Wenn sich dann Naboth woͤlt entschlan | Mit worten vil er hetts nit than.
Roder, Stadtr. Villingen (
önalem.
,
1592
):
welchen man darumb schuldiget, entschlächt sich der nit zu den heiligen, daß er dessen unschuldig sei, so [...].
Leisi, Thurg. UB
8, 504, 19
(
halem.
,
um 1400
):
er mug sich denne by sinem ayd entschlahen, das er die gloggen nit gehoͤrt hab.
Welti, Urk. Rheinfelden
446, 13
(
halem.
,
1499
):
wolle er sich der red
[›Beschuldigung‹]
rechtlich oder sust entschlahen vnnd entladen.
V. Anshelm. Berner Chron. (
halem.
,
n. 1529
):
so muͦst sich her Cuͦnrad Swend [...] vor gmeinen Eidgnossen entschlahen
[hier: ›rechtfertigen‹]
eines esels vol Meylaͤndischs gelts.
Merz, Urk. Wildegg
188, 11
(
halem.
,
1627
):
weil er [Claus Kapffen von Seon] [...] erklärte, er seye seiner ehren halber so guͦth als er der juncker von Willdegk, welches aber nit seye, dann er niemahlen wider eid vnd ehr, [...] vil weniger offentliche entschlachnuß gethan.
Geier, Stadtr. Überl. ;
UB Zug
926, 31
;
Gagliardi, Dok. Waldmann
2, 491, 26
;
V. Anshelm. a. a. O. ;
Vgl. ferner s. v.  2,  2.
3.
›jn. durch öffentliche Erklärung von einem Schuldvorwurf entlasten, freisprechen, jn. nach einer fälschlichen Beschuldigung rehabilitieren‹; vereinzelt: ›eine Eingabe (z. B. eine Beschwerde) abweisen‹ (mit einem Gericht als Handlungssubjekt); zu  3a.
Gehäuft wobd.; Rechtstexte.
Bedeutungsverwandte:
 1,  2; vgl.  1,  2.
Gegensätze:
 6.
Syntagmen:
der lügner / schelter jn. e
.;
j. jn. offenlich, einer rede
›Beschuldigung‹
, der worte halber, an dem gericht, an eides stat, ane ausrede, bei verschlossener tür, durch ein zeugnis, in drei kirchen, mit worten, mit dem eid, nach notdurft, vor den bürgern, vor zwei schultheissen e
.
Wortbildungen:
entschlagnis
2 ›öffentliche Rücknahme einer Beleidigung, Ehrverletzung‹.

Belegblock:

Welti, Stadtr. Bern (
halem.
,
1463
):
sol ouch der schelter denselben, den er bescholten hatt, an dem gericht [...] offenlichen vnd nach aller notturft entslahen.
Schib, Urk. Laufenb.
192, 3
(
halem.
,
1514
):
Jch Claus Bolli [...] bekennen, das ich ... Fridlin Badern [...] der wortten halben, so ich im in zorns wiß zuͦ geredt hab, [...] entschlagen hab vor den ... beyden schultheisen.
Rennefahrt, Zivilr. Bern (
halem.
,
1615
):
Wo aber jemands zwo [...] personen [...] jhrer empteren wegen schaͤlten und harnach dieselben gescholtnen [...] entschlachen wurde, so soll es zuͦ unser erkantnuß stahn, denselben ehrabschneyder [...] zuͦ straffen, soͤlliche entschlachnuß beschehe glych.
Siegel u. a., Salzb. Taid. (
smoobd.
,
1624
):
die [beschwerungen
›Beschwerden‹
] mag man annemen, die andern mit urtail entschlachen
(Kontext: Annahme oder Abweisung von Beschwerden durch die Richter).
Rennefahrt, Staat/Kirche Bern ; ;
ders., Zivilr. Bern ;
Welti, a. a. O. ;
Bächtold, N. Manuel. Zugabe H. R. Manuel,
370, 3521
;
4.
›etw. veräußern, verkaufen, jm. etw. zum Kauf anbieten‹; auch: ›auf etw. (z. B. auf einen Rechtsanspruch, auf Ämter, Güter, Besitztümer) verzichten‹; meist refl.; offen zu 5; zu  3a.
Rechts- und Wirtschaftstexte.
Bedeutungsverwandte:
 1,  2,
2
 9, ; vgl.  3.
Gegensätze:
 1.
Syntagmen:
etw. auf dem markt, um x franken e
.;
der keiser
(Subj.)
sich e. S. e
.;
sich des gewaltes / handels / krieges / regimentes, der erbschaft / ere / habe / lehenschaft / weide / würde, des eigentums, der ämpter / güter / marktsfreiheiten e
.
Wortbildungen:
entschlagung
3 ›Verzichtsleistung‹.

Belegblock:

Köbler, Ref. Wormbs
202, 8
(
Worms
1499
):
EJn yeder der in einem Testament zu erben gemacht [...] ist [...] der soll ein iar haben sich zubedencken ob er das gesatzt erb anne͂men oder sich des entschlagen woͤll.
Ders., Ref. Franckenfort
49, 13
(
Mainz
1509
):
Wo aber das letstlebende [...] die farende hab nit annemen / sunder sich der selbigen entschlahen woͤlle / So [...].
Ders., Ref. Nürnberg
246, 20
(
Nürnb.
1484
):
sollen sie doch nit verpunde͂ [...] sein. die erbschaft des gestorben [...] angenome͂ zehaben. Sonnder sie muͤgen sich nichts destmynter derselbe͂ erbschafft entschlahen vnnd ewssern.
Uhlirz, Qu. Wien (
moobd.
,
1487
):
es werde ihm [Bürgermeister] berichtet,
wie sich die kaiserlich majestat derselben lehenschaft [...] entslagen hab
(Regestbeleg).
Fuchs, Kart. Aggsbach (
moobd.
,
1495
):
die obgenannten unnser holden daran zu weisen, sich der bestimbten vischwaid zu enntslahen.
Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
Lucius Lucullus [...] entschlueg [...] sich des regiments und aller ämpter.
Rintelen, B. Walther
23, 8
(
moobd.
,
1552
/
8
):
Ob ein Hold oder Dienstman [...] seine Erbgründt und Güetter verkauffen, verschaffen oder verändern oder sich desselben entschlagen müge.
Bischoff u. a., Steir. u. kärnt. Taid. (
m/soobd.
,
1636
):
Es soll sich auch kainer [...] seiner burgerlichen marktsfreiheiten mit nichten begeben, noch deren sich entschlahen.
Zingerle, Inventare (
tir.
,
1495
):
Mer von der benannten frawen Ursulen ain enntschlahung der morgengab dem vorgenannten irem man.
Köbler, Ref. Wormbs
97, 14
;
ders., Ref. Franckenfort
89, 27
;
Koller, Reichsreg. Albr. II.
185, 29
;
Rwb  f.;
Vgl. ferner s. v.  1,  3,  1.
5.
›sich von etw. (negativ Bewertetem) befreien, fernhalten, etw. meiden‹ (meist in religiös begründeter Askese); ›auf etw. (z. B. auf die Ausführung einer Handlung) verzichten‹; auf Personen bezogen: ›sich von jm. lossagen, distanzieren‹; ›mit jm. in Streit geraten, mit jm. brechen‹; meist refl.; zu  3a.
Bedeutungsverwandte:
 3,  34,  3,  4,  4, , ; vgl.
4
 33.
Gegensätze:
 1.
Syntagmen:
sich des mönches, der gleisser
›Gleißner‹
, der falschen propheten, böser geselschaft, fremder personen e., sich wuchers, eines gedankens, der bulerei / erbschaft / liebe / täuschheit / trunkenheit, eines kampfes / lasters, der ehesachen / fabeln / fragen / frevel / schambarer worte, der leiblichen begier, der weltlichen dinge, sich von den toten, vom neid e
.
Wortbildungen:
entschlagbrief
›Verzichtsurkunde‹ (a. 1436),
entschlagung
4 ›Ablehnung‹ (dazu ggs.: ).

Belegblock:

Luther, WA (
1522
):
Darumb bitt ich [...], ewer prediger wollten sich der fragen von den heyligen ym hymel und von den todten entschlahen.
das sie [pfarhern] die Ehesachen [...] von sich weisen und sich der entschlahen.
Leman, Kulm. Recht (
Thorn
1584
):
Wy sich eyn man kamphes entslage.
Kurz, Waldis. Esopus (
Frankf.
1557
):
ich kan mich nit entschlahen | Der gdancken dieses Hundes halb.
Karsten, Md. Paraphr. Hiob (
omd.
,
1338
):
By der vrucht man sy bekennyt | Dy man glyssere nennyt. | Der sich gerne Job entsluge.
Sachs (
Nürnb.
1567
):
Spil, trunckenheit und bulerey | Und ander kurzweil mancherley | Ich
[Hans Sachs]
mich in meiner wanderschafft | Entschlug.
Chron. Strassb. (
els.
,
A. 15. Jh.
):
do wurdent die Swobe zornig und entsluͦgent von ime [künig Conrat] und worent mit künig Heinrich.
Wickram
4, 6, 19
(
Straßb.
1556
):
das sie sich boͤser geselschafft [...] entschlagen.
Sudhoff, Paracelsus (
1525
/
6
):
solche geist [des teufels] treibens [leut] auch hinweg von denen, bei denen sie sind in solcher verborgner gestalt mit der selbigen verwilligung und entschlahung der lügen.
Niewöhner, Teichner
438, 21
(Hs. ˹
moobd.
,
1360
/
70
˺):
wer sich dez wil machen frey | und sich von dem neid entslahen, | der [...].
Boot, Cassiodor. Hist. Eccl.
20, 2
(
moobd.
,
um 1385
):
Du entslechst dich aller leiplicher wegier.
Uhlirz, Qu. Wien (
moobd.
,
1469
):
Mathes Pehem,
der [...] gefangen genommen worden war,
umb
dass er sich seiner
elichen hausfraun entslagen
und
sich mit ainer andern lange jar aufgehalten
(Regestbeleg).
Neumann, Rothe. Keuschh.
3951
;
Strauch, Schürebrand 16, Var. z. Z. ;
Bauer, Geiler. Pred.
100, 9
;
Rwb  f.;
Öst. Wb.
3, 948
.
Vgl. ferner s. v. ,  3.
6.
›scheitern, erfolglos sein, sich zerschlagen‹ (von Verhandlungen zwischen Konfliktparteien gesagt); zu  1a.

Belegblock:

Chron. Strassb. (
els.
,
A. 15. Jh.
):
Disen krieg kunde nieman verrihten, wie vaste men derzwüschent rette. und wurdent vil tage und stunden gehalten [...]: die entsluͦgent alle.
Chron. Augsb. (
schwäb.
,
um 1530
):
auf disen tag ist wider ain ausschuß [...] den glauben belangent, mitel zuͦ suͦchen. die handlung hat sich endtschlagen.
7.
›auftauen, frei von Eis werden ‹;
zu  6.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  1;
2
.
Gegensätze:
.

Belegblock:

Dierauer, Chron. Zürich (
halem.
,
1415
/
20
):
und was so kalt, das der Zuͤrichsee uͤberfror, und weret unz an sant kúng Karlis tag, das er nie entschlug.
Barack, Zim. Chron. (
schwäb.
,
M. 16. Jh.
):
das der Rein, welcher selbigs jars zeitlich hart überfroren war, [...] sich etwas entschlagen hett, also das es ganz sorgclich zu wagen und weder zu reiten oder faren sicher.
8.
›ein Feuer entfachen‹;
zu  4.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  2.

Belegblock:

Maaler (
Zürich
1561
):
Ein fheür Entschlahen. Elicere ignem con flictu & ictu lapidum.
9.
›sich zeitlich hinziehen, endlos sein‹;
zu  6.

Belegblock:

Turmair (
moobd.
,
1522
/
33
):
Und laider sich der tag on ent entschlagen hat.
10.
›ein Land (durch Krieg) verwüsten‹;
zu  6.

Belegblock:

Lappenberg, Fleming. Ged. (
1638
):
da ich soll näher schauen | mein durch fünf ganze Jahr’ entschlagnes Meißner-Land, | das von der Kriegesglut zu Pulver wird verbrant.