entfallen,
V., unr. abl.
1.
›von einer höheren Position aus nach unten fallen‹ (von konkreten und abstrakt gedachten Gegenständen unterschiedlicher Art gesagt; allgemein); im Einzelnen: ›jm. aus der Hand fallen, wo herunterfallen; verloren gehen‹; seltener: ›niedersinken‹ (z. B. von js. Kopf gesagt); auch: ›etw. zum Herunterfallen bringen‹; speziell: ›Wasser, Kot ausscheiden‹; ütr. z. B: ›jm. aus dem Gedächtnis entschwinden; dem Vergessen anheimfallen, in Vergessenheit geraten‹; ›abhanden kommen‹; auch: ›vergehen, schwinden‹; am ehesten hierher: ›sich als hinfällig / unnötig erweisen und wegfallen‹; zu  2a.
Phraseme
j. jm. entfallen
›j. jm. wegsterben‹ (dazu bdv.:  12);
jm. entfält das herz
›jm. sinkt der Mut‹;
der magd das kind am tanz entfallen
›ein Geheimnis nicht wahren können‹;
jm. entfält kein har vm haupte
.
Syntagmen:
jm. e
. (absolut);
jm. etw
. (z. B.
der kelch / kopf / mantel / mut / verstand, die hofnung / kraft, das banier / brot / herz / wort, wasser / wust
›Kot‹
, die hände / zäne
)
e
.;
jm
. (z. B.
dem teufel
)
/ e. S
. (z. B.
dem liecht
)
etw
. (Subj.)
e., got dem namen güte e., dem esel ein sak e
.;
j. e. S
. (z. B.
seiner farbe
)
entfallen sein
;
jm. etw. aus der hand, ein har vom haupt e
.

Belegblock:

Luther, WA (
1520
):
der boße geyst [...] gab yhm [Johannem Eccium] eyn, das er mich [...] ergriffe bey eynem wortle von dem Bapstum gesagt, das myr angefehr empfallen war.
Ebd. (
1523
):
Wenn uns aber Got das hertz entfallen lesset, das wyr meynen, er wolle uns den herrn Christum aus den hertzen reyssen.
Ebd. (
1544
):
Da entfelt so bald beide, die Lere, so dir der Mietling gegeben, und alle deine werck und thun.
Ders. Hl. Schrifft.
2. Kön. 2, 13
(
Wittenb.
1545
):
[Elisa] hub auff den mantel Elia der jm entfallen war.
Ebd.
Apg. 27, 34
:
Darumb ermane ich euch speise zu nemen / [...] / Denn es wird ewer keinem ein har von dem Heubt entfallen
[
Mentel
1466:
verdirbt
; nd. Bibel 1478:
en vorgheyt
].
Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
Minne nimet got selben, als er guot ist, und entviele got dem namen güete, minne enkünde niemer vürbaz.
Waz dém liehte entvellet, daz vellet in tœtlicheit.
Peil, Rollenhagen. Froschm.
149, 3278
(
Magdeb.
1608
):
So druckt Petz den Halt an die brust / | Das jhm entfiel wasser vnd wust.
Ebd.
553, 1464
:
Vns entfellet beid hertz vnd Muth.
Rueff, Rhein. Ostersp.
851
(
rhfrk.
,
M. 15. Jh.
):
siner farben waz er [ritter] gantz entfaln.
Karnein, Salm. u. Morolf
94, 7
(
srhfrk.
, Hs.
um 1470
):
Also der heiden da getranck | im enpfiel der kopff und seige nider uff ein banck.
v. d. Broek, Suevus. Spieg.
169v, 48
(
Leipzig
1588
):
warlich zubesorgen ist / wenn vns diss Heupt Rodolphus / vnser [...] Herr vnd Keyser entfallen oder abgehen solte / das [...].
Gille u. a., M. Beheim
99, 907
(
nobd.
,
2. H. 15. Jh.
):
Der wutrich [...] | [...] | [...] liess in [nagel] umb [...] | dy heüblin hefften an daz haubt, | daz sy in nicht abreisen | Oder enpfallen kunden.
Williams u. a., Els. Leg. Aurea
149, 31
(
els.
,
1362
):
Do zúckete der zoller ein brot vnd schluͦg daz [...] vf den armen man daz ime daz brot us der hant enpfiel.
Gilman, Agricola. Sprichw.
1, 79, 15
(
Hagenau
1534
):
Da ligt es / sagt ihene gute magdt / da empfiel yhr das kind am tantze.
Henisch f. (
Augsb.
1616
):
Das Hertz entfalt jhnen / sie verzagendt / fallendt hin [...]. Es entfalt mir. Wenn man dessen daß man sagen will / vergißt [...]. Mir entfaͤlt die Hoffnung [...]. Entgehn / entfallen / außfallen [...]. Das Wort ist mir entfallen [...]. Die Victori ist entfallen / oder verlohren [...]. Welche vil wallen / Den thut vil entfallen. Wer nit hat / dem entfaͤlt auch nit.
Klein, Oswald
25, 102
(
oobd.
,
1414
/
27
):
ich slach dich auf dein nack, | das dir bei ainlif zende | emphallen nicht gar schon.
ders. Hl. Schrifft.
1. Mose 42, 28
;
Froning, Alsf. Passionssp.
3959
;
Kurz, Waldis. Esopus ;
Kehrein, Kath. Gesangb. ;
Williams u. a., a. a. O.
508, 9
;
Kurz, Murner. Luth. Narr ;
Wickram
4, 16, 2
;
Wedler, W. Burley. Liber
107r
;
Vgl. ferner s. v.  1,
1
 3,  1.
2.
›von jm. / e. S. (z. B. einer Zusage) abfallen, sich von jm. / e. S. lösen, lossagen‹; in der Mystik häufig sowohl auf die Abwendung von Gott als auch auf die Abwendung vom Irdischen bezogen; zu  2a.
Älteres Frnhd.; verstärkt religiös motivierte, speziell mystische, seltener berichtende Texte.
Bedeutungsverwandte:
 69,  2; vgl.
2
 11,  6,  2,
4
 9.
Syntagmen:
der mensch im
(refl.)
selben, seinen werken, die sele der zeit, die zeit der sele e., got seinem wort, der gotheit / warheit
(nicht)
e, j. dem geist / herren, der zeit e
;
jm. e., das [...]
.

Belegblock:

Quint, Eckharts Trakt. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
Entviele got sînem worte, sîner wârheit, er entviele sîner gotheit.
wie sol man daz mitewürken [mit got] gehaben, dâ der mensche im selben und allen werken entvallen ist.
Jostes, Eckhart
108, 35
(
14. Jh.
):
Di sele, in der got sal geboren werden, der musz dy czit inphallen, und si musz der czit inphallen.
Strauch, Par. anime int.
14, 33
(
thür.
,
14. Jh.
):
da Got geboren sal werdin in der sele, da muiz alle zit abgevallin sin oder si muiz der zit intphallin sin mit willin oder mit begerunge.
Opel, Spittendorf (
osächs.
,
um 1480
):
ihre neurung [...] wolten sie [bornmeister] bekreftigen [...] und entfielen meinem herrn, das sie ihme und seinem capittel [...] zugesagt hatten.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
1359
):
do wurden also minnekliche menschen us geborn, und entsunken und enpfielen allem dem do sich die nature an enthalten mochte.
Quint, a. a. O. ;
Bihlmeyer, Seuse ;
3.
verschiedene rechtssprachliche Verwendungen; im Einzelnen:
a) ›von einem zuvor abgelegten Zeugnis für jn. zurücktreten, jm. ein Zeugnis versagen, jm. als Zeuge vor Gericht die Unterstützung verweigern‹.
Bedeutungsverwandte:
 2, , .
b) ›etw. vor Gericht bestreiten, js. Behauptung vor Gericht widersprechen, sie widerlegen‹.
Omd.
Bedeutungsverwandte:
 1.
Gegensätze:
(V.) 8.
c) ›bußfällig werden, zu einer Strafe verurteilt werden‹.
Älteres Frnhd.; halem.
d) ›einen Vertrag einseitig auflösen‹; vgl.  3a.
Gegensätze:
 28.
Meist Rechts- und Wirtschaftstexte.

Belegblock:

Zu a):

Luther, WA (
1528
):
Johannes [...] zeuget auff mich und diesem gezeugnis wird er nicht entfallen, [...] Er ist nicht wie ein rhor, das der wind hyn und her webd.
Doubek u. a., Schöffenb. Krzemienica
55
(
schles. inseldt.
,
1453
):
do ist em [Jocusch Wberman] der geczeugt entphallin vnd ist em niht geczeugit.

Zu b):

Toeppen, Ständetage Preußen
3, 190, 31
(
preuß.
,
1450
):
dy erbar lewte, ritter und knechte, werden mir der worte nicht entfallen, dy sy ken mir yn aller kegenwertikeit gesagt haben.
Ermisch, Freib. Stadtr. (
osächs.
, Hs. 
v. 1325
):
Sprichet abir he, ein ander man habe si [kost] an siner stat genumen, unde inpfellit im des der munzmeister, so verbuzet he sechzic schillinge.
Berthold u. a., Zwick. Stadtrref.
116, 9
(
osächs.
,
1542
/
70
):
Wurde aber beclagtem seine furbrachte ehaft rechtlich empfallen und aperkant [...] alsdann sal beclagter lauts der clage vorteilet werden.
Ermisch, a. a. O. ;

Zu c):

Welti, Stadtr. Bern (
halem.
,
E. 13. Jh.
):
Ist aber daz der, der den zoln geben sol, mit geuerde enweg fuͤre vnd er des wirt beret, der ist enphallen vmb druͥ phunt.
Graf-Fuchs, Ämter Interl./Unterseen (
halem.
,
1345
):
Wele aber under inen hinnant untz ze sant Michels tag den bu nit abgebrochen hetti, der sol u̇nser stat von Berne ze pene emphallen sin umb zweintzig phunt.

Zu d):

Franz u. a., Qu. hess. Ref.
2, 60, 17
(
hess.
,
1527
):
dieweil E. F. G. nit binnen lands [...] war, ist mir der comptur des vertrags entfallen und hait durch sine gwalt mich also ein virtel jars lang von meinem ampt abgetriben.
Kisch, Leipz. Schöffenspr. (
osächs.
,
1523
/
4
):
Des kaufs meint er mir zu enfallen und nicht zu halden.
4.
›jm. zufallen‹; zu  2a.

Belegblock:

Froning, Alsf. Passionssp.
217
(
ohess.
,
1501ff.
):
darumb wel ich dir geben zu lone, | was mer entfellet nach der none!
Vgl. ferner s. v.  4.