einsam,
Adj.;
vereinzelt:
einsamig
.
Zur Etymologie und Aspekten der Wortgeschichte s.
Kluge/S.
2011, 236
und
Dwb, Neub.
7, 928
.
– Bed. 1-4 den Zustand des Abgeschiedenseins, Alleinseins charakterisierend, damit wohl durch die Semantik von lat.
sōlitūdo
gestützt (
Georges, Neub.
2, 4433
). Im Einzelnen: In 1 Aspekte sozialer, in 2 religiös-meditativer, in 3 psychologisch-existentieller, in 4 räumlicher Verlassenheit dominierend; in 5 dagegen auf ,Einheitlichkeit, Gemeinsamkeit‘ bezogen; vgl. auch ahd.
einsamana
›einheitliche Gemeinde; Einigkeit‹ und
einsamôn
›etw. mit etw. vereinigen‹.
– Ansätze 1-4 gehäuft in Texten der Sinnwelt ,Religion / Didaxe‘, darunter Martin Luther; Belegdichte im nobd. / oobd. Raum abnehmend.
1.
›ohne gott- und naturgewollte Bindung, ohne eheliche, familiäre Zugehörigkeit und die damit verbundenen Aufgaben und Verpflichtungen, sozial allein stehend‹; auch: ›(von anderen) verlassen; allein, auf sich gestellt zurückbleibend‹; speziell: ›unverheiratet; unfruchtbar‹ (auch von Witwen gesagt); meist auf Individuen, aber auch auf Gruppen von Personen bezogen; offen zu 3; vgl. (Zahladj.) 2; (Adj.).
Bedeutungsverwandte
(bzw. Orientierungsfeld):  1, (Adj.) 3,  1, (Adj.) 1, , , , , , , , , , ; vgl. (Adj.).
Gegensätze:
(Adj.) 3,  1.
Syntagmen:
eine witwe, die menge in der stat e. sein, eine versamlung e. bleiben
;
jn., kinder e. lassen
;
j. e. fliehen / leben / sitzen
;
die einsame keuschheit/ aufschwingerin, die einsamen studia
; subst.:
ein einsamer ein engel / got / teufel / unmensch sein
;
got den einsamen
(Dat. Pl.)
das haus vol kinder geben
,
die einsame
›durch Unfruchtbarkeit kinderlose Frau‹.
Wortbildungen:
einsamsein
(
das
).

Belegblock:

Lappenberg, Fleming. Ged. (
1631
):
wie ein Vogel girrt, | wenn ihm sein Ehgemahl vom Garn’ erhaschet wird, | der stets sein Einsamsein ruft aus auf allen Bäuen.
Ziesemer, Proph. Cranc Bar.
4, 16
(
preuß.
,
M. 14. Jh.
):
di [ein ungezogin volk] habin weggevurt di liebin der witwen und habin si kindir enig einsam gelasin.
Luther, WA (
1522
):
Wilch aber eyn rechte wittwe und eynsam ist, die setzt yhr hoffnung ynn gott [...]. Hirauß sihestu, das diße Hanna muß eyne wittwe eynsam, on kinder und elltern geweßen seyn, der sie nit hatt duͤrffen wartten.
Ebd. (
1525
):
die schrifft sagt, Genesis [...] ,Es ist nicht gut,‘ das der mensch allein sey, [...]. Wer sich nu fur einen menschen helt, und glewbt, das er unter dem wort ,mensch‘ begriffen sey, der hoͤre hie, was sein Gott [...] spricht. Er woͤlle nicht, das er einsam sey, sondern soll sich mehren, und schafft yhm dazu ein huͤlffe, die umb yhn sey, und helffe yhm, das er nicht einsam sey.
Ebd. (
1526
):
Wer kan es gnugsam bedencken, das ein mensch sol drey tage und nacht so einsam, on liecht, on speyse mitten ym meer ym fische leben und widder komen?
Ebd. (
1538
):
Es ist auch bey seinen Juͤden ein [...] ergernis gewest, da sie gesehen jn [Jhesus] also einsam und verlassen, das sie haben muͤssen sagen: Wo sind sie nu, die es mit jm gehalten [...] haben?
Ders., WA Bibel (
1524
):
Die fur hunger vnd kumer einsam
[Hiob 30, 3:
Mentel
1466:
geschemlichen
]
flohen in die Einoͤde, newlich verdorben vnd elend worden.
Der rawm ist mir zu enge, rucke hin, das ich bey dir wonen muͤge, Du aber wirst sagen yn deinem hertzen, Wer hat mir diese gezeuget? Jch bin vnfruchtbar, einzelen, vertrieben vnd verstossen, Wer hat mir diese erzogen? Sihe, ich war einsam gelassen, wo waren denn diese?
Ders., WA Br. (
1529
):
Einsame studia thuns nicht, Gemeine thuns, da viel einer dem andern vrsach vnd Exempel gibt.
Ders. Hl. Schrifft.
Esra 9, 3
(
Wittenb.
1545
):
DA ich solchs höret / zureis ich meine Kleider [...] / vnd raufft mein heubthar vnd bart aus / vnd sas einsam
[
Mentel
1466:
traurent
, Var. 1475
2
–1518:
traurent oder klagent
; nd. Bibel 1478:
droich
;
Dietenberger
1534:
allein
;
Eck
1537:
traurig
].
Ebd.
Hiob 15, 34
(
Wittenb.
1545
):
der Heuchler versamlung wird einsam
[
Mentel
1466:
vnperhafftig
; nd. Bibel 1478 /
Froschauer
1530 /
Dietenberger
1534 /
Eck
1537:
vnvruchtbaer
]
bleiben / vnd das fewr wird die Hütten fressen.
Ebd.
Hiob 24, 21
:
Er hat beleidiget / die Einsame
[
Mentel
1466:
vnberhaftigen
, Var. 1475
2
–1518:
vnfruchtber
; nd. Bibel 1478:
vndrachtige
;
Froschauer
1530 /
Dietenberger
1534 /
Eck
1537:
die vnfruchtbare
]
die nicht gebirt.
Ebd.
Ps. 68, 7
:
Ein Gott der den Einsamen
[
Cranc
, M. 14. Jh.:
ist begeben
;
Mentel
1466:
einmútigen
; Hs. P, 14. Jh.:
die eins sitens
; nd. Bibel 1478:
eens sedes
;
Wormser Proph.
1527:
wirt verlassen
;
Eck
1537:
ist laͤr gelassen
]
das haus vol Kinder gibt.
Ebd.
Jes. 32, 14
:
die Pallast werden verlassen sein / vnd die menge in der Stad einsam
[
Mentel
1466:
ausgelassen
, Var. 1475
2
–1518:
verlassen
]
sein.
Sachs (
Nürnb.
1533
):
Wie erlich die fraw Armut sey, | [...] | Auch ein undtergetretne plagerin, | Der geduld eynsame auffschwingerin.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Einsam / einsamlich [...]. Einsam leben [...]. Ein einsamer ist eintweder ein Engel oder Teuffel / er darff niemands / oder er will niemands. [...] Ein einsamer ist eintweder ein Gott / oder ein vnmensch.
2.
›aus der Welt in eine innere Einkehr zurückgezogen, leer, frei von Weltlichem und damit offen, bereit für die Annahme der Gnade Gottes‹; speziell: ›in klösterliches, weltabgeschiedenes Leben zurückgezogen‹; subst.:
der einsame
›Einsiedler‹.
Phraseme:
eine einsame jungfrau
›in religiös motivierter Einsamkeit, Zurückgezogenheit lebende Frau; Einsiedlerin‹ (vgl.  4).
Bedeutungsverwandte
(bzw. Orientierungsfeld):  1,  1, , (Adj.) 6, ; vgl. (Adj.) 2b; zur Substantivierung:  1,  1.

Belegblock:

Kochendörffer, Tilo v. Kulm (
preuß.
,
1331
):
wer [...] | Wil besen wer Jesus sye | [...] | Gar an alle cluternis
[wohl ›Täuschung‹]
| Mit dem wissagen er sicze | Einsam in guter wicze | Und czy sich von den luͦten.
Luther, WA (
1525
):
die welt ist ein haus, [...] ich [Isaias] aber alleine bin ausser dem hause, auff dem dache, noch nicht ym hymel und auch doch nicht ynn der wellt, die wellt habe ich under mir und den hymel uber mir, also zwischen der welt leben und dem ewigen leben einsam ym glauben schwebe.
Ebd. (
1539
):
zu der zeit hat Muͤnch geheissen, das wir jtzt Kleusner oder Einsidel heissen, [...] das ist, ein Einsamer, der gar allein von den Leuten wonet.
Rosenthal. Bedencken
6, 13
(
Köln
1653
):
die grosse Lieb zum Heiligen Weynen / welche jhr alle Weltliche eitelkeit / [...] abgeschnitten / vnd das eynsame oder auch Kloͤsterliche Leben erwehlt hat.
Jostes, Eckhart
56, 3
(
14. Jh.
):
wer sich cheren wil zu der gnaden gots, der sol haben ein einsam, ungehindert stat und sol haben ein unbechumertez hertze und ein frey gewizzen und ein rein, dymutig begernde sel zu got.
Rieder, Gottesfr. (
els.
,
n. 1390
):
worin das wahre leben der einsamen und eingeschlossenen jungfrawen bestehe, damit sie sicher und näher zu gott können kommen.
3.
›existentiell einsam, im Zustand existentieller Geworfenheit; im Zustand der Gottesferne, von Gott verlassen‹; ›in psychischer Not, depressiv, melancholisch; verzweifelt, voller Angst (z. B. in der Nacht)‹; vgl. (Zahladj.) 2; (Adj.).
Bedeutungsverwandte:
 1,  2, (Adj.) 3, (Adj.) 357,  1,  2, .

Belegblock:

Luther, WA (
1527
):
Als da David spricht. Wende dich zuͦ mir [...], Denn ich bin einsam und elend, die angst meines hertzens ist groß [...]. Und in aim andern Psalm spricht er, Schaw zur rechten und sihe, da kennet mich keiner, [...], Niemant fragt nach meiner seelen.
[ym Psalm] Wende dich zu mir und sey mir gnedig, denn ich bin einsam und ellende.
Ders., WA Bibel (
1545
):
DA ich solchs hoͤret, zureis ich meine Kleider vnd meinen Rock, [...], vnd sas einsam
. [
Mentel
1466 (Esra 9, 3):
traurent
]
Vnd es versamleten sich zu mir alle die des HERRN wort des Gottes Jsrael furchten [...], Vnd ich sas einsam
[
Mentel
1466 (Esra 9, 4):
traurig
]
bis an das Abendopffer.
Ebd. (
1524
):
[Hiob] verflucht seinen tag, vnd sprach, [...] Sihe, die nacht muͤsse einsam sein
[
Mentel
1466 (Hiob 3, 7):
allein
],
vnd kein jauchzen drinnen sein.
Wende dich zu mir, vnd sey mir gnedig, Denn ich bin einsam vnd elend
. [
Mentel
1466 (Psalm 25, 16):
einiger und arm
].
Ebd. (
1545
):
Denn der vber euch gebracht hat dis vngluͤck, wird euch von ewer feinde hand erretten, Zihet hin, jr lieben kinder, zihet hin, Jch aber bin verlassen Einsam, Jch hab mein freudekleid ausgezogen, vnd das trawrkleid angezogen, Jch wil schreien zu dem Ewigen fur vnd fur.
Ders., WA Br. (
1525
):
auf daß wir auch mit Christo ganz verlassen singen, ja heulen im Psalter: ,Jch bin elend und einsam‘.
Ebd. (
1532
):
Sehet aber ia drauff, das yhr den Mañ kein augenblick allein lasset, auch nichts bey yhm, da mit er yhm mocht schaden thun; [...] Was yhr thut, So lassts nicht einsam noch still vmb yhn sein, das er nicht ynn die gedancken sincke.
Bobertag, Schwänke (
Frankf.
1563
):
in ansähung deines allhie einsamen, armutsäligen läbens, [...], so dirs liebt, begib dich [...].
Karsten, Md. Paraphr. Hiob (
omd.
,
1338
):
Ich wolde daz dinacht unmere | So west, so gar eynsam were, | So grulich und so engestlich | Daz keyn volk gesamyntet sich.
4.
›verlassen, (menschen)leer, unbewohnt, öde, von Menschen verlassen‹ (von Orten); ütr.: ›an einem Ort versteckt, verborgen, räumlich von anderen Menschen getrennt, ohne Nähe zu anderen‹; vgl. (Adj.).
Bedeutungsverwandte:
, , , .
Syntagmen:
etw
. (Subj., z. B.
die stat, die berge
)
e. sein / werden
;
e. [wo] leben, etw. e. gemachen
,
etw
. (Subj., z. B.
das land
)
e. liegen
;
der einsame ort
.

Belegblock:

Ziesemer, Proph. Cranc Ez.
33, 28
(
preuß.
,
M. 14. Jh.
):
dy berge Israhel werdin eynsam
[
Luther
1545, Hes. 33, 28:
wüste
]
deshalbin, das nymant obir sy gehet.
Ebd.
36, 35
:
wen ich uch reynige von alle uwirm vnvlate [...], und das wuyste lant gearbeit wirt, das do etzwen eynsam lag
[
Luther
1545, Hes. 36, 34:
das es verheeret war
].
Luther, WA (
1512
):
Er vorgleicht sich den eynsamen vogeln und den, die am tag nit erfur kummen, [...]. Von dem pelican [...] heyst es ein vogell, der yn der wusten ist unnd an unfruchtbarn steten eynsam lebend.
Da muͤssen wyr sehen zum ersten, wie dieser leypliche fels [Christus] ynn der wuͤsten war weyt von den leutten [...], gantz eynsam und wuͤste.
Ebd. (
1529
):
sonderlich sind sie [Die Altar] im Gehoͤltze gemein gewesen wie zu unser zeit zur Eichen und an andern einsamen orten mehr, da der Sathan hat sein Narrenspiel gehabt.
Ders. Hl. Schrifft.
Jes. 27, 10
(
Wittenb.
1545
):
die feste Stad mus einsam werden / die schöne heuser verstossen vnd verlassen werden / wie eine Wüste.
Ziesemer, a. a. O. Ez.
33, 29
;
Luther, WA Bibel .
5.
›gemeinsam, einträchtig, einvernehmlich, einig, in Übereinstimmung mit anderen‹ (von Personen gesagt); ütr. auf Abstrakta: ›einheitlich‹ (z. B. von der
warheit
gesagt); vgl. (
das
2b.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 5,
1
 13.
Wortbildungen
einsamdrei
›drei in eins, dreieinig‹ (auf die göttliche Dreieinigkeit bezogen; dazu bdv.: ; jeweils sprachspielerisch),
einsamkeit
3 ›Einhelligkeit, Übereinstimmung‹ (dazu bdv.:  1, ).

Belegblock:

Jacobs, UB Langeln (
nrddt.
,
1461
):
vor my [stadvoghet] ys gekomen [...] Brant von Oldenrode unde Grete [...], de dar eynsamich unde eyndrechtich hebben gegeven [...] den heren [...] unde dem klostere [...] eyn wıͤsch
(›Wiese‹).
Luther, WA (
1526
):
ynn ursachen unnd grunden anzuzeigen hat ein yegliche rotten yhren kopff und yhre weise, doch alle uffgericht zu lestern die einige einsame christliche warheit.
Oorschot, Spee. Trvtz-N.
141, 3
(
wmd.
,
1634
):
Vom Herren groß, Gott Sabaoth | Erd, Himmel starck erschallet: | Dem Einsamdrey, Dreyeinem Gott | Das Meer in brausen wallet.
Chron. Mainz (
rhfrk.
,
15. Jh.
):
sulten wir etwaz tun, dar zu mocht wol dinen, daz unser genedeger herre von Mentze und ir einsamer und nit unwilig under einander werent.
Bischoff u. a., Steir. u. kärnt. Taid. (
m/soobd.
,
1636
):
Erstlich ist durch ain ganze ersame burgerschaft alhie zu erhaltung gueter fürträglicher ordnung, pollicei und ainsamkait ainhelliklich betracht [...] worden, daß [...] nachvolgende articul [...] gehalten werden sollen.