du,
Personalpron.
der 2. Pers. Sing.; zur Flexion:
Frnhd. Gr. §  M
62
; häufig enklitisch. – Das Bedeutungsfeld ist nach den (sich überlagernden) soziopragmatischen Dimensionen ,Alltagswelt‘, ,soziale Hierarchie‘, ,Belehrung‘, ,Religion‘ gegliedert.
1.
alltags- und nähesprachliche, in der Regel symmetrisch gedachte oder Symmetrie einfordernde, unabhängig vom sozialen Status des anderen gebrauchte Anrede für einen Kommunikationspartner, der der sprechenden Person vertraut ist, derselben Gemeinschaft zugehört bzw. im selben Kommunikationsbereich lebt; das Pronomen stellt in der direkten Nähesituation die reziprok orientierte Adressatenrolle dar und hat deiktische sowie den Sozialstatus des Angesprochenen festigende bzw. in Frage stellende Funktionen; nähesprachlich ist es:
a) die Vertrautheitsansprache zwischen Ehepartnern, Familienangehörigen oder Freunden;
b) Nähe und Intimität herstellende bzw. vermittelnde Anrede an die Geliebte bzw. an den Geliebten;
c) es kann gleichmachend und expressiv in emotionsbeladenen Streitgesprächen, in Beleidigungen und Flüchen gebraucht werden; damit offen zu 2.

Belegblock:

Allg.:
Anderson u. a., Flugschrr.
11, 2, 2
([
Leipzig
1521
]):
Wiewol du / bruder Luder mir [...] dein grus tzuuor embietest / szo ist doch tzwischen deynem gruß vnd Judas kuß wenig vnderscheyd.
Sachs (
Nürnb.
1563
):
aber du | Hast scharpff durchsichtig luchsen-augen.
Pfeiffer-Belli, Murner. Kl. Schrr.
7, 21, 9
(
Straßb.
1520
):
Wie dick sol ich dir es sagen / ich gestand das er sie alle gefragt hat in der gemein.
Morrall, Mandev. Reiseb.
175, 27
(
schwäb.
,
E. 14. Jh.
):
Kúng Alexander, [...], wir bittend dich das du uns kain laid woͤlest tuͦn, wann du macht mit recht kain ansprauch zuͦ uns hön.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Halt dich zu denen / derer du dich nicht schemen darffest.
Dir / tibi. Dir zu guͦtem ist er daheimen [...]. Eben dir / dir selbs / tibi eidem. Liebe gegen dir.
Du / tu, pronomen non tantum in principio [...]. Eben du / ja gerad du / vnd sonst kein ander [...]. Was thust du?

Zu a):

Holland, H. J. v. Braunschw. V. e. Weibe (
Wolfenb.
1593
):
[Liebes Weib] Ich wil mich auch versehen, Das du solches dinges werdest vnschuldig sein, Habe es dir gleichwol hiemit wollen anzeigen.
Sachs (
Nürnb.
1553
):
nun wil ich ihn greiffen frey – | Botz habersack, Heintz, du hast war.
Bachmann, Haimonsk. (
halem.
,
1530
):
By miner trŭw, vatter, du machst dich zeschälten.
Dreckmann, H. Mair. Troja
9, 1
(
oschwäb.
,
1393
):
lieber fründ, biz volgig meiner wort [...], darumb daz du vor meinen augen fürbaz mer werdist lieb gehabt.
Adrian, Saelden Hort
3100
.

Zu b):

Kopp, Volks- u. Gesellschaftsl. (Hs. ˹
pfälz.
,
M. 16. Jh.
˺):
mit der [schöne] du hast | mich hart und vast | lieb habenlich besessen.
Pyritz, Minneburg
1503
(
nobd.
, Hs.
um 1400
):
Min trost, min wunne, min liebes valk, | In din suße minne du mich walk!
Thiele, Minner. II,
4, 50
(Hs. ˹
nalem.
/
sfrk.
,
1470
/
90
˺):
lid dich, gedruws hercz, | secz dich incleyn gedult, | du lids on unschuld.
Klein, Oswald
61, 31
(
oobd.
,
1417
):
seid ich nu bin gehaissen dein, | so la dir, herzlieb, aberfrein, | des ich lang hab gebitten.
Ebd.
74, 10
(
v. 1408
?):
Ach raines töckel, traute, schöne tocke, | du liebst mir mit dem zipfel an dem rocke.

Zu c):

Luther, WA (
1521
):
du [Emser] habist haß auff mich tragen.
Kurz, Waldis. Esopus (
Frankf.
1557
):
bist toll, daß dich ermanst | Jns Wasser, wenn dnit schwimmen kanst.
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
2, 12
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
[Der Tod spricht]
Du tust dem geleich, als dir ernst sei und dich not swerlich betwinge.
Ebd.
22, 10
:
Eintweder du bist sere leidig oder unvernunft hauset zu dir.
Grosch u. a., Schöffenspr. Pössneck
167, 2
(
thür.
,
1474
):
wiltu myr abir der [phenige] nicht weddergebin, so neme ich dich jo eyn mal vor eyn phenig.
Skála, Egerer Urgichtenb.
133, 15
(
nwböhm.
,
1574
):
Jacob sagt due leugest wie ein Schelm.
Fastnachtsp. (
nobd.
v. 1486
):
Du erzschalk, pfabentreiber und leistreter, | Du wurfelleger, poswicht.
v. Keller, Ayrer. Dramen (
Nürnb.
1610
/
8
):
Ach, du leuchtfertigr Lecker, schau!
Kottinger, Ruffs Adam (
Zürich
1550
):
nit hundert jar solt du mer läben! | das dich all plagen und hertzritt | als lydenlosen läckers schütt!
Jungbluth, a. a. O.
22, 12
;
24, 6
;
Spiller, Füetrer. Bay. Chron. ;
Grothausmann, Stadtb. Karpfen
18, 6
;
160, 15
.
2.
im Unterschied zu 1 Asymmetrie voraussetzende, implizierende bzw. herstellende Ansprache einer höhergestellten Person (eines Herrn / einer Herrin) an eine im Sozialrang niedriger stehende bzw. niedriger verortete Person (z. B. an einen Untergebenen, einen Knecht).

Belegblock:

Holland, H. J. v. Braunschw. V. e. Weibe (
Wolfenb.
1593
):
Du solst dir den Teuffel thun. Ich habe dir von keiner grünen Kufer gesagt, Die schwartze Kufer bring her.
Holtzmann, Gr. Wolfdietrich (Hs.
A. 15. Jh.
):
[
kunigin
:]
,Ich mane dich [...] | daz du mir sagest die warheit, [...] | [...] |
[der
wehtere
:]
,owe, schöne frowe, ich wil uch die warheit sagen | [...]‘.
Chron. Nürnb. (
nobd.
,
1453
):
Tetzel du bist mein lehenman [...]: ich wil mit dir reden, wann du mein man bist.
3.
Ansprache eines Unterweisenden an einen zu Belehrenden in säkularen Lehr- und Anweisungstexten.

Belegblock:

Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
duͦ salt richten WiteWen vnde Weysen. vnde tuͦstuͦ en icht leydes, so rouͦffen se tuͦ gote.
Hajek, Gůte spise
72
(
rhfrk.
/
nobd.
,
um 1350
):
Wilt du machen aber einen kese von mandeln, so nim mandelkern [...].
Eis, Albrants Roßarzneib.
110, 16
(
schles.
,
2. H. 14. Jh.
):
so nym wermute saf, alzo wil daz du dor ynne eyn lylachyn geneczyn mogist, unde puluer denne in alle stete, dy du gebrant hast.
M. Cunitia. Ur. Prop. (
Öls
1650
):
Dupplir den Semidiametr. [...] so hastu den diametrum / nemblich die mensur gegen welcher du die scrupula defectus halten [must].
Ott-Voigtländer, Rezeptar
211v, 14
(Hs. ˹
nalem.
,
um 1400
˺):
So du din antlit wellest schoͤn machen: Nim / eselmilch.
Menge, Laufenb. Reg.
778
(Hs. ˹
nalem.
,
um 1470
˺):
MArs der ist der dritte | Vnd sage dir hiemitte | Das er ist warme vnd truken.
Ebd.
1997
:
obe du echt bist | Gesunt / vnd dir sust nit gebrist.
Ebd.
2455
:
So du gesitzest ein halbe hor | So hebe dich denn uff enbor | Vnd übe dich mit lysem gange | Muͦst dus aber tryben lange.
Scholz, Lanfrank. Chir. Parva
239r, 21
(
md.
/
oobd.
,
1446
/
8
):
Ein ander lere: du solt den cancrum / nuͤmer ader mit feuer ader mit ercztey [...] heillen.
Menge, a. a. O.
2610
;
2710
;
2757
.
4.
in biblischen Texten oder nach biblischen Vorlagen gestalteten Textsorten der Sinnwelt ,Religion‘ (z. B. in Passionsspielen) übliche Ansprache des Menschen an Gott und Gottes an den Menschen, mit der möglicherweise die Gottesebenbildlichkeit / Gotteskindschaft des jeweils Sprechenden mit dem jeweils Angesprochenen als direkte, vertraute, persönliche Beziehung zum Ausdruck gebracht und erneuert wird; auch in Kollektivansprachen gebraucht (z. B. bezogen auf das Volk Israel); je nach Perspektive (Sprecher und Adressat) im Einzelnen:
a) im Gebet, in Prologen wie in religiösen Schriften verwendete direkte personale Ansprache des Gläubigen an Gott, Christus, Maria oder an Heilige, die um Hilfe angerufen werden;
b) in der religiösen bzw. moraltheologischen Belehrung wie in Erbauungstexten verwendete direkte Ansprache des Autors eines Textes an den gläubigen bzw. den zu belehrenden oder zu bekehrenden Leser (damit aspektuell eng an 3 anschließbar).

Belegblock:

Allg.:
Luther. Hl. Schrifft.
5. Mose 7, 6
(
Wittenb.
1545
):
Denn du bist ein heilig Volck Gott deinem HERRN / Dich hat Gott dein HERR erwelet zum volck des Eigenthums.
Ebd.
Jes. 51, 15
:
Denn ich bin der HERR dein Gott / [...]. Jch lege mein Wort in deinen mund / vnd bedecke dich vnter dem schatten meiner Hende / Auff das ich [...] zu Zion spreche / Du bist mein volck.
Ebd.
Joh. 21, 18
:
warlich / Jch sage dir / Da du jünger warest / gürtestu dich selbs / vnd wandelst wo du hin woltest / Wenn du aber alt wirst / wirstu deine Hende ausstrecken / Vnd ein ander wird dich gürten / vnd füren / wo du nicht hin wilt.
Froning, Alsf. Passionssp.
188
(
ohess.
,
1501ff.
):
Sathanas dicit: | O edele herre Luciper | [...] | das sal der gefallen gar eben!
Ebd.
2729
:
Salvator dicit: | Frunt Symon, westu host begert, | des saltu recht syn gewert.
Ebd.
3999
:
[Pilatus zu Jhesus]
Doby hore ich, das du eyn konigk byst!
Enders, Eberlin (
Tübingen
1523
/
4
):
O Petre, wol dir, das du [...].
Große, Schwabensp. ;
Froning, a. a. O.
7151
;
Kummer, Erlauer Sp. .

Zu a):

Große, Schwabensp. (Hs. ˹
nd.
/
md.
,
um 1410
˺):
vil libe here vnde god, hemelesche vater, sint daz duͦ vns zuͦ diner hoen gotheit also werdicliken geschaffet [...] hast, des sistuͦ iuͦmber gelouͦed.
Luther, WA (
1518
):
So der mensch anhebet tzubethen ,Vater unser, der du bist in den hymmelen‘, [...], Bekennet er, das er eynen vatter hat.
Ders. Hl. Schrifft.
Ps. 86, 5
(
Wittenb.
1545
):
DEnn du HErr bist Gut vnd Gnedig / [...]. Jn der Not ruffe ich dich an / Du wöllest mich erhören. HErr / es ist dir kein gleiche vnter den Göttern.
Quint, Eckharts Pred. (
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
Sant Augustînus sprichet: herre, nimest dû dich uns, sô gip uns einen andern dich, [...]: wir enwellen anders niht dan dich.
Jostes, Eckhart
103, 38
(
14. Jh.
):
Du bist min geminneter, min uzerwelter, min gemahel, min schópher.
Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
Dich ewige Got van hemelrich, | dynen sun, [...] | [...] ind dynen hilgen geist, | want ir dry vermogit alremeist.
Jungbluth, J. v. Saaz. Ackermann
34, 55
(Hs. ˹
omd.
,
1465
˺):
allerbarmherzigister schepfer – erbarm dich mein.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Nürnb.
1631
):
AVe Maria | Gegruͤst seyst du von mir, | [...] | Der HErre ist mit dir.
Spechtler, Mönch v. Salzb.
7, 34
(
oobd.
,
3. Dr. 14. Jh.
):
Du himmel paradis in siten | [...] | du durchfeinig, du durchscheinig, | du durchgrüessig.
Quint, Eckharts Trakt. ;
Schützeichel, Mrhein. Passionssp.
288
;
Eggers, Psalter
15, 4
;
58, 25
;
zu Dohna u. a., Staupitz/Scheurl
141
;
248
;
Kehrein, a. a. O. ; ;
Schmidt, Rud. v. Biberach
111, 12
;
Spechtler, a. a. O.
8, 52
;
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
44, 4
;
46, 18
;
47, 14
;
126, 4
.

Zu b):

Luther, WA ff. (
1528
):
so ists nicht genug, das du das Euangelion nicht verfolgest [...], sondern du must weiter komen, Es mus dir ynn deinem hertzen lebendig werden.
Pfefferl, Weigel. Gn. S. 
155, 22
(
Magdeb.
1615
):
Daß nun Gott solches weiß [...] was hilfft es dich / so er es auch nicht in dir vnd durch dich were [...]? Darumb must du durch ein inniges Gebett jhn ersuchen.
Neumann, Rothe. Keuschh.
958
(
thür.
,
1. H. 15. Jh.
):
du solt kein magit vor kusch han | di also under den luten wandert.
Bell, G. Hager
90, 2, 2
(
nobd.
,
1594
):
So / solst thu wissen fort, | Das ich gesend bin.
Vetter, Pred. Taulers (
els.
,
E. 14. Jh.
):
Daz du dich in disen zwein wisen uͤbest, daz ist guͦt und heilig, und enloss dir dise uͤbunge diser wisen enkeine creaturen nemen, Got der enziehe dich denne selber.
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
24, 30
(
tir.
,
1464
):
Wildu nu nicht fürchten den [...] grausamen tag, an dem tu raitung must thun got dem herren.
zu Dohna u. a., Staupitz/Scheurl
127
;
180
;
215
;
Bell, a. a. O.
141, 3, 4
.
Vgl. ferner s. v. ,  1.