anfahen
(seit dem 16. Jh. zunehmend häufig
anfangen
),
V., unr. abl.,
grammat. Wechsel. – 1-6 unter zeitlichem 7-9 unter rechtlichen Aspekten zusammengehörig, 13 mit räumlichem Aspekt.
1.
›mit etw. (einer Tätigkeit, die in der Zeiterstreckung gedacht wird) anfangen, beginnen; sich von einem bestimmten Punkt an in der Zeit erstrecken, beginnen, anfangen‹; offen zu 2-4.
Bedeutungsverwandte:
 1,  9, (V.) 1, ,  1,  1; vgl.  1,  1,  1,  56.
Syntagmen:
j. a. zu
(+ Handlungsverb);
j. a.
(+ Handlungsverb);
j. etw.
(z. B.
historie, rede, vers, woche
)
a.
(z. T. elliptische Aussparung eines logisch notwendigen Verbs);
j. von etw.
(z. B.
krieg
)
a.; forne a.; etw.
(Subj., z. B.
buch, capitel, historie, krieg, leiden, marter, geschwär, welt, zeit, jar, name
)
a.; etw. a. zu
(+ Vorgangsverb).

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
Als dan die zit sal anevan | Daz der trugenheite vol | Antecrist predigen sol.
Lohmeyer, K. v. Nostitz (
preuß.
,
1578
):
als man anfahen wolte die molen zu bauen.
Rosenthal. Bedencken
42, 4
(
Köln
1653
):
weil man zu Luthers Zeit nit erst anfing Meeß zu lesen.
Fuchs, Murner. Geuchmat
308
(
Basel
1519
):
Doch laß ich dise red all stan | Vnd fah die geuchmat schriben an.
Morgan u. a., Mhg. Transl. Summa
326, 2
(
schwäb.
,
14. Jh.
):
Alse swenne anvaht kalt zewerden, so vaht sich an, daz ez guot ist, daz man sitze bi dem für.
Ruh, Bonaventura
309, 17
(
Basel
1507
):
als daz nyemer anfahend, nymer endend, sunder als ewig.
Koller, Ref. Siegmunds (Hs. ˹
Basel
,
um 1440
˺):
Hie vohet an des hohen durchlüchtigen herren und fürsten bůch keyser Sygemunt.
Wintterlin, Würt. Ländl. Rechtsqu. (
schwäb.
,
1556
):
es soll auch kain underthon anfahen zu mehen.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Ein krieg ist bald angefangen / aber es ist nicht in vnser macht auffhoͤren. Es gehet selten wol auß / was on raht ist angefangen. Hoch angefangen / nidrig auffgehoͤrt. Jung angefangen vnd gewohnt / ist mit der buß das best. Was du angefangen / magstu auch außrichten.
Plant u. a., Main. Naturl.
296ra, 7
(
ohalem.
, Hs.
E. 14. Jh.
):
warumbe en began wir niht ander vire vñ die woche anzevahinne den samz tag als die iuden.
Bauer, Haller. Hieronymus-Br.
49, 11
(
tir.
,
1464
):
der dich wirdikleichen enpfhëcht, der stirbt der wëlt vnd vëcht mit dir an ewikleichen zu leben. O wie gar chostleichen ist der tod, da die menschen an vachen zu leben, e das si sterben.
Fischer, Brun v. Schoneb. ;
Kehrein, Kath. Gesangb. ; ;
Rohland, Schäden
54
;
Vetter, Pred. Taulers ;
Kurrelmeyer, Dt. Bibel ;
Bolte, Pauli. Schimpf u. Ernst ;
Hubert, Straßb. lit. Ordn. ;
Barack, Zim. Chron. ;
Wintterlin, Würt. Ländl. Rechtsqu. ;
Sappler, H. Kaufringer
8, 190
;
Päpke, Marienl. Wernher ;
Lindqvist, K. v. Helmsd.
509
;
Zingerle, Inventare ;
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. ;
Spechtler, Mönch v. Salzb.
11, 28
;
33, 89
;
45, 57
;
Roth, E. v. Wildenberg ;
Grossmann, Unrest. Öst. Chron. ;
Winter, Nöst. Weist. ;
Bauer, Imitatio Haller
98, 15
;
Dietz, Wb. Luther ;
2.
dient dem Ausdruck des inchoativen Aspektes, ist dann teils mittels eines Verbs, teils mittels eines Adverbs, teils überhaupt nicht ins Nhd. zu übersetzen.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  4.

Belegblock:

Helm, H. v. Hesler. Apok. (
nrddt.
,
14. Jh.
):
Als ich iz schowen angevienc, | Ein rot pfert vom ingesigele gienc.
Kehrein, Kath. Gesangb. (
Bautzen
1567
):
[Petrus] fieng bitterlich zu weinen an.
Moscherosch. Ges. Phil. v. Sittew. (
Straßb.
1650
):
wann er eben den Trug vnd die Eitelkeit anfahet zu mercken.
3.
dient dem Ausdruck der ersten Stufe religiöser Läuterung: ›zu glauben beginnen, ein religiöses Leben beginnen‹; zu weiteren Stufen (
beharren, zunemen, volkommener mensch
) s. die Belege; Spezialisierung zu 1.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  5.
Wortbildungen:
anfahung.

Belegblock:

Luther, WA (
1532
):
Denn nicht, wer do anfeht, sondern wer do beharret, wird selig werden.
Dienes, E. Gros. Witwenb.
1, 15
(
nürnb.
,
1446
):
das der herre, der dir hat geben an ze fahen, das der auch dich kreftige in dem mut, das du beharres dorynn piß in den zeitlichen tot.
Bihlmeyer, Seuse (
alem.
,
14. Jh.
):
Und seit im do den underscheid eins anvahenden, zůnemenden und volkomen menschen.
Alsus geistlich ermuͤtet der kuͤne ritter David einen ieglichen erst anevahenden menschen, und fuͤret in in den ring des geistlichen strites.
Morgan u. a., Mhg. Transl. Summa
195, 4
(
schwäb.
,
14. Jh.
):
eintweder sü sint die entlich selikeit selber, oder sü sint etlich anvahunge der selikeit.
Bihlmeyer, a. a. O. ;
Vetter, Pred. Taulers ;
Steer, Schol. Gnadenl.
1, 16
.
4.
›etw. ins Werk setzen, tun, anstellen‹; offen zu 5.
Bedeutungsverwandte:
(V.) 1; vgl.  2,  1,  2,  6,
1
 2, , ,  7.

Belegblock:

Chron. Köln (
rib.
, Hs.
1. H. 15. Jh.
):
dat ir myt vil guden staden | mit eirst vr dinck anevait.
Frantzen u. a., Kölner Schwankb. (
Köln
um 1490
):
Vroemlichen saltu dyn dinck anfaen.
Bell, G. Hager
178, 2, 14
(
nobd.
,
1597
):
hie / wil ich ein kurczweil an fahen, | Eüch auf geben der beÿe | Ein Rätterisch.
V. Anshelm. Berner Chron. (
halem.
,
n. 1529
):
dass si soͤltid mit den vienden etwas anfahen, dardurch ir pratick und bericht zerstoͤrt [...] moͤchte werden.
Fischer, Eunuchus d. Terenz (
Ulm
1486
):
was soll ich armer dann thun? oder anfahen?
Pfeiffer, K. v. Megenberg. B. d. Nat. (
oobd.
,
1349
/
50
):
daz bedäut die menschen, die daz niden an den füezen anhebent, daz si an dem haupt sölten anvâhen.
zu Dohna u. a., Staupitz/Scheurl
2, 137, 1
;
Moscherosch. Ges. Phil. v. Sittew. ;
Bernoulli, Basler Chron. ; ;
Merk, Stadtr. Neuenb. ;
Päpke, Marienl. Wernher ;
Tobler, Schilling. Bern. Chron. ;
Bachmann, Haimonsk. ;
Sappler, H. Kaufringer
20, 50
;
Fischer, a. a. O. ;
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
516, 4
;
543, 3
;
Grothausmann, Stadtb. Karpfen
163, 13
.
5.
›etw. anzetteln, anstiften; etw. bewirken, machen‹.
Bedeutungsverwandte:
 3,  1, ,
2
 1; vgl. ,  3,  7,  10.

Belegblock:

Luther, WA (
1529
):
Das Hertzog George nerrisch thut, das er sich widder mich und mein wort legt, drumb auch Got anfehet mit yhm, das er sich uber diesem brieffe selbs zu schanden macht.
Boos, UB Aarau (
halem.
,
15.
/
16. Jh.
):
Ob zwen burger ein andren harend, der es anvacht, wirt er sin mit unversprochnen zúgen bewist, der selb besseret.
Sappler, H. Kaufringer
12, 3
(
schwäb.
, Hs.
1464
):
wie die frawen manig spil | mit gescheidkait vachen an.
Mell u. a., Steir. Taid. (
m/soobd.
,
1523
):
Wo auch iemant im markt oder burkfrid aufruer oder muetwillen anfecht.
Gille u. a., M. Beheim
453, 1268
;
Fichtner, Füetrer. Trojanerkr.
192, 4
;
6.
›etw. (z. B. einen Markt) gründen, etw. stiften, einrichten; etw. eröffnen‹.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  4,  8.

Belegblock:

Chron. Augsb. (
schwäb.
,
1383
):
seider die zunfft angevangen sind.
Ebd. (
um 1530
):
wolt ir. maj. auf das Rhathauß khomen und den reichstag anfachen.
Winter, Nöst. Weist. (
moobd.
, Hs.
18. Jh.
):
der märkt alhie genant zu Süerndorff ist angefangen und durch [...] dem römmischen könig befreiet worden.
7.
›einen Prozeß anstrengen, Klage erheben, eine Forderung (vor Gericht) anhängig machen; jn. rechtlich belangen, zur Verantwortung ziehen‹.
Bedeutungsverwandte:
 6,  1.

Belegblock:

Grosch u. a., Schöffenspr. Pössneck
311, 23
(
thür.
,
1474
):
ap anders dy vorderunge unde clage von Ottin von Entczenberg am ersten zcu Baltasar von Konitcz alda vor gerichte angefangen unde angefallen ist.
Chron. Augsb. (
schwäb.
, Hs.
16. Jh.
):
solten die von Argun das recht widerumb anfahen und darnach dem rechten nachkommen biß an das end.
Müller, Nördl. Stadtr. (
schwäb.
,
1488
):
so můss der clager sein clag und recht von newem anfahen.
8.
›etw. dadurch als sein Eigentum erklären und beanspruchen, daß man die Hand darauf legt‹; vereinzelt allgemeiner: ›etw. übernehmen, in Besitz nehmen‹.
Vorw. Rechtstexte.
Bedeutungsverwandte:
 2; vgl.  10,  5.
Syntagmen:
das vieh
(mehrfach)
/ pferd / gut
(mehrfach)
/ bet / gewand / schwert, die habe / kuh, den mantel / wein, das reich a.

Belegblock:

Leman, Kulm. Recht (
Thorn
1584
):
Anevangit eyn man by dem andirn syne habe. dy ym abe geroubet adir abe gestolen yst.
Ermisch, Freib. Stadtr. (
osächs.
, Hs. 
v. 1325
):
Welch man ein pfert anvangen wil, der sal sin warten an der vrien strazen oder an dem marcte.
Swelch man anvangen wil ein gewant, einen roc oder mantel oder bette oder swert oder waz iz ist.
Grosch u. a., Schöffenspr. Pössneck
274, 22
(
thür.
,
1474
):
solliche wyne habe er uff unnsers gnedigen heren schriffte met hulffe des amptmannes zcu Luchtenbergk unde des ratiß zcu Kahel angefangen unde dy wyne met der vorgunst unde willen zcu sich in syne behusunge gebracht.
Adomatis u. a., J. Murer. Abs.
1775
(
Zürich
1565
):
Nun hat sin sun das rych angfangen | das dann ist billich leid uns allen | Den vatter von der statt vertriben.
Mollay, Ofner Stadtr.
340, 8
(
ung. inseldt.
,
1. H. 15. Jh.
):
so sol man dÿsen, peÿ dem das fiech ist funden ader an gefangen, frist geben.
Leman, a. a. O. ; ;
Kisch, Leipz. Schöffenspr. ;
Ermisch, a. a. O. ;
Bischoff u. a., Steir. u. kärnt. Taid. ;
Mollay, a. a. O.
341, 2
;
Piirainen, Stadtr. Sillein
105a, 20
;
9.
›jn. erwischen, ergreifen, festnehmen‹.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  7.

Belegblock:

Opel, Spittendorf (
osächs.
,
um 1480
):
So mochte der heuptman den mit cleyden antfangen zum Gybichenstein.
Kisch, Leipz. Schöffenspr. (
osächs.
,
1523
/
4
):
Der man, der seinen dieb mit seiner diebereie hat angefangen.
Mell u. a., Steir. Taid. (
m/soobd.
,
1651
):
so nur ain diep anfangen würt zu Magland, den sol der richter daßelb zu Magland annemben und behalten.
10.
›(Vieh) einspannen, anspannen‹.

Belegblock:

Siegel u. a., Salzb. Taid. (
smoobd.
, Hs.
1625
):
Es soll und mag auch ain ieder gerichtsman angefangnes viech laiden und treiben in sein eisseristen besuech seiner nachparn.
Ebd. (Hs.
17. Jh.
):
Das ainer über den andern seinen kirchweeg [...] mit seinem pauvich und sonst mit angefangnem vich seiner notdurft nach [...] fahren mag.
11.
›zupacken, zugreifen‹, im Beleg ohne Obj.

Belegblock:

Fuchs, Murner. 4 Ketzer
772
(wohl ˹
Straßb.
˺
1509
):
So bald der geist mer kumpt zů dir, | So fah an bald vnd lüt du mir!
12.
›etw. in Betracht ziehen, erwägen‹.

Belegblock:

Mell u. a., Steir. Taid. (
m/soobd.
,
1523
):
Der richter sol [...] weder muet, gab, fruntschaft, feindschaft noch ichts anders anfachen.
13.
›an einer bestimmten Stelle, an einem bestimmten Raumpunkt anfangen‹.
Bedeutungsverwandte:
vgl.  3.

Belegblock:

Morrall, Mandev. Reiseb.
37, 4
(
schwäb.
,
E. 14. Jh.
):
da sich Egipten an vahet.
Leisi, Thurg. UB
8, 166, 25
(
halem.
,
1394
):
das des obgenanten mins herren von Klingenberg win zehent anfahet und von disen nach geschribnen wingart gǎt und habt an im Krúglendal an dem Bruͤl an ainem wingarten.
Brévart, K. v. Megenberg. Sphaera
25, 23
(
noobd.
,
1347
/
50
):
deu andern sehs himlzaichen, die sich anvahent an der wag und enden sich mit den vischen.
Bischoff u. a., Steir. u. kärnt. Taid. (
m/soobd.
,
1434
):
Erstlich fecht sich diser purkfridt zu Gstadt an ob ödling am Eck.
Morgan u. a., Mhg. Transl. Summa
67, 7
;
Roder, Hugs Vill. Chron. ;
Brévart, a. a. O.
25, 15
;
Mell u. a., Steir. Taid. .