10. Positionen des Wörterbuchartikels. III: Angaben zur Wortart und zur Morphologie

10.1. Für jedes Wort wird angegeben, welcher bzw. welchen der traditionellen Wortarten (Subst., V., Adj., Zahlw., Pron., Adv., Präp., Konj., Interj., Partikel) es angehört7272. Die Ausführungen dieses Kapitels lehnen sich inhaltlich, mit den Beispielen und großenteils auch sprachlich sehr eng an folgenden Artikel an, der auf meine Bitte von seinen Verfassern mit dem Blick auf das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch konzipiert wurde: Solms, Hans-Joachim/Wegera, Klaus-Peter, Einträge zur Morphologie in einem Frühneuhochdeutschen Wörterbuch. Vorschläge und Materialien. In: Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie II. 1982, 225–283. Im folgenden werden die z. T. wörtlichen Übernahmen nicht eigens gekennzeichnet. Vgl. zusätzlich: Wegera 1983; Solms 1984; ferner: Mugdan, Joachim, Grammatik im Wörterbuch: Flexion. In: Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie III, 1983, 179–237.. Von der in 9.3. erwähnten Ausnahme abgesehen, steht die Wortartangabe – durch ein Komma abgetrennt – direkt hinter der Angabe der Wortvarianten, da diese relativ selten aufgeführt werden, de facto meist direkt hinter dem Lemma. Bei Substantiven wird statt der Wortart das Genus (und zwar mit der, die oder das) angegeben, da es die Wortart Substantiv impliziert. Gehört ein Wort mehreren Wortarten an, so wird die jeweils gültige Angabe pro Bedeutung noch einmal wiederholt und kann dann mit zusätzlicher syntaktischer und semantischer Information verbunden werden, vgl.

1ab, Präp., Adv. und Adj. [...] 1. lokale Präp. mit Dat.: ›von, weg von‹ [...]. 2. richtungangebende Präp. mit Dat.: ›von, herunter von, herab von‹ [...]. 6. Adv., oft in Verbindung mit Akk. der räumlichen Erstreckung: ›hinab, hinunter‹.

Die Verbindung der Angabe der Wortartzugehörigkeit mit syntaktischer Information findet sich außerdem und speziell für Adjektive immer dann, wenn das Adjektiv in allen Bedeutungen in eingeschränkter syntaktischer Funktion begegnet, vgl.

abhänden, in allen Verbindungen präd. Attribut.

10.2. Die Beschreibung der Morphologie (veränderbarer Wörter: Substantive, Verben, Adjektive, Pronomina und Zahlwörter) erfolgt nach wortarteigenen Notwendigkeiten. Sie steht unter der Voraussetzung, daß das Wörterbuch nicht zu einer Morphologie werden darf, im Hinblick auf den Wörterbuchbenutzer formuliert, daß dieser mit den Regeln des deutschen Flexions- und Komparationssystems so vertraut ist, daß er aus der Zuordnung der einzelnen Wörter zu bestimmten Flexionsklassen sowie aus der Angabe wortgebundener Unregelmäßigkeiten

  • für Substantive, Pronomina und Zahlwörter die Kasus- und Numerusbildung,
  • für Verben die Tempus-, Modus-, Genusbildung sowie die Bildung der Personalformen,
  • für Adjektive die Bildung der Steigerungsformen

erschließen kann.

10.2.1. Beim Substantiv ist mit der Angabe der beiden Eckformen7373. Zur Rolle der Eckformen vgl. Wegera 1983, S. 56. Genitiv Singular und Nominativ Plural eine hinreichend genaue Zuordnung zu einer der Flexionsklassen, damit Kennzeichnung der Kasus- und Numerusbildung gegeben. Das wortarteigene Beschreibungsmuster ist (am Beispiel abend):

abend, der; -(e)s / -e

verallgemeinert:

Lemma, Angabe des Genus, implizit der Wortart; Gen. Sg./Nom. Pl.

Durch ein Semikolon von der Angabe der Wortartzugehörigkeit abgetrennt, steht zunächst das Genitivmorphem, im Beispiel -(e)s, darauf nach einem Querstrich das Pluralmorphem, im Beispiel -e. Die Einklammerung bestimmter Teilangaben, wie des e in -(e)s oder von Uml. in abbruch, der; –/-(e) (+ Uml.) deutet an, daß das betreffende Flexiv in zwei (Schreib)varianten begegnet, -(e)s also in der syllabischen Variante -es und der asyllabischen Variante -s, das Pluralmorphem von abbruch in einer Variante, in der der Umlaut entweder gekennzeichnet ist7474. Zum allgemeinen Stand der Umlautkennzeichnung (speziell der Kennzeichnung der Pluralumlaute): Klaus-Peter Wegera 1983, S. 245–251 (§ 79) mit Übersichtsskizzen. oder in Abhängigkeit vom allgemeinen Stand der Umlautkennzeichnung philologisch begründet angesetzt werden kann, und in einer Variante, in der keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt ist: abbrüch(e) neben abbruch(e). Das Muster kann nach Bedarf variiert werden; –/-e heißt: Für die Genitivform des Singulars fehlen Belege; -(e)s/– signalisiert Entsprechendes für den Nominativ Plural. Fehlen Belege für beide Eckformen, wird überhaupt keine Angabe gemacht (vgl. das Beispiel abelheit, die), auch wenn die Flexionsklasse des betreffenden Wortes aus seiner Bildung (hier mittels -heit) mit großer Sicherheit erschlossen werden kann. Eine Ausweitung des Beschreibungsmusters liegt vor, wenn flexionsmorphologische Kommentare und/oder flexionsmorphologische Zusatzinformationen gegeben werden. Von ersterer Möglichkeit wurde bei der Pluralangabe /auch -Ø zu abendstern Gebrauch gemacht: Sie besagt, daß der belegte Plural lautet, daß diese Form aber durch die oberdeutsche Apokope der Auslauts-e bedingt ist, also eine großlandschaftliche Variante7575. Vgl. K. B. Lindgren, Die Apokope des mhd. -e in seinen verschiedenen Funktionen. zu einer ausgezeichneten Regelform -e darstellt, die der Lexikograph aus seinem flexionsgeschichtlichen Wissen für gesichert hält, die aber deshalb nicht angegeben wird, weil sie nicht belegt ist. – Die flexionsmorphologischen Zusatzinformationen betreffen vor allem die Zeit, den Raum und die Häufigkeit der Belegung des betreffenden Flexivs. Droht diese Information wegen ihrer Länge das Muster Gen. Sg./Nom. Pl. zu sprengen, wird sie aus dem Muster ausgegliedert und hat dann je nach Bedarf und Informationsstand unterschiedliche Form, idealiter die folgende (beispielhaft das Nebeneinander zweier Flexionsklassen mit relativen Häufigkeitsangaben versehene) Form:

held, der; -(e)n/ -(e)n (bis ins 15. Jh. vorwiegend, im 16. Jh. konkurrierend, im 17. Jh. vereinzelt -(e)s / -e).

Pluralia tantum werden abweichend vom Muster Gen. Sg./Nom. Pl. durch die Sigle Pl.t. gekennzeichnet.

10.2.2. Beim Verb hängt die flexionsmorphologische Beschreibung davon ab, ob es regelmäßig (in traditioneller Terminologie: schwach) oder in einer oder mehreren Hinsichten unregelmäßig flektiert. Für alle regelmäßig flektierenden Verben ist mit der Angabe V. (für Verb) eine hinreichend genaue Beschreibung der Flexion gegeben; V. bedeutet also: Bildung des Präteritums durch ein Dentalsuffix ohne morphologisch motivierte (oder gestützte) Alternation des Stammes; Bildung des Partizips Präteriti durch das Präfix ge- und das Suffix -(e)t; Bildung des Imperativs Singular sowie des Konjunktivs Präsens durch -(e)-; feste Endungsparadigmen für Präsens und Präteritum. Die unregelmäßig flektierenden Verben werden jeweils so genau beschrieben, daß ihre Flexion aus den gemachten Angaben erschließbar ist. Demnach betreffen die Angaben je nach Verb

  • die Bildung des Präteritums und des zweiten Partizips durch Ablaut des Stammvokals
  • den zusätzlich zum Dentalsuffix auftretenden Vokalwechsel bei der Bildung des Präteritums, des Konjunktivs II und des Partizips II (z. B. brachte usw.)
  • die zusätzlich zum Dentalsuffix und zum Vokalwechsel im nicht präsentischen Tempusstamm auftretende Änderung des Konsonantismus der Stammsilbe (z. B. brachte, alle Fälle der sog. Primärberührung:7676. Zur Sache vgl. man: Mhd. Gr., S. 207. strecken, strachte)
  • Abweichungen im präsentischen Endungsparadigma (z. B. wissen)
  • die Bildung des infiniten Partizips II durch -en (z. B. gesalzen statt gesalzt)
  • die unpräfigierte Bildung des Partizips II (z. B. funden statt gefunden)
  • kontrahierte Flexionsformen.

Eine hinreichend genaue flexionsmorphologische Beschreibung erfordert maximal die Angabe der folgenden 6 Flexionspositionen zusätzlich zum den Infinitiv bezeichnenden Lemma (im folgenden weitgehend wörtliche Anlehnung an Solms/Wegera):

  1. 1. Person Singular Indikativ Präsens, nach der das Präsens und auch der Konjunktiv I und das Partizip I flektieren, falls kein Wechsel des Stammvokals im Präsens erfolgt; in diesem Falle ist zudem die unter 2) genannte Form anzugeben.

  2. 3. Person Singular Indikativ Präsens, dem auch die 2. Person Singular Indikativ Präsens folgt.

  3. 1. Person Singular Indikativ Präteritum, der das Präteritum (umgelautet, falls überhaupt umlautbar, auch der Konjunktiv II) entspricht, sofern ein Numerusablaut im Präteritum nicht mehr besteht; besteht dieser noch, so ist zusätzlich die unter 4) genannte Form anzugeben.

  4. 1. Person Plural Indikativ Präteritum, mit deren Vokal die 2. Person Singular Indikativ Präteritum sowie der Konjunktiv II gebildet werden.

  5. 1. Person Singular Konjunktiv II, da stammvokalische Abweichungen vom Indikativ bestehen können, die nicht regelhaft ableitbar sind.

  6. Partizip II.

Die Angabe dieser Positionen kann wie beim Substantiv mit flexionsmorphologischen Kommentaren und zusätzlichen Informationen über die zeitliche und räumliche Verteilung der einzelnen Formen sowie über deren relative Frequenz verbunden werden. In diesem Fall entstehen für einzelne Verben sehr umfängliche flexionsmorphologische Einträge; ein Beispiel bieten Solms/Wegera für ziehen (allerdings ohne flexionsmorphologischen Kommentar):

ziehen (...). V. unr. (abl.); 1. Sg. Ind. Präs. zieh(e), daneben bis Mitte der Epoche vorwiegend zeuch(e); 3. Sg. Ind. Präs.: zeucht vorwiegend md., daneben seit ausgehendem 16. Jh. obd. zieht; 1. Sg. Ind. Prät.: zog(e), selten zoch und vorw. md. zug(e); 1. Pl. Ind. Prät.: zogen erst seit dem ausgehenden 16. Jh. vom Obd. her dominant, zuvor hd. zugen; Kj. II: seit dem beginnenden 17. Jh. zunehmend o-Umlaut; Part. II: gezogen bis 16. Jh. zunehmend, selten ge-Ausfall.

Einträge dieses Umfangs werden aus Raumgründen immer dann vermieden, wenn dies ohne Informationsverlust möglich ist. Dies ist der Fall bei allen Präfixverben, sofern ihre Flexion mit der Flexion der verbalen Simplicia nachgewiesener oder vermuteter Weise übereinstimmt. Da die bisher bearbeitete Wörterbuchstrecke wesentlich aus ab-Bildungen zu Verben besteht, finden sich nur reduzierte Einträge des Typs:

abbiegen, V., unr., abl.

10.2.3. Adjektive bilden die grammatische Komparativform im Frühneuhochdeutschen in der Regel mit Hilfe eines -(e)r-Suffixes, den Superlativ mit Hilfe eines -(e)st- Suffixes. Dies braucht im Wörterbuch nicht markiert zu werden. Damit beschränkt sich die Notwendigkeit der Markierung von Steigerungsformen auf diejenigen Fälle, in denen der Umlaut des Stammvokals gekennzeichnet ist oder nach dem allgemeinen Stande der Umlautkennzeichnung philologisch angesetzt werden kann, sowie auf die wenigen Suppletivfälle. Ersteres erfolgt nach dem Muster

lang, Adj.; Uml.

Steht Uml. in Klammern, weist dies wieder auf zwei (Schreib)varianten hin. Die Suppletivformen werden zum jeweiligen Positiv immer geschlossen aufgeführt, außerdem erscheinen sie noch einmal in je einem Verweislemma.

10.2.4. Pronomina werden zunächst spezifiziert als Personal-, Reflexiv-, Possessiv-, Demonstrativ-, Indefinit-, Interrogativ- oder Relativpronomen. Ihre Zahl ist insgesamt so gering, daß zur nominativischen Form jeweils das gesamte Paradigma geboten werden kann, sofern es Unregelmäßigkeiten aufweist. Entsprechendes gilt für die Numeralia.