erwegen,
ab dem 16. Jh. auch
erwägen,
V., unr. abl.;
gelegentlich regelmäßig; zu Flexion und Formenbildung vgl.
Dammers u. a., Flexion der st. und schw. Verben.
1988, 340-46
;
453-55
;
Dwb, Neub.
8, 2260
;
Fortsetzung von
mhd.
erwëgen
›in Bewegung geraten; bedenken‹
(
Mwb
1, 2162
 f.);
zur Entwicklung der Schreibung mit
-wägen
vgl.
Duden
7, 2014, 166
;
910
; eine eindeutige Zuordnung und Abgrenzung von
erwegen
(V.) ist nicht immer möglich.
1.
›über etw. nachdenken, sinnieren; etw. ermessen, prüfend begutachten, beurteilen‹; auch: ›etw. bedenken, überdenken, berücksichtigen‹; ›etw. vergleichend betrachten, abwägen, auslegen‹; speziell: ›etw. besichtigen, in Augenschein nehmen‹;
vgl.
er-
 8.
Bedeutungsverwandte:
abpfächten
 2,
1
achten
 4; 5,
ästimieren
,
ausmessen
 5,
ausrechnen
 2,
bedenken
(V.) 3; 8,
beherzigen
 2,
beschätzen
 1,
besehen
 3,
besichtigen
 2; 3,
besinnen
 1,
erdauern
 1,
erkundschaften
,
erläutern
 1,
ermessen
 1,
1
gradieren
 2,
heben
(V.) 23,
lesen
 6,
nachdenken
 1; 2,
nachsinnen
,
schätzen
 6,
überlegen
(V.) 4,
vergleichen
,
verstehen
,
versuchen
; vgl.
ausecken
 1,
betrachten
 5,
bewegen
 3,
nachgründen
.
Syntagmen:
etw
. (z. B.
den span
›die Streitigkeit‹,
die sache, das buch / gebau, js. tun / wesen, gedanken / gesichte, die guttaten / laster, beide meinungen
)
e., etw
. [wie] (z. B.
unparteiisch / wol, bei sich selbst, gegen einander, auf den nuz, die erbarkeit, in seiner vernunft, mit ernst / fleis, vor einem rat
)
e
.;
sich e., das [...]
.
Wortbildungen:
2
erweger
›j., der sehr bedacht ist‹,
2
erwegnis
›Überlegung, Ermessen‹ (v. 1531),
2
erwegung
1 ›Überlegung; Abwägung; Untersuchung‹ (dazu phras.:
in erwegung
›in Anbetracht e. S.‹; dazu bdv.:
ansehen
,
das
, 6,
nachdenken
 1; 2 [subst.],
vergleichung
).

Belegblock:

Luther, WA
28, 380, 12
(
1528
/
9
):
WEr nu unter dem Euangelio sein wil und das Creutz Christi tragen, der mus sich erwegen, das er ein Auffrhuͤrer gescholten werde.
Ders., WA Br.
3, 75, 16
(
1523
):
darauff hoch benante stathalter, Churfursten, fursten vnd stende auff vielgehabt nachdencken vnd erwegung gestalt.
v. Keller, Amadis
8, 24
(
Frankf.
1571
):
ein jeder seiner Fantasey vnd sonderbaren meinung nach diß Buch erwegen vnd lesen wirt.
Hübner, Buch Daniel
4606
(
omd.
, Hs.
14.
/
A. 15. Jh.
):
war sagen | Kunde er [Daniel] mit uz legen | Troume, darzu irwegen | Gesichte.
Hoffmeister, Kuffstein. Gef.
A iijv, 2
(
Leipzig
1625
):
Als ich nun also gantz einmuͤtig / mancherley Gedancken bey mir selbsten erwegend gienge.
Goedeke, Fischart Schiff
918
(
Straßb.
1576
):
Folgends man auf den turn hoch stieg, | Das man das schön gebeu erwig.
Maaler
119r
(
Zürich
1561
):
Erwaͤger / der alle wort zu͂ subteylisten erwigt.
Turmair
4, 493, 34
(
moobd.
,
1522
/
33
):
Pisher sein die Römer frum [...] tapfer leut gewesen, haben [...] alles ding auf die êrberkait und gemainen nutz erwegen.
Bischoff u. a., Steir. u. kärnt. Taid.
143, 12
(
m/soobd.
,
1579
):
in erwögung und ansechen ihrer stanthaften treu und gehorsamb.
Grothausmann, Stadtb. Karpfen
143, 8
(
mslow. inseldt.
,
1612
):
die śtrittig śoch in augenśchein genumen vnd erwogen.
v. Ingen, Zesen. Rosenw.
34, 30
;
Kehrein, Kath. Gesangb.
3, 127, 2
;
Knape, Messerschmidt. Bris.
3, 40
;
M. Cunitia. Ur. Prop.
221, 51
;
Franck, Decl.
334, 17
;
344, 3
;
347, 9
;
Moscherosch. Ges. Phil. v. Sittew.
12, 24
;
Chron. Augsb.
9, 112, 26
;
124, 9
;
Andreae. Ber. Nachtmal
40r, 16
;
65v, 12
;
Turmair
5, 472, 34
;
Grothausmann, a. a. O.
126, 22
;
Maaler
119r
;
Dict. Germ.-Gall.-Lat.
148
;
Rwb
3, 301
;
Schweiz. Id.
15
, 916 ff;
921
;
Schwäb. Wb.
2, 856
f.
Vgl. ferner s. v.
abpfächten
 2,
ästimieren
,
ausrechnen
 2,
beherzigen
 2.
2.
›sich e. S. unterfangen, zu e. S. entschließen‹; auch: ›sich auf etw. gefasst machen, etw. auf sich nehmen‹; ›etw. wagen‹; ›auf etw. vertrauen‹; überwiegend refl. gebraucht;
vgl.
er-
 3; 5.
Gehäuft Texte religiösen und didaktischen Inhalts.
Phraseme:
mit allem / ganzem erwegen
›voller Zuversicht, Vertrauen‹.
Bedeutungsverwandte:
begeben
 11,
ergeben
(V.) 5; 7,
gründen
 6,
halten
 10,
verlassen
,
wagen
; vgl.
1
betragen
 8,
bewegen
 13,
gewarten
 2; 6,
gewegen
(V.) 5,
greifen
 9,
1
laden
 3,
nemen
 14.
Syntagmen:
sich e., sich e. S
. (z. B.
des todes, der arbeit / kundschaft / mühe / tat, des leidens
)
e., sich e. S
. [wie] (z. B.
frölich / künlich / wol
)
e., sich auf etw
. (z. B.
auf das evangelium
)
e., sich e., das [...]
.
Wortbildungen:
2
erwegung
2 ›Entschluss (zu etw.)‹ (dazu bdv.: vgl.
berat
 3).

Belegblock:

Luther, WA
10, 3, 221, 31
(
1522
):
Darumb will ich mich frey uff das Euangelium erwegen.
Ebd.
21, 48, 17
(
1528
):
des muͤssen wir uns kuͤhnlich [...] erwegen.
Ebd.
29, 357, 19
(
1529
):
,Halten‘ heyst festicklich erwegen und halten.
Ebd.
30, 2, 453, 36
(
1530
):
soltu deine rew odder werck, ia dein hertz vnd dich selbs, mit allem erwegen, auff die schlussel odder absolution bawen.
Ebd.
30, 3, 478, 26
(
1531
):
Wir muͤssens so lassen gehen und uns mit gedult des alles erwegen.
Ebd.
33, 81, 23
(
1530
):
Dorauff mustu dich erwegen, das Christus der brun des lebens sei.
Ebd.
41, 138, 26
(
1535
):
Darumb muͤssen wir uns alhie des leidens erwegen und jnn gedult ergeben.
Ebd.
49, 9, 6
(
1540
):
Dazu sag ich ja mit gantzem erwegen meines hertzen.
Reissenberger, Väterb.
20174
(
md.
, Hs.
14. Jh.
):
Maria hete sich irwegen | Daz si die lute reden liez.
Kurz, Waldis. Esopus
4, 35, 18
(
Frankf.
1557
):
Der jung Gesell thet sich erwegen, | Ein grossen hauffen schiß dazu.
Österley, Kirchhof. Wendunmuth
2, 251, 1
(
Frankf.
1602
):
Erstlich erwiegs wol, darnach wags.
Karsten, Md. Paraphr. Hiob
14440
(
omd.
,
1338
):
Wan er wil tragen keine last | Als di czamen esele phleyn, | Dy sich der arbeyt nicht irweyn.
Welti, Stadtr. Bern
227, 1
(
halem.
,
n. 1437
):
Der sich kuntschaft erwigt, die eim an sin ere gat, vnd die nit legen mag
(Überschrift).
Buijssen, Dur. Rat.
335, 20
(
moobd.
,
1384
):
von der diemuettichait er pechenn sein unwirdichait; und die derbegung zw der andechtichait.
Luther, WA
10, 1, 1, 391, 17
;
12, 485, 9
;
21, 379, 1
;
28, 126, 16
;
29, 575, 30
;
32, 29, 17
;
34, 2, 411, 3
;
41, 116, 22
;
Kurz, a. a. O.
1, 44, 22
;
2, 64, 29
;
Hübner, Buch Daniel
1221
;
Schweiz. Id.
15, 918
f.
Schwäb. Wb.
2, 856
f.
Vgl. ferner s. v.
begeben
 11.
3.
›sich gegen jn. / etw. erheben, sich gegen jn. / etw. stellen, wehren‹; Spezialisierung zu 2.
Bedeutungsverwandte:
vgl.
empören
 4,
6
geweren
 1.

Belegblock:

Strehlke, Nic. Jerosch. Chron.
17892
(
preuß.
,
um 1330
/
40
):
quam | vîentlich gerittin her | ein sudouwisch wêpenêr, | kegn deme er [brûdir Friderîche] sich ouch irwac.
Ebd.
22675
:
brûdir Conrât Sac, | sich mit grôzir macht irwac | kegn Karsouwin in daz lant | daz doch lutzil was bewant.
Peil, Rollenhagen. Froschm.
437, 5486
(
Magdeb.
1608
):
Wolten sie hiemit sich erwegen / | Des Zorns mit Blitzn vnd Donnerschlaͤgen.
Stackmann u. a., Frauenlob
14, 15, 10
(Hs. ˹
nobd.
,
3. V. 15. Jh.
˺):
we den frouwen, die [...] getriben | solch unfuge, gein ir vriunden sich erwegen.
Rwb
3, 301
.
4.
›etw. aufgeben, preisgeben‹; auch: ›auf etw. verzichten, sich e. S. enthalten‹; überwiegend refl. gebraucht; als Spezialisierung anschließbar an 2.
Phraseme:
sich des lebens / leibes erwegen
›sein Leben einsetzen, hingeben, verloren wähnen‹;
mit erwegen
(subst.)
seines lebens
›unter Einsatz seines Lebens‹.
Bedeutungsverwandte:
lassen
 4; 10; 14; 18; 20,
verdriessen
 20; 23; vgl.
aufgeben
 3,
aufwetten
 1,
begeben
 2,
berauben
 2,
verwegen
.

Belegblock:

Schade, Sat. u. Pasqu.
1, 5, 130
(o. O. o. J.):
Des reichs Christi han sie sich ganz erwegen, | Alein daß sie leben in wollust.
Luther, WA
10, 1, 1, 40, 23
(
1522
):
wer nuchternn, rechtfertig, gotlich leben will, der muß sich erwegen aller feyndschafft und das kreutz an sich nehmen.
Ebd.
22, 278, 33
(
1544
):
[das ich] darob kempffe und halte mit fahr und erwegen meines lebens.
Ders. Hl. Schrifft.
2. Kor. 1, 8
(
Wittenb.
1545
):
das wir vns auch des Lebens erwegen
[
Emser
1527:
verdrossen
;
Froschauer
1530:
verwaͤgen
]
/ vnd bey vns beschlossen hatten / wir müsten sterben.
Quint, Eckharts Trakt.
187, 1
(
E. 13.
/
A. 14. Jh.
):
Swâ der mensche in gehôrsame des sînen ûzgât und sich des sînen erwiget, dâ an dem selben muoz got von nôt wider îngân.
Kurz, Waldis. Esopus
3, 98, 121
(
Frankf.
1557
):
So find man noch manch vppig Weib, | [...] | Die sich der ehren gantz erwegen, | Mutwilliglich in vnehr legen.
Karsten, Md. Paraphr. Hiob
3437
(
omd.
,
1338
):
der unschuldegen pine | Nicht lache [...] | Als der mensch, der sich irwiget | Der sele unde lachen phliget.
Euling, Kl. mhd. Erz.
804, 2
(
nobd.
,
E. 15. Jh.
):
Waran dir nicht fast ist gelegen, | des erwige dich und las es unterwegen.
Baumann, Bauernkr. Rotenb.
596, 19
(
nobd.
,
um 1525
):
das ir ains tails sich des lebens erwegen hetten, dan [...] ain yedweder gedacht er müst sterben.
Luther. Hl. Schrifft.
Weish. 17, 15
;
Neumann, Rothe. Keuschh.
3545
;
Holtzmann, Gr. Wolfdietrich
380, 4
;
Goedeke u. a., Liederb.
344, 187
.
5.
›in Bewegung geraten; wackeln, schwanken‹ (von sachlichen Bezugsgrößen); meist ütr. auf Personen: ›(innerlich, im Gemüt) bewegt, erschüttert sein / werden‹; trans. auch: ›jn. rühren‹;
vgl.
er-
 3.
Bedeutungsverwandte:
vgl.
gnappen
 1.
Wortbildungen
2
erwegung
3 ›Gemütsbewegung‹ (dazu bdv.:
bewegung
 4; vgl.
affect
 1).

Belegblock:

Strehlke, Nic. Jerosch. Chron.
11052
(
preuß.
,
um 1330
/
40
):
Zu jâmirunge sî irwúc | und zu mitlîdunge, | daz [...].
Reissenberger, Väterb.
34360
(
md.
, Hs.
14. Jh.
):
So sere weinte er da mite | Daz im daz wort vor leide erlac. | Dar an er ouch die vrowe erwac.
Lemmer, Brant. Narrensch.
72, 67
(
Basel
1494
):
Dem [aller schampperst] büttet man eyn glaß mit wyn | Vnd lacht syn / das das huß erwag.
Haltaus, Liederb. Hätzlerin
2, 4, 55
(
schwäb.
,
1471
):
Ir pidmeten all gelider, | Recht das das pett erwaget.
Buijssen, Dur. Rat.
302, 1
(
moobd.
,
1384
):
[daz] der [herr] perund in uns ist den frid, daz ist ein indrew derwegung dyͤ rue, daz unsser fleisch nicht beger wider den geist.
6.
›sich ereignen, zutragen; geschehen‹ (von Ereignissen, Handlungen);
vgl.
er-
 2; 3.
Bedeutungsverwandte:
ausbrechen
 13,
erzeigen
(V.) 1; vgl.
eräugen
 2,
geschehen
 1.

Belegblock:

Strehlke, Nic. Jerosch. Chron.
1438
(
preuß.
,
um 1330
/
40
):
in dem lande Burgundiâ | [...] | mit geschichte sich irwûc | ein wundir.
Schwartzenbach
C iijr
(
Frankf.
1564
):
Außbrechen. [...]. Allerhand beschwerliche vnd schaͤdliche Practicken sich erwegen. Hochnachthailige vorstehende gewerb sich erzeigen.
Schweiz. Id.
15, 713
(hier durchweg regelmäßige Flexion).